"Wer lacht, spürt keine Angst": So wirkt Comedy jetzt in der Ukraine

Raketen am Himmel – gleichzeitig lachen in einem Schutzkeller Menschen über die Witze von Stand-up-Comedian Anton Tymoshenko. Er und ein Bremer Humorforscher erklären das Phänomen.

"Die Ukraine ist zurzeit der beste Ort, um Comedian zu werden. Da kann man eine steile Karriere hinlegen. Bist Du ein guter Comedian in den USA, bekommst Du eine Late-Night-Show. Bist Du ein guter Comedian in der Ukraine, kannst Du Russland zerstören." So beginnt der ukrainische Comedian Anton Tymoshenko sein Stand-up-Programm im April 2022 in einem Luftschutz-Keller in der Hauptstadt Kiew. Der Lärm eines Luftangriffs ist zu hören, russische Raketen fliegen am Himmel – die Menschen in dem Keller lachen herzhaft, sie applaudieren. Es wirkt, als bekämen sie durch das Stand-up eine Dosis Normalität verpasst, mitten im Krieg.

Für Tymoshenko ist es das erste englischsprachige Stand-up-Programm seines Lebens: "Ich dachte, das ist es – wir müssen ein englischsprachiges Stand-up machen! Denn was ist, wenn ich morgen sterbe?", erinnert sich der Comedian an diesen Tag.

Lachen ist das Gegenteil von Gewalt.

Rainer Stollmann, Humorforscher Uni Bremen

Stand-up-Comedy im Luftschutzkeller ist inzwischen ein virales Phänomen in der Ukraine. Zum einen ist es mehr oder weniger sicher, weil die Vorstellung im Keller stattfindet. Zum anderen ist es eine Chance für die Menschen, dem alltäglichen Horror zumindest ein kleines bisschen zu entkommen.

Angst und Terror mit Humor entgegenzutreten, ist nicht neu. Humor wurde schon während des Ersten und Zweiten Weltkriegs aktiv eingesetzt, wie der Bremer Humorforscher Rainer Stollmann erklärt. "Lachen und Gewalt sind Feinde", sagt Stollmann. "Lachen ist das Gegenteil von Gewalt. Alle großen Autoren haben Lachen gegen den Krieg eingesetzt: Jaroslav Hasek, der 'Die Abenteuer des braven Soldaten Schweik' geschrieben hat. Oder Miguel de Cervantes mit seinem 'Don Quixote'", sagt Stollmann.

Worüber darf man scherzen – oder nicht?

Die Amerikaner nutzten Humor im Zweiten Weltkrieg sehr erfolgreich, wie der Experte weiter erklärt. Sie produzierten lustige Filme, Cartoons und Karikaturen, die sich über den Feind lustig machten. Doch auch die Deutschen hatten ihre Stars: "Nazis sind nicht sehr humorvoll, überhaupt nicht", sagt Stollmann. Aber einer der berühmtesten Comedians der Deutschen, Heinz Erhard, habe seine Karriere in den 40er Jahren als Entertainer für die deutschen Truppen begonnen. "Er besuchte verschiedene Einheiten und spielte Klavier, sang und sorgte für gute Stimmung."

Doch die Jahre vergehen, die Zeiten ändern sich, und auch der Humor im Krieg entwickelt sich weiter. Ukrainische Comedians scherzen über die Themen, die für Ukrainer jetzt total nachvollziehbar und relevant sind: wie man sich während eines Beschusses in einem Korridor richtig versteckt, wie man ein Bad nimmt, wenn ein Fliegeralarm ertönt, oder wie man mit Verwandten in Russland spricht, die sich Putins Fernseh-Propaganda komplett unterwerfen. Gleichzeitig ist die Gesellschaft gerade jetzt sehr sensibel, weshalb Witze sehr sorgsam durchdacht sein müssen, um die Menschen nicht noch mehr zu verletzen.

Ich kann keine Witze über Butscha oder Mariupol machen. Aber wäre ich ein Comedian aus Mariupol oder Butscha, der das erlebt hat, dürfte ich das. Insofern gibt es keine verbotenen Themen.

Anton Tymoshenko

Trotzdem: Für Comedian Tymoshenko gibt es keine verbotenen Themen, wie er sagt. Und doch mache er nicht über alles Witze. Ausschlaggebend sei, ob er persönliche Erfahrungen mit einem Thema hat. "Ich mache mich über niemandem vom Militär lustig oder über die Landesverteidigung", so Tymoshenko. "Weil ich dort nicht diene. Wenn ich dienen würde, hätte ich das Recht dazu, darüber zu scherzen. Ich kann keine Witze über Bucha oder Mariupol machen. Aber wäre ich ein Comedian aus Mariupol oder Bucha, der das erlebt hat, dürfte ich das. Insofern gibt es keine verbotenen Themen. Die einzige Frage ist: Hast Du selbst Erfahrungen damit gemacht? Hast Du also das Recht, darüber Witze zu machen?"

Ein Witz kann also durch die eigene Erfahrung einer Person zu einem bestimmten Thema legitimiert werden, wenn der Komiker weiß, wovon er spricht, seine eigene Meinung zu dem hat, was passiert, und er bereit ist, sie zu verteidigen. Humor-Forscher Stollmann sieht es ähnlich. Am Ende entscheide aber das Ergebnis: Ob man die Menschen zum Lachen gebracht hat oder nicht. "Wenn Du sie erreichst – dann hast Du gewonnen."

Harte Zeiten - brutale Witze

Ein ukrainischer Comedian auf der Bühne
Anton Tymoshenko tritt mit seinem Programm im Luftschutzkeller auf. Bild: Radio Bremen

Tymoshenko hat in der Hauptstadt Philosophie studiert und sein Diplom in Politikwissenschaften gemacht. Humor und Politik sind in der Ukraine eng miteinander verbunden – und das hat nichts damit zu tun, dass Präsident Wolodimir Selenski ein Komiker war. Mit Humor reagieren Menschen in der Ukraine auf Ereignisse, um Spannung abzubauen.

Mit Beginn des Kriegs wurde der Humor in der Ukraine kühner und brutaler. Das permanente Risiko zu sterben ermutigt die Menschen, sich nicht zu lange mit der Suche nach korrekten Worten aufzuhalten. Tymoshenko macht so nicht nur über die Ereignisse innerhalb der Ukraine Witze, sondern auch über die internationale politische Agenda. Über Sanktionen, Waffenlieferungen und über die Vereinten Nationen. "Wir lieben die Vereinten Nationen. Warum bezahlen wir Geld dafür? Es funktioniert nicht. Russland vereint Länder viel schneller. Wir können die Vereinten Nationen feuern und sie durch meine Mutter ersetzen. Sie hat auch ständig Bedenken über alles in der Welt und kann nichts daran ändern."

Wie Lachen schützt

Die Mission von Stand-up-Comedy ist es nicht nur, über Themen zu lachen, sondern auch einen Raum für Gespräche zu öffnen. Es ist wichtig, ein spezifisches Problem herauszuheben, einen Spaß darüber zu machen und den Menschen Raum zu geben, um darüber nachzudenken, findet Tymoshenko. "Nach meinem Auftritt sollen die Menschen, wenn sie das Gebäude verlassen, denken: 'Was fühle ich jetzt? Und warum?' Sodass sie eine Haltung einnehmen können", sagt der Comedian. Einer von Antons erfolgreichste Witzen im Luftschutzkeller ist der über deutschen Waffenlieferungen, die offenbar immer wieder verschoben wurden: "Die Ukraine hat den Eurovision-Song-Contest gewonnen. Deutschland hat den letzten Platz gemacht. Ich finde das nicht fair, weil der Typ gar nicht so schlecht war. Ich bin sicher, wir schicken ihm ein paar Punkte für den Auftritt – aber später."

Wenn man vor lauter Lachen explodiert, spürt man keine Wut mehr – und keine Angst.

Rainer Stollmann, Humorforscher Uni Bremen

Tymoshenkos Witze kommen auch international gut an. Humor kann Menschen enger zusammenbringen; er ist wie ein Heilmittel, um sich zurück ins Leben zu kämpfen. Sein positiver Einfluss kann auch rein körperlich erklärt werden. Wenn man vor Lachen explodiert, verliere man die Kontrolle über den eigenen Körper, sagt der Bremer Humor-Experte Stollmann. "Die Augen tränen, sodass man nicht klar sieht, man hört nichts mehr, weil man laute Töne ausstößt. Und das Zwerchfell unterstützt die Atmung nicht mehr. Es gibt keine Kontrolle des Körpers. Wenn man vor lauter Lachen explodiert, spürt man keine Wut mehr – und keine Angst."

Stollmann bezeichnet Humor als "Trotz gegen eine feindliche Wirklichkeit". Anton Timoschenkos Auftritt im Luftschutzkeller, sagt der Wissenschaftler, sei ein Bemühen um die Aufrechterhaltung des normalen Lebens. Das verdiene Respekt.

Tymoshenko und andere Comedian unterstützen den Kampfgeist der Ukrainer nicht nur mit ihrem Humor, sie helfen der Armee auch finanziell. Seit Beginn des Krieges hat die Vereinigung "Underground Standup" fast zwei Millionen Hrywnja über Online-Streams gesammelt. Das sind etwa 54.000 Euro. Und während Tymoshenko über die Kriegstage in Kiew scherzt, hat er das letzte Mal sehr gelacht, als er auf Twitter eine Geschichte über das ukrainische Militär las, erzählt Tymoshenko. "Es ging darum, wie das Militär mit einer Musikanlage zu den Kampfpositionen fuhr und Schüsse vom Band abspielte. Da haben sie beobachtet, wie die russischen Besatzer ihre Stellung änderten, weil sie dachten, das sei echte Artillerie. In anderen Worten: Sie haben sie mit Musik vertrieben."

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    Anna Chaika Autorin

Dieses Thema im Programm: Cosmo, 22. Mai 2022, 9:25 Uhr