Fragen & Antworten

Klamme Kommunen: Wieso viele Gemeinden rund um Bremen Geldsorgen haben

Erzieherinnen mit Kindern in einer Kinderkrippe, vorne an der Tür ein Hinweis an der Tür an die Eltern, draußen zu bleiben (Symbolbild)
Die Kinderbetreuung stellt die Kommunen vor große finanzielle Herausforderungen. Bild: dpa | Sven Simon/Frank Hoermann

Viele Kommunen im Bremer Umland stehen mit dem Rücken zur Wand. Sie können die Kosten für staatliche Aufgaben kaum noch stemmen. Auch für Investitionen fehlt Geld. Doch warum?

Lilienthal erhöht Steuern. Damit soll der Fehlbetrag von 2,2 Millionen Euro im aktuellen Entwurf des Haushaltsplans für 2024 zumindest auf etwa 300.000 Euro reduziert werden, erklärt der Kämmerer der Gemeinde, Hartmut Schlobohm. Konkret plane Lilienthal daher, die Grundsteuer B für gewerbliche und private Grundstücke von 480 auf 590 Prozent anzuheben (in Bremen: 695 Prozent) und die Gewerbesteuer zu erhöhen: auf 460 Prozent – und damit auf Bremer Niveau.

Schlobohm geht fest davon aus, dass der Rat der Steuererhöhung am 21. Dezember zustimmen wird. Denn die Alternative wäre, dass Lilienthal bei den sogenannten freiwilligen Leistungen den Rotstift ansetzen müsste: etwa bei Zuschüssen für Senioreneinrichtungen, für das Jugendheim, die Volkshochschule und für die Kultur. "Aber das ist bei uns politisch nicht gewollt", stellt Schlobohm dazu klar. Also bleibe nur die Steuererhöhung.

Ob Lilienthal, Twistringen, Achim, Worpswede oder Schiffdorf – im Kern sind die Probleme überall die gleichen. Viele Städte und Gemeinden im Bremer Umland wie im gesamten Bundesgebiet sind klamm und sorgen sich um ihre Zukunft. Den kommunalen Haushalten droht eine dauerhafte Schieflage, sagen die Kommunalen Spitzenverbände Deutscher Städtetag, Deutscher Städte- und Gemeindebund und Deutscher Landkreistag. Wir geben einen Überblick zu den Gründen für die Finanzkrise der Kommunen.

Diese Kosten setzen den Kommunen besonders zu:

Gründe für leere Kassen in den Kommunen Steigende Kosten für Kinderbetreuung Hohe Bau- und Sanierungskosten Gründe für leere Kassen in den Kommunen Inflation Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst Hohe Energiekosten Weniger Steuereinnahmen wegen Entlastungspaketen für die Wirtschaft Kosten für Flüchtlingsunterbringung Deutschlandticket
Bild: Radio Bremen Quelle: Kommunale Spitzenverbände, eigene Recherchen

Oft ist von staatlichen Pflichtaufgaben der Städte und Gemeinden die Rede, die immer höher zu Buche schlagen. Welche dieser Pflichtaufgaben sind die größten Kostenfaktoren?

Der mit Abstand größte Kostenfaktor liege in der Betreuung von Kindern in Tageseinrichtungen, sagt Stephan Meyn, Sprecher des Niedersächsischen Städte- und Gemeindebunds: "Einerseits steigt die Nachfrage fortwährend, andererseits schlagen hier die allgemeinen Kostentreiber erheblich zu Buche."

Meyn verweist in diesem Zusammenhang auf die gestiegenen Energiekosten sowie auf jene für das Personal, die den Gemeinden zu schaffen machten. Erschwerend hinzu kämen steigende Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen sowie steigende Kosten für Investitionen aufgrund der Baupreise sowie der Preise im Handwerk.
 

Ein Mann geht in einer Flüchtlingsunterkunft an Schildern vorbei
Flüchtlinge unterzubringen, kostet die Kommunen mehr Geld, als sie vom Bund dafür bekommen. Bild: dpa | Hannes P Albert

Die kommunalen Spitzenverbände werfen Bund und Ländern vor, den Kommunen immer wieder neue Aufgaben zu übertragen, ohne ihnen in angemessener Weise bei der Finanzierung zu helfen. Beschweren sich die Kommunen zurecht?

Ja, tun sie. Das sagt zumindest Kirsten Witte, Direktorin des Zentrums für Nachhaltige Kommunen der Bertelsmann-Stiftung.

Wir sind weit davon entfernt, dass Bund und Länder die Kommunen auskömmlich finanzieren.

Wirtschaftswissenschaftlerin Kirsten Witte, Bertelsmann-Stiftung

Witte verweist auf das sogenannte Konnexitätsprinzip, das Bund und Länder aus ihrer Sicht zusehends unterlaufen. Dabei handelt es sich um einen staatsrechtlich verankerten Grundsatz, wonach die Kosten für öffentliche Aufgaben von denjenigen getragen werden müssen, die darüber entscheiden, in welchem Umfang eine Kommune diese Aufgaben erfüllen muss.

Beispielhaft spricht sie von der Flüchtlingsintegration, von der Wärmeplanung und vom Wohngeld. "Das sind alles Aufgaben, die sich die Kommunen nicht ausgesucht haben", sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Bund und Länder würden die Kommunen hierbei zwar unterstützen. "Es bleiben aber noch viele Kosten bei den Städten und Gemeinden hängen", so Witte.

Hinzu komme, dass der Bund immer wieder Entlastungspakete für die Wirtschaft schnüre, die in den Kommunen für steuerliche Mindereinnahmen sorgten. Das gelte etwa auch für das umstrittene "Wachstumschancengesetz", das der Bundestag im November beschlossen hat. Das Wachstumschancengesetz soll Unternehmen, die klimafreundliche Investitionen tätigen, steuerlich entlasten. Dadurch gehen auch den Kommunen Einnahmen verloren.

Ein Bauarbeiter auf einer Baustelle (Symbolbild)
Die Baukosten sind erheblich gestiegen. Für Kommunen, die in ihre Infrastruktur investieren müssen, ist das ein Problem. Bild: Imago | Andia

Neben armen Kommunen gibt es auch reiche Städte und Gemeinden in Deutschland, etwa Großstädte wie München, Düsseldorf oder Frankfurt. Woran liegt es, dass die Kommunen in Deutschland so unterschiedlich pralle beziehungsweise leere Kassen haben?

Dazu sagt Witte: "Es gibt zwei Haupttreiber für zunehmende Ungleichheit: die Steuereinnahmen und die Sozialausgaben. Zuweisungen von Bund und Ländern und auch die Finanzausgleichssysteme schaffen es nicht, diese Unterschiede abzubauen."
 
So hingen die Steuereinnahmen einer Kommune stark von ihrer Wirtschaftskraft ab. Je stärker die Wirtschaft ist, desto höher seien die Steuereinnahmen – und umgekehrt. Jene Gemeinden, die keine starke Wirtschaft hätten, hätten in der Regel aber nicht nur vergleichsweise geringe Steuereinnahmen, sondern auch hohe Sozialausgaben, beispielsweise aufgrund hoher Arbeitslosenzahlen. Dadurch klaffe die Schere zwischen reichen und armen Kommunen zusätzlich auseinander, so Witte.
 
Zwar sollen der Finanzkraftausgleich zwischen Bund und Ländern sowie der kommunale Finanzkraftausgleich die Unterschiede zwischen den Ländern und Kommunen im Wesentlichen ausgleichen. "Tatsächlich nivelliert der Finanzausgleich die Unterschiede aber nur teilweise", sagt Witte. Um für mehr Gerechtigkeit zu sorgen, müsste man den Finanzkraftausgleich überarbeiten. "Doch das ist nicht nur unglaublich schwierig und kompliziert. Da prallen auch grundverschiedene Interessen aufeinander", erklärt die Wissenschaftlerin. Wer glaube, dass es hier eine zugleich einfache und konsensfähige Lösung gebe, mache sich etwas vor.

Was müsste sich aus Sicht der kommunalen Spitzenverbände ändern, damit die Städte und Gemeinden ihre Aufgaben auch künftig finanzieren können?

"Aus unserer Sicht muss die Finanzausstattung der Kommunen auf neue Füße gestellt werden", sagt Stephan Meyn vom Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund. Entsprechend fordern die Kommunalen Spitzenverbände in einer gemeinsamen Pressemitteilung vom Juli des laufenden Jahres, dass die Einnahmen aus den Gemeinschaftssteuern zwischen Bund, Ländern und Gemeinden neu aufgeteilt werden – und die Gemeinden mehr bekommen als zurzeit. Zu den Gemeinschaftssteuern zählen etwa Lohn-, Einkommens- und Umsatzsteuern.

Andernfalls würden die kommunalen Haushalte dauerhaft in Schieflage geraten, mahnen sie. Defizite wären die Folge, selbst notwendige Investitionen könnten nicht mehr getätigt werden.

Kommunale Wärmeplanung: Wo stehen Bremen und Bremerhaven?

Bild: Radio Bremen

Mehr zum Thema:

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 17. Dezember 2023, 19:30 Uhr