Kultur für alle! Wie die Bremer Kulturtafel Teilhabe ermöglicht

Wie die Bremer Kulturtafel Menschen Musik und Theater näher bringt

Bild: Radio Bremen | Johanna Kroke

Wenig Geld, Probleme bei der Sprache oder Berührungsängste – viele Menschen in Bremen verzichten auf Kultur. Hauptsache Essen und ein Dach über dem Kopf. Oder?

Ein riesiger Teddybär, zusammengenäht aus alten Fellmänteln, seine Augen waren wohl einst Lederhosen. Jetzt sind sie zusammengerollt und blicken auf die kleine Besuchergruppe herab. Für die meisten von ihnen ist es an diesem Morgen der erste Besuch in der Weserburg und der Kontakt mit moderner Kunst.

Rex ist erst seit wenigen Monaten in Deutschland und hat gerade angefangen, die Sprache zu lernen: "Ich verstehe alles, aber ich bin langsam beim Antworten," erzählt er. Andere wie Danyil sind da schon etwas weiter. Und sie sind sich einig, der Teddybär ist bisher ihr Highlight in der Ausstellung.

Carsten Dohme, Projektleiter Kulturtafel Bremen
Carsten Dohme leitet das "Projekt Kulturtafel Bremen". Bild: Radio Bremen

Ermöglicht hat den Museumsbesuch die Kulturtafel Bremen. Das Projekt gibt es seit Oktober 2022, der Verein Ausspann e.V. hat es ins Leben gerufen. Menschen mit weniger Geld haben hier die Möglichkeit als "Kulturgast" Zugang zu Veranstaltungen, Ausstellungen oder Konzerten in Bremen zu bekommen. Es funktioniere ähnlich wie eine landläufige Tafel, erklärt Carsten Dohme, Leiter des Projekts.

Nur gibt es bei uns kein Essen, sondern Freikarten für Kulturveranstaltungen.

Carsten Dohme, Projektleiter Kulturtafel Bremen

Die Hemmschwelle zur Kultur

Bei der Kulturtafel können sich Menschen registrieren, deren Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsgrenze liegt. Die kostenlosen Eintrittskarten für die Kulturgäste werden von Veranstaltern und Kultureinrichtungen in Bremen gespendet.

Kulturtafel Besucher in Glocke
Studentin Esther ist Kulturbegleiterin. Bild: Radio Bremen

Neben dem Zugang zu Veranstaltungen vermittelt der Verein außerdem sogenannte Kulturbegleiter und Begleiterinnen. Eine von ihnen ist Esther Tuchigui. Sie ist Studentin und engagiert sich ehrenamtlich. Eine wichtige Aufgabe, denn gerade wer den Besuch von Museum, Theater oder Konzert nicht von zu Hause mitbekommen hat oder damit aufgewachsen ist, schrecke davor eher zurück.

Dieses Mal ist Esther mit der bunt zusammengewürfelten Gruppe aus einem Sprachcafé unterwegs, zu der auch Rex und Danyil gehören. In der Ausstellung sind zwar alle Erklärungen zu den Kunstwerken auch auf Englisch, Schwierigkeiten gibt es aber trotzdem. Alles an der Kasse beim Einlass zu verstehen, die Garderobe zu finden und unter den wachsamen Augen der Museumsmitarbeiter alle Regeln in der Ausstellung zu beachten ist nicht immer einfach.

Damit die ganze Gruppe den Besuch genießen kann und alles glatt läuft, ist die Kulturbegleiterin als Ansprechperson dabei und bildet Brücken – zwischen den Teilnehmern und zur Kunst.

Ist Kultur nur was für Reiche?

Die Überwindung, an Kultur teilzunehmen, sei hoch, erklärt Ronald Philipps. Er leitet das Sprachcafé beim Ausspann e.V. Die Corona-Pandemie habe in den letzten Jahren nicht zu einer Verbesserung beigetragen. Durch die Inflation achten viele noch mehr darauf, wie sie ihr Geld ausgeben.

Viele Menschen sind verschreckt und bleiben lieber in ihren Communitys.

Ronald Philipps, Ausspann e.V.

Durch die Kulturbegleiter bringe das Projekt außerdem Menschen in den Austausch über Kultur. Und geht sogar noch einen Schritt weiter: Wer beispielsweise für ein Konzert in der Bremer Glocke nichts passendes zum Anziehen hat, könne sich in einer projekteigenen Kleiderkammer bedienen, so Carsten Dohme. Denn: Kleider machen bekanntlich Leute und das passende Outfit helfe, sich unter den anderen Konzertbesuchern nicht unwohl oder fehl am Platz zu fühlen.

Seit Beginn des Projekts im vergangenen Herbst haben sich mehr als 400 Kulturgäste bei der Kulturtafel registriert und mehr als 850 Karten für Veranstaltungen wurden verteilt.

Interesse an Kultur wächst im Elternhaus

Bremer Glocke Konzert Orchester auf der Bühne
Wer nicht von Eltern an Konzerte wie dieses in der Glocke herangeführt wurde, besucht sie später eher nicht. Bild: Radio Bremen

Nicht allein die aktuelle finanzielle Situation bestimmt, ob Kulturveranstaltungen in den Alltag passen. Eine Studie des Rats für kulturelle Bildung aus Essen zeigt, dass das Interesse der Eltern und das Aufwachsen der Kinder mit Kultur eine prägende Rolle spiele.

Eltern und deren eigene (kulturelle) Bildung würden einen bedeutenderen Einfluss auf die Kinder nehmen als die Schule. So könne auch ein kulturelles Angebot in der Schule das Interesse der Kinder nur schwer wecken oder fördern. Kurz gesagt: Hatten Menschen wenig Berührung mit Museum, Theater und Co., sind diese Kulturveranstaltungen auch im Alltag der nächsten Generation wenig präsent.

Teilhabe heißt, dass ich aktiv mitwirken kann.

Dr. Margrit E. Kaufmann, Expertin für Diversität an der Uni Bremen

Dann ist da halt kein Interesse, na und? Könnte man meinen, auf den ersten Blick geht es nur um den Besuch von Kultureinrichtungen. Allein damit ende kulturelle Teilhabe aber nicht, erklärt Dr. Margrit E. Kaufmann von der Uni Bremen. "Teilhabe meint, dass ich aktiv mitwirken kann am gesellschaftlichen Leben und Wirken," erklärt die Expertin für Diversität.

Im Umkehrschluss heißt das auch, wer nicht an Kultur teilhaben kann, weil Geld, Interesse oder Sprache fehlen, ist vom gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen, im Abseits. Das bedeute gleichzeitig, dass diese Menschen auch bei gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Entscheidungen nicht berücksichtigt oder mit einbezogen würden.

Jeder hat Recht auf Kultur

Nicht ohne Grund sei die Teilhaben an Kultur ein von der UN festgelegtes Menschenrecht, erklärt Kaufmann. Es richte sich gegen die Ausgrenzung von Personen, für einen gesellschaftlichen Zusammenhalt und demokratische Strukturen. Kultur ist für jeden und die UN versteht unter diesem Menschenrecht noch weit mehr als einen Besuch im Museum. Neben Kunst und Literatur schließt es außerdem Lebensformen, Wertvorstellungen, Traditionen und Glaubensrichtungen mit ein. Kultur sei demnach der Schlüssel, um gemeinsame Werte und Normen für ein Zusammenleben zu prägen.

Da geht noch mehr

Von politischer Seite werde gerne mal an Kultur gespart. Bisher werde nicht genug gewürdigt, wie wichtig gemeinsame Kulturerlebnisse sind, sagt Margrit E. Kaufmann. Nicht nur braucht es finanzielle Ressourcen, sondern auch ein Bewusstsein im Bildungsbereich für Inklusion. Laut der Expertin müsse es einen Zugang für Mehrsprachigkeit und leichte Sprache in Angeboten geben. Ebenso wie eine Architektur, die für alle zugänglich ist.

Kultur schafft gemeinsame Begegnung

Die Gruppe des Sprachcafés in der Weserburg hat ihren eigenen Zugang dazu gefunden, auch wenn sich über moderne Kunst wohl streiten lässt. Für sie ist der Besuch in der Weserburg eine Möglichkeit rauszukommen, eine gemeinsame Erfahrung zu machen und sich kennenzulernen. Und vielleicht die Freunde an der Kultur weiterzutragen. Danyil zum Beispiel ist begeistert. In Zukunft will er, wie Esther, als Kulturbegleiter Menschen und Kultur zusammenbringen.

Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 2. Juli 2023, 19:30 Uhr