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Abnehmen auf Kosten Zuckerkranker? Streit um Diabetes-Mittel Ozempic

Packung Ozempic, Antidiabetikum zur Gewichtskontrolle

Abnehmen auf Kosten Zuckerkranker? Streit um Diabetes-Mittel Ozempic

Bild: dpa | photothek/Florian Gaertner

Ozempic gilt als Zaubermittel zum Abnehmen. Doch es ist für Diabetiker gedacht und knapp, auch in Bremen. Einige Übergewichtige wollen es dennoch. Zum Schaden Zuckerkranker?

Zur Zeit sei Ozempic kaum lieferbar, sagt Isabel Justus, Geschäftsführerin der Apothekerkammer Bremen. Zwar hätten einige Apotheken noch ein paar Packungen in ihren Regalen liegen. Knapp sei das Mittel aber allemal. Nicht jeder könne damit versorgt werden. Der Grund für den Mangel: Ozempic gilt als Wunderwaffe zum Abnehmen, wenn es auch wegen seiner Nebenwirkungen umstritten ist. In den Vereinigten Staaten gibt es schon seit Monaten einen wahren Hype um die Arznei – einen Hype, der inzwischen auch in Deutschland zu beobachten ist.

Mit unangenehmen Folgen. Denn Diabetikern, für die das Mittel eigentlich gedacht ist, steht das Medikament mitunter nicht zur Verfügung. Es gilt zwar nicht als lebenswichtig, ist aber offenbar dennoch schwer zu ersetzen. Um die Versorgung der Zuckerkranken mit Ozempic sicher zu stellen, hat der Hersteller Ärztinnen und Ärzte daher bereits dazu aufgerufen, das Präparat ausschließlich Diabetikern zu verschreiben. Allein für sie ist das Mittel offiziell zugelassen. Davon unberührt tauchen in Bremens Apotheken gelegentlich sogar Kundinnen und Kunden mit gefälschten Rezepten auf, um an Ozempic zu gelangen. Das sollte man zu dem Wirbel um das Medikament wissen:

Eine Person setzt sich eine Insulinspritze in den Bauch
Ozempic spritzen sich die Patienten üblicherweise selbst: einmal pro Woche. Bild: dpa | Westend61/Alla Azarnikova

Wie bedrohlich sind die Lieferengpässe beim Medikament Ozempic für Diabetiker?

Der Bremer Diabetologe Ulf Jacobsen betrachtet durchaus mit Sorge, dass Ozempic derzeit nicht lieferbar ist. Zwar gebe es noch andere Präparate mit GLP-1-Rezeptor-Agonisten als Wirkstoffen. Doch sei die Auswahl begrenzt. Ozempic am ähnlichsten sei Trulicity. "Das wird ebenfalls einmal wöchentlich gespritzt", erklärt der Diabetologe einen wesentlichen Unterschied zu dem dritten Präparat, zu Victoza, das täglich gespritzt werden müsse und zudem deutlich höhere Tagestherapiekosten mit sich bringe. Wie bei Ozempic zeichneten sich allerdings auch bei Trulicity Engpässe ab, sagt Jacobsen. So halte der Hersteller, das Pharmaunternehmen Lilly Deutschland, Ärzte bereits dazu an, keine neuen Patienten auf Trulicity einzustellen.

Auch betont Jacobsen, dass es grundsätzlich nie ganz unkompliziert sei, Diabetes-Zwei-Patienten medikamentös neu einzustellen. Auch deswegen finde er es sehr ärgerlich, wenn ein derartig "hervorragendes Medikament für Diabetes" wie Ozempic nicht lieferbar sei, weil es aufgrund eines Diät-Hypes vielfach zweckentfremdet werde. 

Holger Schelp, Vorsitzender des Hausärzteverbands Bremen, betont dennoch: "Andere Medikamente wie Insulin sind wichtiger." Zuckerkranke müssten sich wegen eines Lieferengpasses bei Ozempic keine ernsthaften Sorgen machen. Der Arzt sieht hinter dem Wirbel um das Mittel vor allem eine raffinierte Strategie des Herstellers mit dem Ziel, den Hype aus den USA zu nutzen und das Präparat massenhaft gut zu verkaufen.

Laut Hersteller, der dänischen Novo Nordisk Pharma GmbH, ist Ozempic ausschließlich "zur Behandlung des unzureichend kontrollierten Diabetes mellitus Typ 2" (Altersdiabetes) zugelassen. Wie kommt es dann, dass viele Menschen es auch zum Abnehmen einsetzen?

Ärztinnen und Ärzte dürfen ihren Patienten Medikamente auch für Anwendungen verschreiben, für die die Präparate gar nicht zugelassen sind, informiert der Gemeinsame Bundesausschuss, das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen Deutschlands. Man spricht bei derartigen Anwendungen eines Medikaments von Off-Label-Use. Zwar müssen die Krankenkassen in der Regel nicht für eine derartige zulassungsüberschreitende Anwendung von Arzneimitteln zahlen. Ärzte können ihren Patienten die entsprechenden Mittel aber auf Privatrezepten verschreiben – was im Falle von Ozempic offenbar öfter geschieht.

"Viele Patientinnen und Patienten wollen das Mittel aufgrund des Hypes in den USA unbedingt haben", schildert Holger Schelp die Erfahrungen Bremer Hausärzte und fügt hinzu: "Manche Kollegen stellen diesen Patienten daher gefälligerweise ein entsprechendes Privatrezept aus."

Eine Person steht auf einer Waage.
Um das Gewicht zu reduzieren, reiche es nicht, ein Medikament zu nehmen, sagt die Ärztekammer Niedersachsen. Man müsse sein Leben umstellen. Bild: dpa | empic/Chris Radburn

Wie wirken Ozempic und andere Medikamente, die Glutide enthalten?

"Diese Wirkstoffe ahmen die Wirkung des Darmhormons GLP-1 nach", erklärt Isabel Justus aus der Apothekerkammer Bremen. Dieses Hormon werde als Reaktion auf die Nahrungsaufnahme ausgeschüttet. Es sei an der Steuerung des Glukosestoffwechsels beteiligt, indem es die Abgabe von Insulin aus der Bauchspeicheldrüse fördere und gleichzeitig das Hormon Glukagon, einen Gegenspieler vom Insulin, hemme.

Außerdem trage es dazu bei, dass das Sättigungsgefühl früher einsetze. "Glutid reduziert das Körpergewicht und die Körperfettmasse durch eine geringere Energieaufnahme, indem der Appetit insgesamt verringert wird", so Justus.

Trotzdem gilt das Medikament als umstritten zur Bekämpfung von Übergewicht. Die Ärztekammer Niedersachsen warnt davor, Ozempic als "Lifestyle-Droge" zu missbrauchen. Eine dauerhafte Gewichtsabnahme sei nur durch neue Lebensgewohnheiten zu erreichen. Und die US-Arzneimittelbehörde FDA warnt vor möglicherweise starken Nebenwirkungen. So erhöhe Ozempic das Risiko von Schilddrüsenkrebs.

Trotz solcher Risiken und obwohl Ozempic bei uns nicht als Diät-Mittel zugelassen ist, wollen es offenbar viele Menschen zum Abnehmen nutzen. Bremens Apotheken berichten sogar von gefälschten Rezepten. Wie oft kommt so etwas vor?

Die Apotherkammer Bremen erfährt monatlich von etwa vier bis fünf gefälschten Rezepten im Land Bremen, sagt Isabel Justus und fügt hinzu: "Aber natürlich erfahren wir als Kammer nicht von allen Fällen."

Typischerweise gehe es in aller Regel um Medikamente, die abhängig machen können, wie zum Beispiel um Opioide und Opiate, etwa um Tilidin und Codein sowie ähnliche Schmerzmittel. Hinzu kämen Beruhigungsmittel wie Diazepam (früher bekannt als Valium) und andere Medikamente mit hohem Abhängigkeitspotential, darunter das Antiepileptikum Pregabalin. Doch zuletzt ging es in vereinzelten Fällen auch um Ozempic.

Für das Fälschen von Rezepten nutzen die Fälscher beispielsweise Blanko-Rezepte, um sie dann selbst auszufüllen. Solche Rezepte kann sich jeder kaufen. Andere Rezepte, insbesondere solche mit Praxisstempel stammten etwa aus Diebstählen in Arztpraxen, so Justus. Das Fälschen von Rezepten ist strafbar und kann in schweren Fällen sogar eine Freiheitsstrafe nach sich ziehen.

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Bild: dpa/Christin Klose
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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 21. Juni 2023, 10:10 Uhr