Interview

Bremerhavener THW-Helfer über 2021: "Viele mussten Leichen bergen"

Ein Mann blickt auf zerstörtes Gelände und eine kaputte Flussbrücke.
André Schröder vom THW Bremerhaven bei der Erkundung einer beschädigten Brücke über die Ahr. Bild: André Schröder

Unter den Helfern beim Ahr-Hochwasser im Sommer war André Schröder vom THW. Er habe Glück gehabt, sagt er – andere bargen Leichen. Und das Jahr hatte weitere Herausforderungen.

Das brachiale Hochwasser im Sommer hat in Südwestdeutschland immense Schäden angerichtet, Lebensträume in nur einer Nacht zerstört. Meterhoch türmte sich am 14. und 15. Juli die braune Sturzflut der Ahr nach extremem Starkregen auf. 134 Menschen sind im Flusstal getötet worden und rund 25.000 betroffen – eine doppelte Katastrophe aus Hochwasser und Pandemie.

Ein Mann in blauer Kleidung steht neben einem blauen Bus.
Der 43-jährige André Schröder ist stellvertretender THW-Ortsbeauftragter und Polizist. Bild: André Schröder

Menschen aus ganz Deutschland machten sich auf den Weg ins Krisengebiet, darunter auch Helferinnen und Helfer aus Bremerhaven. Einer von ihnen ist André Schröder, Ehrenamtlicher, stellvertretender Ortsbeauftragter beim Technischen Hilfswerk (THW) in Bremerhaven und hauptberuflich Polizist in Schiffdorf. So erinnert sich der 43-Jährige an die angespannte Ausnahmesituation und das Corona-Jahr.

Wie lief Ihr Einsatz im Katastrophengebiet?

Ende Juli war ich für eine knappe Woche in der Krisenregion und beim Stab der THW-Leitung in Bonn – zusammen mit Helfern aus dem ganzen Bundesgebiet. Dort habe ich mich um Öffentlichkeitsarbeit gekümmert, Büroarbeit gemacht, war aber auch im Gelände unterwegs. Wir sind durch die Orte gefahren, haben mit Ver- und Entsorgern gesprochen und identifiziert, wo das THW helfen kann.

Zum Beispiel war ein großes Zentralklärwerk direkt an der Ahr in Sinzig im Landkreis Ahrweiler komplett überspült und konnte nicht mehr klären – die Abwasserentsorgung war zerstört. Das THW hat dann mit Pumpen von der anderen Flussseite über eine entfernte Brücke Abwasser ins Klärwerk gepumpt, um die Versorgung in dem Gebiet wieder herzustellen.

Ein blaues Fahrzeug steht neben einem Wassertank.
THW-Einsatz am Klärwerk in Sinzig. Bild: André Schröder

Und wie haben Sie diese Zeit im Sommer persönlich erlebt?

Ich bin seit meiner Kindheit beim THW und habe schon "normale" Hochwasser mitgemacht. Aber das war etwas Anderes – sehr ungewöhnlich. Damit habe ich nicht gerechnet und solche Dimensionen noch nie gesehen. Es wurde oft beschrieben, als wäre ein Tsunami durchgezogen – das trifft es ziemlich gut. Ich habe in Ahrweiler studiert, kenne die Gegend also. In einer Bevölkerungsschutzschule vom Bund war nun der Stab des Landes Rheinland-Pfalz eingerichtet. Dort kam man auf normalem Wege gar nicht mehr hin, eine massive, zweispurige Autobrücke war zerstört, einfach weg.

Wir sind auch an Autofriedhöfen vorbeigefahren. Das werden nicht alles leere Wagen gewesen sein, dort werden Menschen ums Leben gekommen sein. Es war sehr bedrückend. Kilometerweit ging es von einer zur nächsten Schadensstelle, das kannte man aus Deutschland so nicht. Aus Eigenschutz muss ich sagen: Gott sei Dank ist mir das menschliche Leid erspart geblieben. Als ich dorthin kam, bestand keine unmittelbare Lebensgefahr mehr, die Menschenrettung war abgeschlossen. Andere mussten deutlich mehr mitansehen, viele mussten Leichen bergen. Das war schon heftig, auch für THW-Verhältnisse. Ich habe Glück gehabt.

Wie lief Ihr Jahr sonst unter den Bedingungen – im Positiven, wie im Negativen?

Der THW-Einsatz dort läuft nach wie vor und sorgt weiterhin für Infrastruktur. Ende November haben wir Bremerhavener zuletzt Bauteile für provisorische Brücken hingebracht. Wir haben bereits Teile für 21 große Brücken aus einem Lager bei Hannover geliefert, in Konvois mit vielen anderen Ortsverbänden.

Ein Mann in blauer Schutzkleidung steht neben einem Bagger und einem Lkw mit Brückenteilen.
Die Bremerhavener haben bereits Teile für 21 provisorische Brücken ins Ahrtal geliefert. Bild: THW Bremerhaven

Was uns einsatzmäßig in Bremerhaven sonst geprägt hat, war die Pandemie. Wir haben Mangelressourcen wie Schutzausrüstung oder Corona-Tests für die Stadt verwaltet, eingelagert und die Logistik übernommen, zum Beispiel für Altenheime. Das beschäftigt uns seit April 2020 ehrenamtlich und hat uns das ganze Jahr gefordert. Außerdem haben wir das Impfzentrum auf- und umgebaut, beliefert und im Herbst wieder abgebaut. Kurz darauf kam der Aufbau der Impfpraxis.

Spezielle Probleme oder Tiefpunkte fallen mir sonst gar nicht ein. Bei einem Laden mit 100 Leuten gibt es einzelne Schicksale, aber große Katastrophen für uns persönlich sind zum Glück ausgeblieben. Zu den Highlights zählt, dass wir uns mal wieder in den Ortsverbänden treffen konnten. Das Gegenteil war, als wir dann alles wieder herunterfahren mussten und nur noch das Nötigste tun konnten.

Ausblick aufs neue Jahr: Was sind Ihre Wünsche und Hoffnungen für 2022?

Wie es sich wahrscheinlich alle wünschen: Dass wir die Pandemie überwinden. Die Corona-Drehscheibe ist logistisch schon eine Mammutaufgabe für das Ehrenamt. Es wäre schön, mal wieder das normale THW-Leben zu leben: gemeinsam wegfahren, feiern, normale Ausbildungen machen. Und mal wieder ein Stadtfest unter normalen Bedingungen. Egal ob Sail oder Maritime Tage, da sind wir Teil des Sicherheitskonzepts, zum Beispiel mit unseren Booten. Das ist immer ein Highlight, war aber diesmal ja auch beschränkt.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 30. Dezember 2021, 19:30 Uhr