Zivilcourage? Bremerhavener Schüler lernen im Escape-Room fürs Leben
Escape-Rooms erfreuen sich als Form moderner Schnitzeljagden großer Beliebtheit. In Bremerhaven gab es nun Geschichtsunterricht als Rätsel-Abenteuer – mit ernstem Hintergrund.
Manchmal gruselig, oft mysteriös, meist faszinierend und nun auch ziemlich lehrreich: Escape-Rooms liegen schon länger im Trend. Am Wochenende trat sogar ein Bremer Team bei der ersten Deutschen Meisterschaft zu dem Rätsel-Phänomen an.
Und in Bremerhaven wurde ein solcher Raum jetzt zum Schauplatz von Geschichtsunterricht. Bei dem Spiel geht es darum, Rätsel in realer Umgebung zu lösen. Wie bei einer Schnitzeljagd, aber auf engstem Raum. Beispielsweise müssen Gruppen in einer bestimmten Zeit ein verstecktes Dokument finden, um sich aus einer Situation zu befreien.

Angestrengte Minen und konzentrierte Blicke statt gähnende Gesichter. Erste Stunde, 8 Uhr, eine leerstehende Halle mitten in der Bremerhavener Innenstadt. Dort, wo im ehemaligen Saturn früher Waschmaschinen standen, geht es nun auf Zeitreise für eine 9. Klasse der Wilhelm-Rabe-Schule.
Zum ersten Mal beschäftigen sich die Schülerinnen und Schüler während ihrer Schulzeit mit dem Thema Nationalsozialismus. Aber nicht wie gewohnt im Klassenraum, sondern spielend. Ein Rätsel. Eine Stunde. Ein Raum.
Ich glaube, dass man mehr lernt, wenn man mit allen Sinnen lernt. Wenn man da das Wählscheibentelefon wählt. Wenn man das erste Mal eine Schreibmaschine bedient. Wenn man in so eine Story reingeschmissen wird. Die müssen ja eine Rolle spielen. Und das macht im Gehirn so viel mehr, als Zeilen in einem Buch zu lesen. Das bleibt einfach im Gedächtnis. Und damit auch die Botschaft.
Matthias Hecking, Escape-Room-Entwickler
Eine Frage der Zivilcourage

Der Entwickler des Escape-Rooms, Matthias Hecking, glaubt an den Mehrwert des Formats. Inhaltlich geht es in seinem Escape-Game um das Thema Euthanasie im Nationalsozialismus.
In einem kleinen, dunkeln Raum mit Schreibmaschine, Musik der 1940er Jahre und alter Literatur müssen die Schülerinnen und Schüler versteckte Flugblätter finden. Damit hatte sich ein damaliger Bischof für die Rechte von Behinderten eingesetzt. Vor knapp 80 Jahren ein lebensgefährliches Vorhaben.
Das eigentliche Spielziel für die Gruppe ist, diese Flugblätter zu finden. Am Ende fragen wir dann: Und was hättet ihr gemacht? Was hättet ihr 1941 gemacht, wenn ihr diese Flugblätter bekommen hättet. Hättet ihr sie verteilt? Oder hättet ihr sie vernichtet? Hättet ihr euch eingemischt? Also: Hättet ihr am Ende des Tages Zivilcourage gezeigt und unter Gefahren diese klaren Worte bekannt gemacht?
Matthias Hecking, Escape-Room-Entwickler

Mit diesem Escape-Room tourt Hecking durch ganz Deutschland. Seine Motivation: Vor allem junge Menschen will er dazu aufrufen, laut gegen Rassismus und Diskriminierung zu sein. Die Fehler der 1930er Jahre sollen nicht noch einmal passieren.
"Leute, fangt früher an", so der Aufruf Heckings. "Fangt da an, wo auf dem Schulhof beleidigt wird, Leute aus dem Sportverein gemobbt werden, weil sie schwul sind oder eine schwarze Hautfarbe haben." Es gehe darum die Menschenwürde heute zu verteidigen. "Und nicht so lange zu warten, bis irgendwelche Radikalen wieder das Ruder übernehmen."
Geschichtsunterricht als Zeitreise

Für die Gruppe der Wilhelm-Rabe-Schule hat die Zeit am Ende nicht gereicht, um das Rätsel im Escape-Room innerhalb einer Stunde lösen. Trotzdem fällt das Fazit positiv aus. "Voll schade", sagt eine Neuntklässlerin. "Ich hätte gedacht, dass wir es schaffen. Aber es war besser als im Klassenraum zu sitzen." In dieser Geschichtsstunde per Zeitreise hätten sie viel gelernt, sagt sie.
Eine Woche lang gastierte der mobile Escape-Room "Der Löwe von Münster" in Kooperation mit der Stadtbibliothek im Hanse-Carré. Vor allem viele Klassen haben ihn vormittags besucht.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 28. September 2022, 13:10 Uhr