Interview
Neujahrsvorsätze durchhalten: "Der Spaß-Faktor ist ganz wichtig"
Was es braucht, um wirklich etwas zu ändern und warum der Jahresanfang sich dafür gut eignet, erklärt die Bremer Gesundheitspsychologin Sonia Lippke.
Das Gefühl der allgemeinen Aufbruchstimmung am Jahresanfang kann man sich durchaus zunutze machen, meint Sonia Lippke, Professorin für Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Constructor University Bremen. Nach der Weihnachtszeit mit "vielen Möglichkeiten für Fehltritte", könne man jetzt gut zur Ruhe kommen.
Frau Lippke, die erste Januarwoche ist schon fast rum, wie lange muss man denn einen guten Vorsatz durchziehen, damit er wirklich zur Gewohnheit wird?
Es ist eigentlich nie zu spät, sich einen Neujahrsvorsatz zu bilden. Auch wenn man jetzt erst auf die Idee kommt. Wie lange man ihn durchhalten müsste, damit er sich so im Leben verselbständigt, das ist eine gute Frage. Es gibt Ziele, die man sehr einfach implementieren kann und die dann auch automatisiert werden. Aber die meisten Lebensinhalte, die wir verändern wollen, die brauchen einfach eine sehr lange Zeit. Wenn man zum Beispiel ans Nichtrauchen denkt, wissen wir, dass es zwischen sechs Monaten und zwei Jahren dauert. Man muss wirklich ganz lange durchhalten, damit Gewohnheiten so geändert werden, dass man beim Beispiel Rauchen nicht mehr dieses Verlangen zu rauchen hat.
Viele Menschen wollen in diesem Jahr laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag der DAK an erster Stelle mehr Zeit mit Freunden und Familie verbringen. Wie schafft man es, sich mehr Zeit freizuschaufeln?
Nach einer Umfrage von Statista steht an erster und an sechster Stelle der Neujahrsvorsätze mehr Geld sparen und weniger Geld für Lebenshaltungskosten ausgeben. Die haben wir in den letzten Jahren bei den Neujahrsvorsätzen nicht gesehen. Da sehen wir einen gewissen neuen Trend mit dem Sparen.
Um es zu schaffen, mehr Zeit mit der Familie zu verbringen, würde ich erstmal empfehlen, sich diese verschiedenen Ziele genauer anzugucken. Es geht nicht nur um quantitativ mehr Zeit, sondern auch ums Qualitative. Das bedeutet zum Beispiel, dass man nicht zu viel gleichzeitig macht. Dass man zum Beispiel, wenn man zu Hause ist, das Handy ausschaltet und sich nicht multitaskingmäßig gleichzeitig mit der Arbeit beschäftigt, oder mit anderen Menschen, sondern sich komplett auf die Familie einstellt. Oder, wenn man sich mit Freunden trifft, nicht gleichzeitig noch digital mit anderen Leuten in Kontakt ist.
Wie kriegt man das bei einem vollen Terminkalender hin?
Das Wichtigste ist, dass man sich ganz genau überlegt, wie wichtig einem das ist und warum und wie man es realisieren kann. Wenn man mehr Zeit mit der Familie verbringen will, wäre es eine Möglichkeit, dass man sich überlegt: Was mache ich noch alles in meinem Alltag? Und wann sind wirklich mal Zeiten, wo die Familie zusammenkommen kann?
Von meinen eigenen Kindern kann ich berichten: Die schlafen morgens sehr lange. Ob ich also morgens zu Hause bin oder nicht, im Home Office arbeite, am Frühstückstisch sitze und auf sie warte, das macht keinen Unterschied. Aber es gibt Zeiten während des Tages, zu denen es einen großen Unterschied macht, ob ich zu Hause bin und mit den Kindern am besten ein selbstgekochtes Essen esse, oder ob gleichzeitig der Fernseher läuft oder ich mit dem Handy dasitze und versuche, irgendwelche Probleme bei der Arbeit zu lösen.
Da ist es natürlich wichtig, die Work-Life-Boundaries klarzukriegen: Dass man zum Beispiel sagt, bis um 16 Uhr kann ich angerufen werden und danach ist Familienzeit, da nehme ich keine Anrufe mehr entgegen, sondern erst am nächsten Tag, so dass man ungestörte Zeiten hat. Das ist zum Einen eine Einstellungssache und zum Anderen eine Frage der Kommunikation, zum Beispiel an den Chef. Damit andere Leute sich darauf auch einstellen können.
Viele Menschen scheitern mit ihren Neujahrsvorsätzen. Was sind die häufigsten Gründe dafür?
Der innere Schweinehund ist ein ganz großer Faktor, also dass man sich dann doch nicht mehr überwinden kann. Die Zeit ist aber auch ein ganz großes Problem. Bei der Zeiteinteilung ist ganz wichtig, dass man sich überlegt, wie sieht eigentlich der Alltag aus, wie ist der durchgetaktet. Wenn es zum Beispiel um das Ziel Sport treiben geht, sollte man sich ganz genau in den Kalender eintragen, wann man denn Sport treiben möchte.
Es gibt ja viele, die gerne morgens Sport machen. Diese Menschen sollten sich überlegen, wann sie aufstehen können und sich nicht morgens früh gleich Termine reinlegen. Wenn sie abends Sport machen, muss klar sein, wann sie von der Arbeit weggehen und wann ungestörte Zeit dafür ist. Man kann natürlich auch über den Tag eine solche Phase genauso im Kalender einbuchen wie jeden anderen Besprechungstermin.
Da höre ich heraus, man sollte es so konkret wie möglich machen.
Genau. Das Problem Zeit ist über einen Kalendereintrag ganz gut in den Griff zu bekommen. Dann gibt es natürlich Dinge, die dazwischen kommen können, gerade soziale Faktoren. Wenn plötzlich eine Freundin zu Besuch kommt, dann will man die natürlich auch nicht einfach alleine zu Hause sitzen lassen, und sagen: 'Ich muss jetzt mal eben eine Runde joggen.' Es ist sinnvoll, sich vorher zu überlegen, was alles dazwischen kommen könnte. Und wenn das jetzt die Freundin ist, dann statt joggen eine Runde gemeinsam spazieren gehen. Dann hat man schon mal zwei Ziele in einem erledigt und hat vielleicht auch gemeinsam eine schönere Zeit, indem man hinterher realisiert: Wir haben nicht nur ganz viele Kekse gegessen, sondern gemeinsam an diesem guten Vorsatz festgehalten.
In einer Situation, in der man eigentlich im Park joggen gehen wollte und dann regnet es, kann man überlegen, ob es eine Möglichkeit gibt, trotz des Regens zu joggen, also vielleicht sich im Keller oder Wohnzimmer bewegen oder ins Schwimmbad gehen oder die richtige Kleidung anziehen, so dass der Regen nichts ausmacht.
Was sind abgesehen von Zeitplanung und konkret sein die wichtigsten Stellschrauben, um Gewohnheiten zu ändern?
Es ist wichtig, überhaupt erstmal anzufangen. Das ist so wie beim Stricken eines Pullis. Wenn man nicht die erste Masche strickt, dann wird es nie ein Pulli. Man muss sich irgendwie motivieren, mal loszulegen. Und dann sollte man wissen, dass die erste Phase immer schwierig ist und nicht wirklich Spaß macht, aber dann nach einer gewissen Zeit kann man nochmal da draufschauen und sich fragen: Was hat man jetzt schon geschafft? Hat es Spaß gemacht? Wenn es nicht richtig Spaß gemacht hat, sich fragen, was man denn verändern kann, dass es vielleicht doch Spaß macht.
Dieser Spaß-Faktor ist ganz wichtig und langfristig entscheidend dafür, ob man das Ziel weiter verfolgt. Wer sich immer nur zwingen muss, zum Sport zu gehen, weil das eine dauerhafte Plackerei ist, und er oder sie merkt gar nicht, dass das wirklich guttut oder zu dem Ergebnis führt, das man sich wünscht, der sollte sich überlegen, ob es nicht eine andere Art von Sport gibt, die auch zu dem Ziel führen könnte, aber mehr Spaß macht. Ganz wichtig ist der soziale Faktor. Oft ist es so, dass man gar keine Lust zum Joggen hat, aber wenn man weiß, dass der Nachbar vor der Tür steht, geht es schon mal einfacher und man hat eine Gemeinsamkeit, und das überbrückt diese erste Schwierigkeit. Im übertragenen Sinne kann man das so sehen, dass man den inneren Schweinehund an die Leine nimmt.
Quelle: buten un binnen.