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Warum kleben Sie sich auf der Straße fest, Frau Hinrichs?

Warum kleben Sie sich auf der Straße fest, Frau Hinrichs?

Bild: Radio Bremen/dpa | Bernd von Jutrczenka

Die Bremerin Carla Hinrichs ist Sprecherin der "Letzten Generation". Bei Felix Krömer spricht sie über die Motive der Gruppe – und was sie zukünftig plant.

Eigentlich hätte Klima-Aktivistin Carla Hinrichs ein Heimspiel haben können: Die Sprecherin der Gruppe "Letzte Generation", deren Mitglieder sich zuletzt an Straßen festgeklebt und Gemälde mit Lebensmitteln beworfen haben, ist gebürtige Bremerin.

Trotzdem war Hinrichs, die mittlerweile in Berlin lebt, beim Interview-Termin mit Felix Krömer nur digital zugeschaltet, denn aus Termingründen konnte sie nicht persönlich vor Ort sein. Das, so Krömer gleich zu Beginn, müsse ihr aber ja eigentlich ganz recht sein: "Wenn Sie so gefragt sind, dann heißt das ja, dass man die Letzte Generation wahrnimmt!"

Auch bei Krömer sprach Hinrichs über die Anliegen und die Motivation der Gruppe – und darüber, wie die Aktivisten zu der heftig auf sie einprasselnden Kritik stehen.

1 Wie fühlt sich das an, auf der Straße zu kleben?

Bei ihren Protestaktionen zeigen die Aktivisten der Letzten Generation Körpereinsatz – vor allem, wenn sie sich mit Sekundenkleber auf der Straßefestkleben. Auch Hinrichs hat an solchen Protestformen schon teilgenommen. "Es ist erstmal ein komisches Gefühl. Man kann dann da nicht mehr weg", beschreibt sie ab Minute 3:34, ihre Erinnerungen daran. "Dann wandelt sich das aber ziemlich schnell in Stärke um: das Gefühl, da auf der Straße zu sitzen und zu wissen, jetzt wirklich was zu tun und Widerstand zu leisten."

Doch beim bloßen Ankleben bleibt es nicht: Von der Polizei dann weggetragen zu werden, könne auch mal wehtun. "Geschockt" war Hinrichs, als sie nach einer Protestaktion unterkühlt ins Krankenhaus musste. Höher als die Schmerzen bewertet sie aber das Privileg, überhaupt für Protest auf die Straße gehen zu können. "Das können Menschen, die am meisten von der Krise betroffen sind – zum Beispiel im globalen Süden – nicht einfach so tun", sagt Hinrichs. Sie selbst hat schon bei einigen Demonstrationen teilgenommen. Welchen Weg sie hinter sich hat, erklärt Hinrichs ab Minute 7:38.

2 Warum richten sich Aktionen der Letzte Generationen gegen uns alle – und nicht nur gegen die Regierung?

Bei dieser Frage muss Hinrichs schmunzeln. "Ich kenne alle Regierungsgebäude in Deutschland", sagt sie bei Minute 13:05. Überall seien sie und die anderen Aktivisten gewesen – besonders in Berlin. "Wir saßen vor den Ministerien, wir saßen vor dem Bundestag, wir saßen vor dem Kanzleramt." Aber: "Es ist so einfach zu ignorieren", resümiert sie. Nicht zu ignorieren seien hingegen die vergangenen Aktionen der Letzten Generation – die den Alltag vieler Menschen unterbrochen hätten.

Nicht sehr einleuchtend erscheint Krömer offenbar trotzdem, was Kartoffelbrei auf einem Monet mit dem Klima zu tun hat – was er auch bei 13:53 anspricht . "Es klingt absurd, das kann ich nachvollziehen", erklärt Hinrichs.

Aber wenn man sich das Ergebnis anguckt, dann ist das eine Empörung, die geschieht und die Menschen müssen sich positionieren. Die Menschen informieren sich. Und dann kommt das Thema auf die Agenda.

Carla Hinrichs, Sprecherin der Letzten Generation

Ob die Gruppe aber so erfolgreich ist, dass ihr die Gesellschaft folgt, darum geht es ab Minute 18:21.

3 Scheitert eine Klimawende an Realpolitik?

Dass sich im Kampf der Politik gegen den Klimawandel gar nichts bewege, sei nicht zutreffend: So zählt Krömer auf, dass zum Beispiel Klimaziele gesteckt, CO2-Neutralität angestrebt, Kohle-Ausstiege beschlossen werden. Der Knackpunkt: Es dauert zu lange. Das ist Crux bei politischen Prozessen.

Den Punkt könne Hinrichs zwar nachvollziehen. "Aber es reicht halt einfach nicht", sagt sie bei Minute 21:09. Denn: "Es geht um unser aller Überleben, es geht um unsere Zukunft. Es geht um alles, was wir lieben. Und da kann ich nicht nachvollziehen, dass man sagt: Ja das dauert halt." Deswegen sagt die Letzte Generation von sich selbst, erst mit ihren Aktionen aufzuhören, wenn die Bundesregierung handelt. Ob das nun eigentlich Erpressung ist oder nicht – das diskutieren Hinrichs, Jura-Studentin, und Krömer, Jura-Studierter, ab Minute 25:40.

4 Sind die eigenen Ziele der Letzten Generation zu dünn?

Die Letzte Generation ruft zwei konkrete Ziele aus: zum einen ein generelles Tempolimit von 100 Stundenkilometern, zum anderen die Einführung eines Neun-Euro-Tickets. Nur zwei Ziele – die aber als Startpunkt zu verstehen seien, sagt Hinrichs bei Minute 28:33.

Das sind die ersten und einfachsten Sicherheitsmaßnahmen, die man jetzt eingehen kann.

Carla Hinrichs über ein Tempolimit und das Neun-Euro-Ticket

Gerade beim Neun-Euro-Ticket ist aber einiges an Organisation notwendig – ganz zu schweigen von der Frage, wie das Ganze organisiert werden soll. Dafür sei die Letzte Generation mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Kontakt, die erforschen, wie das gut umsetzbar sei. Der einzige Mangel: Zeit. Es bleibe nicht mehr lang, um "über die Zukunft der Menschheit zu entscheiden" – wie lang genau, sagt Hinrichs bei Minute 30:15.

5 Was sagt die Letzte Generation zu RAF-Vergleichen?

So richtig in die Schlagzeilen geriet die Letzte Generation, als gegen sie der Vorwurf aufkam, durch eine Straßenblockade die Ankunft eines Rettungswagens an einem Unfallort in Berlin verzögert zu haben. Der Vorwurf war nicht haltbar – trotzdem hagelte es Kritik für die Gruppe. Unter anderem CSU-Politiker Alexander Dobrindt verglich die Gruppe sogar mit der RAF.

"Den Gedanken finde ich total absurd: Die RAF hat Menschen umgebracht, wir gehen für die Sicherheit der Menschen auf die Straße", entgegnet Hinrichs bei Minute 30:47. Dass in Bayern Vertreter der Letzten Generation nichtsdestotrotz in sogenannter Vorbeugehaft sitzen, damit sie keine Straftaten begehen können, ist für Hinrichs ebenfalls absurd. "Man möchte schön weiter ignorieren, was sich irgendwann nicht mehr ignorieren lässt. Und da ist es halt einfacher diese Menschen einzusperren."

Entmutigen lassen wolle sich die Gruppe davon nicht. Im Gegenteil: Dass es in Bremen zu neuen Aktionen kommt, hält Hinrichs für realistisch – was ihr dabei vorschwebt, ist ab Minute 35:43 das Thema.

So schätzt ein AWI-Forscher den Fortgang der Weltklimakonferenz ein

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 25. November 2022, 19:30 Uhr