Das sind die 3 erschreckendsten Ergebnisse der Mosaic-Expedition

Acht Monate nach ihrer Rückkehr präsentieren die Bremerhavener Forscher konkretere Ergebnisse. Sie sprechen von katastrophalen Erkenntnissen – auch für uns Menschen.

Sie gilt als die größte Arktis-Expedition aller Zeiten: Im Oktober vergangenen Jahres waren Wissenschaftler aus aller Welt mit dem Eisbrecher "Polarstern" nach einem Jahr im Eis wieder nach Bremerhaven zurückgekehrt. In unterschiedlichen Teams mit Forschern aus 20 Nationen hatten sie unter der Leitung des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts (AWI) ein Jahr lang Daten in der Arktis gesammelt. Ziel der Expedition war es, den Einfluss der Arktis auf das globale Klima besser zu verstehen und Klimamodelle weiterzuentwickeln.

Jetzt stellten Fahrtleiter Markus Rex und Meereisphysikerin Stefanie Arndt vom AWI sowie Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) bei der Bundespressekonferenz in Berlin Ergebnisse ihrer Datenauswertungen vor:

1 Das Eis schmilzt schneller als jemals zuvor

Ein Mann steht auf der Brücke des Forschungsschiffes "Polarstern".
Markus Rex leitete die Mosaic-Expedition. Bild: Radio Bremen | Sonja Klanke

Während der Mosaic-Expedition hat sich das Eis laut Rex im Frühjahr schneller zurückgezogen als jemals zuvor seit Beginn der Aufzeichnungen. Die Eisausdehnung sei im Sommer nur noch halb so groß gewesen und auch die Dicke des Eises sei um mehr als die Hälfte zurückgegangen im Vergleich zu den Daten von vor fast 130 Jahren, als Polarforscher Fridtjof Nansen das Eis erforschte.

"Während des Winters der Mosaic-Expedition haben wir fast durchgehend zehn Grad höhere Temperaturen gemessen als Fridtjof Nansen", so Rex. Man stelle sich die Frage, ob das Eis überhaupt noch zu retten sei. Wenn man das marode und völlig zerschmolzene Eis am Nordpol im Sommer 2020 gesehen habe, überkämen einen da Zweifel, so Rex. Und mit dem Schmelzen des Meereises verschwinde auch Lebensraum der Tiere, betonte seine Kollegin Arndt.

Im Klimasystem gebe es gewisse "Kipppunkte", das seien Punkte, die zu plötzlichen irreversiblen Veränderungen führen, die ausgelöst werden, wenn die Erwärmung des Planeten einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, erklärte Rex. Der Kipppunkt, der zum Schmelzen des Eises führe, stehe unmittelbar bevor und sei nur einer der ersten, die bei einer zunehmenden Erderwärmung überschritten werden.

Das grönländische und das westantarktische Eisschild könnten instabil werden und langfristig verschwinden, wenn sich die globale Mitteltemperatur nur um 1,5 Grad Celsius erhöhe. "Auch die Alpengletscher sind bedroht und ob wir die Korallenriffe noch retten können, das wissen wir heute schon nicht mehr." Bei weiterer Erwärmung darüber hinaus würden noch viele weitere Kipppunkte im Klimasystem erreicht werden.

Eine Frau in der Arktis
Meereisphysikerin Stefanie Arndt leitete das internationale Meereis-Team des dritten Fahrtabschnitts der Expedition. Bild: AWI

"Einige von ihnen haben katastrophale globale Folgen", so Rex. Es seien zu viele, um sie alle aufzuzählen. Jenseits der Erwärmung von 1,5 Grad Celsius liege "ein Minenfeld solcher Kippunkte". Das Verschwinden des sommerlichen Meereises in der Arktis sei eine der ersten dieser Minen, die wir Menschen auslösen, wenn wir die Erderwärmung nicht stoppen. "Man kann sich tatsächlich fragen, ob wir nicht schon draufgetreten sind auf diese Mine und den Beginn der Explosion dieser Tretmine schon mit eigenen Augen gesehen haben."

2 Noch nie dagewesene Hitze droht

Die Forscher haben außerdem ein ungewöhnliches Wind-Zirkulationsmuster beobachtet mit einem arktischen Westwind-Jet, der stärker war als jemals seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1950. Das Windmuster und das dünne Eis führen zu einer schnellen Drift des Eises. Die Forscher seien schneller durch die Arktis gedriftet, als sie es erwartet hatten. Für die gesamte Drift haben die Forscher laut Arndt nur 300 Tage gebraucht, während Nansen damals drei Jahre gebraucht hat. "Für mich ist diese Dynamik sinnbildlich für die Veränderung der Arktis", so Arndt. Zudem sei die eisfreie Zeit im Sommer länger geworden.

Dieses Windband um die Arktis ist laut Rex entscheidet für unser Wetter. Extremwetterlagen wie die Hitzewelle im vergangenen Sommer werden laut Rex durch das Windband und den Rückgang des Eises verstärkt. Bei zu großer Erderwärmung drohe ein "Heißzeit-Zustand" auf der Erde, "der weit weg liegen wird von allem, was der Mensch, seitdem er als moderner Mensch auf diesem Planeten lebt, jemals gesehen hat."

Es tut weh zu wissen, dass wir womöglich die letzte Generation sind, die eine Arktis erleben darf, die im Sommer auch noch eine Meereisbedeckung hat.

Stefanie Arndt, Meereisphysikerin

3 Ozonschicht verschwindet

Im Frühjahr 2020 haben die Forscher laut Rex den größten Ozonabbau gemessen, der jemals aufgetreten ist. "In knapp 20 Kilometern Höhe, wo wir eigentlich das Maximum der Ozonschicht haben sollten, wurden innerhalb weniger Wochen 95 Prozent des Ozons zerstört." Im April habe man stellenweise fast gar kein Ozon mehr feststellen können, so Rex. Die Dicke der Ozonschicht über der Arktis sei dadurch phasenweise um mehr als die Hälfte reduziert worden.

In Kürze wollen die Forscher darüber weitere Informationen veröffentlichen, so Rex. Aber schon jetzt macht er die Folgen deutlich: Eine erhöhte UV-Strahlung sei schädlich für alle Bereiche des Ökosystems. Beim Menschen schwäche sie das Immunsystem, schädige die Augen und führe zu vermehrten Sonnenbränden, die wiederum Hautkrebs auslösen können. "Und das kann viele Tote zur Folge haben", so Rex.

Auswertung aller Daten dauert noch Jahre

Die Auswertung der riesigen Datenmengen wird noch viele Jahre dauern, betonte Rex. Es gelte, über 150 Terabyte Daten und Zehntausende Proben auszuwerten. Das passiere in Laboren auf der ganzen Welt. Allein aktuell gehen mehrere Hundert Forscher mehr als 300 spezifischen Fragestellungen nach. Die Informationen müssten "Puzzlestück um Puzzlestück" zusammengesetzt werden, um die Klimamodelle zu verbessern.

Alle Entscheidungen zum Klimaschutz würden auf diesen Modellen beruhen, so Rex. "Diese Entscheidungen werden sehr tiefgreifend sein, sie werden in alle Bereiche unserer Gesellschaft eingreifen und sie werden finanzielle Ressourcen in einem Maß umverteilen und umbewegen, wie wir es bisher durch politische Entscheidungen noch nicht gesehen haben."

Das ist laut Experten zu tun

Die Emissionen von Treibhausgasen müssen drastisch und schnell reduziert werden, betonte Rex in Berlin. Mit Klimaschutz sei viel zu spät begonnen worden. Die Klimaschutzziele der Bundesregierung seien zwar angemessen und gut, so Rex. Aber: "Jetzt kommt es aber drauf an, dass wir auch die gesellschaftlichen Mehrheiten bekommen für die konkreten Maßnahmen, damit wir diese auch erreichen können." Die Emissionsreduktion müsse wirtschaftlich attraktiver werden.

Allerdings werde das nicht reichen. "Alle noch glaubwürdig erreichbaren Treibhausgas-Emissionsszenarien, die es uns erlauben, die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts noch auf deutlich unter zwei Grad Celsius zu reduzieren, beruhen auf der Annahme negativer Emissionen in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts." Diese Technologien, die der Atmosphäre Treibhausgase entziehen, müssten aber noch entwickelt werden.

Der Kampf gegen den Klimawandel ist ein Marathon, kein Sprint.

Bundesministerin für Bildung und Forschung, Anja Karliczek, bei einer Bundespressekonferenz
Anja Karliczek (CDU), Bundesforschungsministerin

Rückblick: Sondersendung zur Rückkehr der Polarforscher

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 15. Juni 2021, 14:10 Uhr