Interview

Sea-Watch-Klage: So hilft dieses Urteil Seenotrettern im Mittelmeer

Schiffe der Organisation Sea-Watch wurden immer wieder in Häfen festgehalten. Das ist laut Europäischem Gerichtshof künftig schwieriger. Was das Urteil bedeutet und welche Rolle Bremen spielt.

Nachdem die italienischen Behörden immer wieder Schiffe von Sea-Watch kontrolliert und festgesetzt hatten, hat der deutsche Verein vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) geklagt. Das Urteil ist nun gefällt worden: Italien kann die Schiffe zwar weiterhin kontrollieren, allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen. Bremen trägt auch Verantwortung für Schiffe, die Menschen aus Seenot retten. Wir haben die Sea-Watch-Sprecherin für Norddeutschland, Mattea Weihe, gefragt, wie die Hilfsorganisation das Urteil einordnet und welche Rolle Bremen genau spielt.

Frau Weihe, Sie sind seit mehr als vier Jahren Mitglied bei Sea-Watch und waren selbst häufiger an Bord der "Sea-Watch 3". Wie bewerten Sie das Urteil des EuGH?

Eigentlich ist das Urteil ein großer Erfolg. Es wurde uns genau bei den Punkten Recht gegeben, wegen der wir geklagt hatten.

Es werden aber dennoch Kontrollen weiterhin erlaubt, wieso ist es trotzdem ein Erfolg?

Dass Hafenstaat-Kontrollen stattfinden, ist total in Ordnung. Sie dienen der Schiffssicherheit und es war nie unser Ziel, die abzuschaffen. Die Kontrollen können aber jetzt nur unter bestimmten Bedingungen stattfinden und das erschwert Italien ungemein, die Schiffe festzuhalten.

Auch hier hat uns der Europäische Gerichtshof Recht gegeben: Gerettete Menschen können nun zusätzlich zu der angegebenen Personenzahl auf dem Schiff sein. Denn – das betonen sie auch: Es gibt eine gesetzliche Pflicht zur Seenotrettung.

Mattea Weihe, Sea-Watch-Sprecherin für Norddeutschland

Wie sahen die Kontrollen denn vorher aus?

Wir hatten außerplanmäßige Kontrollen, die erstmal bis zu elf oder zwölf Stunden dauerten. Dann wurde ein Bericht geschrieben mit wirklich absurden Mängeln und unsere Schiffe wurden festgesetzt, bis wir uns da wieder rausgeklagt hatten. Vorwürfe waren zum Beispiel, dass wir zu viele Rettungsmittel mitführen, der Fäkalientank nicht ausreichen würde oder dass wir die geretteten Personen nicht vorher offiziell zahlenmäßig angegeben hätten – was ja kaum möglich ist, da man ja vorher nie weiß, wie viele Personen gerettet werden. Auch hier hat uns der Europäische Gerichtshof Recht gegeben: Gerettete Menschen können nun zusätzlich zu der angegebenen Personenzahl auf dem Schiff sein. Denn – das betonen sie auch: Es gibt eine gesetzliche Pflicht zur Seenotrettung.

Was viele nicht wissen: Bremen spielt eine größere Rolle bei der Koordination von Seenotrettung. Was hat es damit auf sich?

In der Regel ist es so: Die MRCC (Maritime Rescue Co-ordination Centre) der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger (DGzRS) ist in Bremen. Die sind dann für alle deutschen Flaggenschiffe zuständig und koordinieren im Notfall, wenn ein deutsches Schiff Hilfe braucht. Sie tragen also eine Verantwortung. Wir sind immer unter deutscher Flagge gefahren und haben nach diesen Richtlinien auch alles richtig gemacht. Das wurde uns auch immer wieder bestätigt.

Warum ist es so relevant, dass Sea-Watch "unter deutscher Flagge" gefahren ist?

Ein weiterer Punkt vor Gericht war, dass Italien meinte, wir müssten als Rettungsschiff klassifiziert sein. Mit diesem Argument haben sie uns immer wieder festgesetzt. So eine Klassifizierung gibt es allerdings in Deutschland gar nicht. Es war also reine Schikane. Und der EuGH hat uns auch hier Recht gegeben: Italien kann keine Zertifizierung verlangen, die das verantwortliche Land gar nicht vorsieht.

Wie geht es nun weiter mit der Seenotrettung?

Wir werden so weitermachen wie bisher. Aber wir sind ab jetzt der Willkür von Italien nicht mehr so ausgeliefert. Wir können zwar kontrolliert werden, aber nur aus einem wirklich triftigen Grund und nicht, weil wir Menschen retten. Geflüchtete an Bord dürfen kein Grund mehr sein, uns zu kontrollieren.

Autorin

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 1. August 2022, 15 Uhr