Kommentar

Bremer Freimarktsumzug: Alkohol ist inzwischen wichtiger als Tradition

Auf einem Wagen des Freimarkt-Umzugs steht das Wort "Saufstelle" geschrieben.
Auf solchen Wagen geht es oft mehr ums Saufen, findet unser Kommentator. Bild: dpa | Sascha Stüber

Neben schönen Wagen und Gruppen geht es den meisten Teilnehmenden beim Bremer Umzug nur noch ums Saufen, findet unser Kommentator Wolfgang Loock. Das bedauert er.

135 Gruppen, Vereine und Freundeskreise waren beim 54. Freimarktsumzug dabei, und mein Eindruck ist: Die meisten kommen nicht wegen der Tradition, wegen des Freimarkts oder wegen der Prämierungen. Sie sind nur noch zum Saufen da.

Zugegeben, es gab am vergangenen Samstag wirklich schöne, liebevoll aufbereitete und aufwendig gestaltete Festwagen. Der schönste laut Jury war der riesige Drache vom Schützenverein Urneburg. Auch bei den Laufgruppen und den Verkleidungen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer war es meist schön bunt. Die Einrad-Clowns der Bremer Unicycler durften sich über den ersten Platz in der Kategorie Laufgruppe freuen.

Aber was konnten die rund 100.000 Schaulustigen am Rand des Umzugs – viele Eltern mit ihren Kindern waren darunter – auch bestaunen? Da waren Gruppen, die hießen zum Beispiel "Schluckspechte", "Promillehausen", "Saufstelle" oder "Team Korn". Vielleicht ging es dabei sogar ein wenig um das Getreide und nicht nur um die Spirituose.

Selbst Blasorchester spielen Ballermann-Hits

Sei es drum – Alkohol soll hier eigentlich nur in Maßen genossen werden und nicht ausartend, heißt es vom Veranstalter. Dennoch ging es bei vielen Festwagen eher darum, so laut wie möglich mit den größten Boxen auf den Trucks die gängigen Ballermann-Hits wie den von der "Puffmama Layla" abzufeuern und dabei möglichst rotzevoll mit Kamelle zu schmeißen … wenn denn überhaupt noch Platz für Bonschen auf dem Wagen war. Denn irgendwo mussten die zehn Kisten Bier und die vier Kartons Schnaps ja auch untergebracht werden. Das hat doch nichts mehr mit Feiern oder mit Tradition zu tun!

Und was sollen die Kids denken, die am Rand stehen, wenn sie auf den Wagen Sprüche lesen wie "Der schönste Hahn ist der Zapfhahn" oder "Morgens müde, abends blau, ich bin Baggerfahrer und lebe für den Bau." Und selbst das Borkener Blasorchester von 1919 e. V. spielt mit Pauken und Trompeten ein neu-deutsches Liedgut namens "Bumsbar", wo "geile Mädels und Jungs da" sind.

Nicht ermutigt, mit Tochter wieder dabei zu sein

Ich bin in Bremen geboren, war schon als Kind sehr gerne jedes Jahr beim Umzug dabei und habe wie die Jungs und Mädchen am Wochenende auch mit einem umgedrehten Regenschirm die Bonschen gefangen. Als Jugendlicher bin ich selbst mitgelaufen und war Teil von Laufgruppen meines Vereins und der Tanzschule. Und auch mit den Kolleginnen und Kollegen von Bremen Vier habe ich damals auf dem Festwagen laute und feuchtfröhliche Partys während des Umzugs gefeiert. Und ja: auch dabei gab es Bier und Schnaps zu trinken.

Aber bei weitem nicht in dem Ausmaß, was ich in den vergangenen Jahren erlebt habe. Als Vater fühle ich mich jetzt nicht unbedingt dazu ermutigt, im kommenden Jahr mit meiner Tochter am Rand zu stehen und mit den Teilnehmern des Umzugs den Freimarkt zu feiern. Vor allem, wenn diese sich eigentlich viel lieber selbst feiern wollen.

Der komplette Bremer Freimarktsumzug im Video

Bild: dpa | Sina Schuldt

Autor

  • Wolfgang Loock
    Wolfgang Loock

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Nachmittag, 23. Oktober 2023, 14:40 Uhr