Interview

"Junge Räuber" aus Nordafrika in Bremen: Wer sind diese Jugendlichen?

Eine Frau wird an einer Haltestellt von einem Mann angegriffen, der an ihrer Tasche zieht (Symbolbild)
Bild: Imago | Panthermedia/Andrey Popov

Sie sind wenige, aber offenbar für viele Straftaten verantwortlich: In Bremen halten junge Kriminelle aus den Maghreb-Staaten die Polizei in Atem. Wie kann Bremen mit ihnen umgehen?

Die aktuelle Kriminalstatistik der Bremer Polizei zeigt eine generelle Zunahme bei Kriminalität, aber vor allem auch einen rasanten Anstieg bei Überfällen. 2023 gab es rund 70 Prozent mehr Raubdelikte als im Jahr zuvor – die absolute Zahl ist von 844 auf 1.439 Fällen gestiegen. Dabei werden die Verdächtigen immer jünger. Und: Laut des vorgestellten Berichts ist der Anteil an nichtdeutschen Verdächtigen in einigen Bereichen wie Raub und Diebstahl auffallend hoch. Die dafür ins Leben gerufene Soko "Junge Räuber" hat laut Bremer Innenressort seit September 2023 mehr als 410 Straftaten aufgeklärt sowie 28 Haftbefehle erwirkt.

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Dabei stellte sich heraus: Knapp die Hälfte der 135 jungen Tatverdächtigen kommen laut Polizei aus Marokko und Algerien. buten un binnen geht im Interview mit dem Sprecher der Bremer Behörde für Soziales, Jugend und Integration, Bernd Schneider, der Frage auf den Grund, wer diese jungen Menschen sind.

Welche Erklärung gibt es dafür, dass besonders viele junge Tatverdächtige aus Marokko und Algerien kommen?

Die Frage ist so nicht so ganz leicht zu beantworten. Es gibt tatsächlich eine Gruppe von jungen Menschen aus den Maghreb-Staaten, die in ganz Europa unterwegs ist. Die hat so eine Art Straßensozialisation. Das heißt, die sind auf der Straße mehr oder weniger groß geworden – ohne feste häusliche Bindungen und ohne familiäre Bindungen. Und die sind tatsächlich in vielen Städten Europas unterwegs und tauchen immer wieder mal hier und mal da auf. Es ist Teil ihrer Lebensweise, sich mit kleineren und größeren Straftaten irgendwie über Wasser zu halten.

Der Sprecher des Sozialressorts Bernd Schneider im Interview.
Bernd Schneider ist Sprecher der Bremer Behörde für Soziales, Jugend und Integration. Bild: Radio Bremen

Das sind also Leute, die immer mal Ländergrenzen überschreiten? Also kann es sein, dass die heute in Bremen sind und morgen schon in den Niederlanden?

Das ist eine sehr dynamische Szene. Die jungen Leute tauchen irgendwo auf, finden zum Teil auch Aufnahme in Einrichtungen in der Jugendhilfe. Sie haben auch einen Rechtsanspruch darauf, aufgenommen zu werden. Sie halten sich dann eine gewisse Zeit in den Städten und Einrichtungen auf und sind dann aber relativ schnell wieder weg, wenn sie wegen ihrer Straftaten auffällig werden. Also wenn die Polizei ihnen zu sehr auf die Pelle rückt.

Es ist unheimlich schwierig, mit diesen jungen Leuten zu arbeiten. Denn die gesamte Jugendhilfe, aber auch die Strafverfolgung im Jugendstrafrecht ist darauf ausgerichtet, die jungen Leute zu resozialisieren und ihnen passende Angebote zu machen.

Aber warum spielen Algerien und Marokko so eine große Rolle?

Es sind die Maghreb-Staaten, die da aus polizeilicher Sicht immer wieder auffällig sind. Man kann ein bisschen mutmaßen, woran das liegt. Ich glaube, es sind die Verbindungen nach Frankreich und nach Spanien, die da eine Rolle spielen und die dazu führen, dass Menschen aus diesen Ländern in Europa stärker vertreten sind. Aber das ein bisschen Spekulation.

Was weiß man denn über die Tatverdächtigen selbst: Waren sie schon vorher kriminell oder wollten sie hier arbeiten?

Das ist schwierig zu sagen, da müsste man wirklich dann auf den Einzelfall schauen. Ich könnte nicht einmal mit Gewissheit sagen, dass die jungen Leute auch wirklich in diesen Staaten geboren sind. Sie haben möglicherweise ihre Wurzeln da, haben aber schon länger in Frankreich, Spanien oder Italien gelebt, vielleicht sind sie sogar dort aufgewachsen. Da müsste man wirklich in jedem Einzelfall gucken, wie sich die Geschichte dann entwickelt hat.

Bei den jungen Menschen spricht man von Einzelfällen, es gibt keine Strukturen oder Netzwerke oder keine strukturelle Migration in der Szene. Wir gehen eigentlich davon aus, dass die Strukturen und Netzwerke dadurch bestehen, dass man heute so einen leichten Zugang zu sozialen Medien hat. Und da können sich die Leute absprechen, können Vereinbarungen treffen. Dadurch bilden sich mit Sicherheit auch Kommunikationswege und Gruppen, aber es ist nicht so etwas wie organisierte Kriminalität, wie wir das im im Bereich des Drogenhandels haben.

Was könnte für die jungen Menschen eine Perspektive sein? Denn: Wenn die Leute so viele Straftaten begehen, landen sie ja bei der Justiz. Gibt es Ansätze, wie man die Menschen integrieren kann?

Mir ist ganz wichtig zu betonen, dass das eine ganz kleine Gruppe ist im Vergleich zu den jungen Menschen, die aus dem Ausland zu uns kommen und hier aufgenommen werden wollen. Der Prozentsatz ist im niedrigen einstelligen Bereich, wenn man dem gegenüberstellt, wie viele junge Menschen insgesamt kommen und die hier auch ihren Weg und ihre Zukunft suchen und wirklich versessen sind auf Schulbildung und Ausbildung.

Und diese kleine Gruppe, über die wir reden, das sind wirklich wenige im Vergleich zur Gesamtzahl. Wenn man sie absolut betrachtet, ist es eine zweistellige Zahl. Doch weil sie sehr aktiv sind, sind sie sehr auffällig. Da wird man irgendwann zu dem Punkt kommen, dass man sie inhaftieren muss. Da haben wir längeren Zugriff auf sie und können auf sie einwirken. Man hat die Möglichkeit, über Drogentherapie und Entzug zu sprechen oder so etwas auch einzuleiten. Die jungen Leute machen dann die Erfahrung, dass sie nicht überall abgelehnt werden. Denn in Haft sind sie nicht wie in ihren Heimatländern Aussätzige, hier werden sie auch sozialpädagogisch begleitet.

Sie haben gesagt, das seien Aussätzige in ihren Herkunftstaaten. Können Sie das noch weiter ausführen?

Die Haftbedingungen sind ja schon in Europa nicht überall vorbildlich, und in nordafrikanischen Staaten gibt es ein anderes Menschenbild und auch einen anderen Umgang mit Straftätern. Die Haftbedingungen sind deutlich schärfer und es ist nicht in erster Linie der Resozialisierungsgedanke, der dort im Vordergrund steht, sondern vor allem der Strafgedanke. Das ist eine ganz andere Kultur als bei uns.

Geht man davon aus, dass die Leute, die hier straffällig werden, auch schon in ihren Herkunftsländern straffällig waren?

Das muss man im Einzelfall betrachten. Wir gehen aber grundsätzlich davon aus, dass die jungen Leute auf der Straße sozialisiert sind und da auch ohne Straftaten quasi gar nicht hätten überleben können. Also ich glaube, dass man davon ausgehen muss, dass es langjährige Kriminelle sind.

Es ist aber wichtig zu sagen, dass wir hier über eine eine sehr kleine Gruppe sprechen – gemessen an den jungen Leuten, die zu uns kommen. Und vor allem wenn man sie dann ins Verhältnis setzt, zu der Gesamtzahl der Flüchtlinge. Da ist der Anteil wirklich verschwindend gering. Ich verstehe, dass es da ein öffentliches Interesse dran gibt, weil diese Gruppe auffällig ist. Aber wir müssen auch immer die Größenordnung insgesamt uns vor Augen halten. Und da sind es wirklich sehr, sehr wenige.

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. April 2024, 19:30 Uhr