Interview

Warum ein Bremer Kapitän mit Geflüchteten an Bord in Italien ausharrt

Bremer Kapitän auf Seenotretter-Schiff: "Werden als Geiseln genommen"

Bild: Radio Bremen

Joachim Ebeling aus Bremen ist Kapitän des Seenotretter-Schiffs "Humanity 1". Mit 35 Menschen an Bord harrt er vor Sizilien aus – obwohl Italiens Regierung ihm dies verbietet.

Zwei Wochen nach Amtsantritt der ultrarechten Regierung in Rom droht der erste große Konflikt zwischen der migrantenfeindlichen Rechtskoalition und den Seenotrettern zu eskalieren. Zwei private Seenotrettungsorganisationen wurden in der sizilianischen Stadt Catania aufgefordert, den Hafen mit ihren Schiffen wieder zu verlassen. Beide weigern sich, darunter auch der Bremer Kapitän Joachim Ebeling, der die "Humanity 1" der Organisation "SOS Humanity" steuert.

Mit Ebeling an Bord der "Humanity 1" sind momentan 35 erwachsene Männer. Zwei Tage ist es her, dass sie in den Hafen in Catania eingelaufen sind, seitdem harren sie auf dem Boot aus. Die Lage an Bord ist von Unsicherheit geprägt, sagt der Schiffskapitän, der zuvor für die Reederei "Brise" aus Leer tätig war, im Interview mit buten un binnen. Die Menschen seien mental in keinem guten Zustand. Laut der Seenotrettungsorganisation sind inzwischen sogar 30 Migranten in einen Hungerstreik getreten. Sie hätten der Crew mitgeteilt, dass sie seit 40 Stunden nichts mehr gegessen haben.

Wie ist die Situation an Bord momentan?

Im Moment ist die Situation an Bord relativ ruhig. Die Menschen sind nicht sehr aktiv, sie sind eher ein bisschen apathisch, sie essen unregelmäßig. Sie sind in keinem stabilen psychischen und physischen Zustand. Wir wissen nicht genau, wie es weitergehen soll. Was die Crew betrifft: Die Stimmung und der Zusammenhalt sind sehr gut, natürlich sind wir alle sehr belastet von den letzten Tagen und Wochen, aber wir machen das Beste aus der Situation.

Die Migranten an Bord wollen nicht zurück, sie können aber auch nicht an Land gehen. Was macht das mit den Menschen?

Ja, das ist eine gute Frage. So etwas kann sich unsereins nicht vorstellen, weil wir immer dahin gehen dürfen, wohin wir wollen. Die Situation zu sehen, dass ein Teil der Menschen schon an Land gehen durfte (Anm. d. Red.: Kranke, Frauen, Kinder), ein anderer Teil aber nach äußerst fragwürdigen medizinischen Kriterien zurückgehalten wurde, das muss eine enorme Belastung sein. Wir sind hier im Hafen ja auch nicht das einzige Schiff – die "Geo Barents" (Anmd. d. Red.: ein anderes Seenotrettungsschiff) liegt auch hier mit über 200 Menschen, die nicht an Land gehen dürfen – und wir haben gestern Abend über das ganze Hafenbecken hinweg deren Hilferufe gehört. Wenn man das mitbekommt, läuft einem schon ein Schauer den Rücken herunter.

Sie haben die Aufforderung verweigert, den Hafen mit denen an Bord zurückgebliebenen Menschen zu verlassen. Wie haben Sie das begründet?

Ich kann den Hafen von Catania nicht mit geretteten Menschen an Bord verlassen, das würde gegen sehr, sehr viele Dinge verstoßen: Zum einen gibt es das Recht auf Nicht-Zurückweisung, dann ist eine Rettungsaktion auch erst dann beendet, wenn die Menschen an einem sicheren Hafen an Land gekommen sind. Und für mich als Kapitän kommt hinzu, dass ich die Sicherheit des Schiffs nicht gewährleisten kann, wenn ich Menschen in diesem sehr labilen Zustand mit an Bord nehme. Ich kann für deren Gesundheit und Wohlbefinden nicht garantieren und für das meiner Crew auch nicht. Da gibt es gar keine Alternative, ich kann hier nicht auslaufen.

Ich bin überzeugt davon, dass wir hier das Richtige tun.

Joachim Ebeling, Kapitän der "Humanity 1"

Befürchten Sie jetzt rechtliche Konsequenzen von italienischer Seite?

Mir sind schon rechtliche Konsequenzen angedroht wurden, aber ich fürchte die eigentlich nicht so sehr, weil ich überzeugt bin, dass Recht auf meiner Seite zu haben. Wir haben Anwälte und ich bin überzeugt davon, dass wir hier das Richtige tun. Dieses Dekret ist illegal und wir handeln nach geltendem Recht.

Für die 35 Migranten an Bord wurden jetzt Asylanträge über einen Anwalt gestellt. Kann das ihrer Meinung nach erfolgreich sein?

Das kann ich schlecht einschätzen, aber ich denke schon. Der Anwalt war sehr zuversichtlich, dass es gute Aussichten auf Erfolg hat. Wir sind ja nun mal in Europa und Europa ist ja immer noch in gewissem Maße ein Rechtsstaatssystem. Die Menschen wollen nur die Rechte wahrnehmen, die ihnen zustehen. Das ist nichts, was ihnen nach Gutdünken eben so weggenommen werden kann. Ich bin zuversichtlich, das sie ihr Recht bekommen.

Wie finden Sie es, wie sich die neue italienische Regierung verhält? Da ist ja viel von Schikane die Rede.

Das ist auf jeden Fall Schikane. Das ist aber nichts ganz Neues, wir waren schon immer schwierigen Bedingungen seitens der italienischen Regierung ausgesetzt. Das ist zwar schon länger so, jetzt hat es aber eine neue Dimension erreicht. Ich habe noch nie erlebt, dass Gäste separiert wurden, also dass entschieden wurde, die einen dürfen an Land, die anderen nicht. Das hat schon eine andere Qualität, sie haben sich da offenbar eine neue Schikane einfallen lassen. Das ist für uns natürlich inakzeptabel, aber es kam auch nicht unerwartet.

Das hat schon eine andere Qualität, sie haben sich da offenbar eine neue Schikane einfallen lassen.

Joachim Ebeling, Kapitän der "Humanity 1"

Sie sind für die Reederei "Brise" aus Leer tätig. Wann haben Sie sich entschlossen, als Kapitän auf einem Rettungsschiff zu fahren?

Ich habe vor ein paar Jahren angefangen, in meiner Freizeit ehrenamtlich Seenotrettung zu betreiben. Damals waren das noch kleine Schiffe, die als Jachten registriert waren, inzwischen sind die Schiffe kommerziell registriert und wir dürfen mit einer zertifizierten Besatzung fahren. Da muss ich als Kapitän mit meinem Patent drauf sein, das kann keiner machen, der nur eine Jacht fahren darf. Ich war froh, dass ich als Seemann etwas Sinnvolles machen konnte, wo ich wirklich dahinter stehe. Es ist einfach unerträglich, wenn da nichts passiert. Ich finde, da muss man einfach etwas machen.

Die EU tut nichts, um die Menschen zu retten, private Organisationen müssen es machen. Das macht mich schon sehr wütend.

Joachim Ebeling, Kapitän der "Humanity 1"

Sie sind seit 2018 immer wieder mit Schiffen von Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer unterwegs. Wie hat Sie die Arbeit verändert?

Das Ganze hat mich schon politisiert. Ich konnte es mir als Seemann eigentlich nur nicht mit angucken, dass Menschen ertrinken, aber je mehr ich da in der Thematik eingebracht habe, desto mehr habe ich erfahren, wie sehr das auch politisch missbraucht wird, wie sehr wir quasi als Geiseln missbraucht werden. Das sieht man jetzt gerade deutlich. Das Ganze hat eine politische Dimension: Die EU tut nichts, um die Menschen zu retten, private Organisationen müssen es machen. Das macht mich schon sehr wütend. Ich bin froh, dass ich einen kleinen Teil dazu beitragen kann, es ein wenig besser zu machen. Aber es muss schon eine politische Lösung her.

Haben Sie in den vergangenen vier Jahren feststellen können, dass sich etwas ändert oder verbessert? Oder ist es mit der neuen italienischen Regierung jetzt so, dass es immer schwieriger wird?

Die Entwicklung in Italien gibt nicht gerade Grund zur Hoffnung. Die Regierung scheint uns jetzt wirklich so viele Steine in den Weg legen zu wollen wie sie nur kann. Was mich ein bisschen optimistisch stimmt, sind die Äußerungen der neuen Bundesregierung. Das sieht natürlich alles besser aus, aber wir werden sehen: Den Worten muss auch Taten folgen. Es wird seit Jahren über eine europäische Lösung geredet, aber jedes Mal, wenn ein neues Schiff kommt, wird es wieder auf dem Rücken der geretteten Menschen ausgetragen. Dass es immer so weitergeht, kann nicht sein.

Ich hoffe, dass wir die Menschen schon in den nächsten Tagen von Bord bekommen werden.

Joachim Ebeling, Kapitän der "Humanity 1"

Was passiert, wenn Sie gezwungen werden, mit den 35 Menschen an Bord abzulegen?

Das wird nicht passieren. Wie sollen Sie das machen? Das geht ja nicht. Ich bin da in keiner schlechten Position, weil niemand mich zwingen kann, mit diesen Menschen auszulaufen. Ich müsste das Schiff als Kapitän aktiv von der Pier ablegen und das wird nicht passieren.

Wie ist die Versorgungslage an Bord?

Die Versorgungslage im Hafen ist soweit gut. Wir können Essen und alles, was wir brauchen, an Bord bringen, das ist möglich. Da gibt es zum Glück keine Probleme.

Wie glauben Sie, geht das Ganze aus? Wie lange liegen Sie noch im Hafen von Sizilien?

Das ist jetzt natürlich ein bisschen der Blick in die Kristallkugel, weil wir natürlich nicht wissen, was die italienische Regierung vorhat. Ich bin optimistisch, was unsere anwaltschaftlichen Schritte angeht und hoffe, dass wir die Menschen schon in den nächsten Tagen von Bord bekommen werden. Das haben sie auch verdient, dass sie endlich sicher an Land sind. Wir machen das jetzt Schritt für Schritt.

Bremer Kapitän: "Neue Schikane der italienischen Regierung"

Bild: SOS Humanity

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Autor

  • Holger Baars
    Holger Baars Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. November 2022, 19:30 Uhr