Bedroht und beleidigt – das haben 3 Bremer Wissenschaftler erlebt

"Polieren Ihnen die Fresse:" Anfeindungen gegen Bremer Wissenschaftler nehmen zu

Bild: dpa | Focke Strangmann/Sina Schuldt/Stefan Luft

Fast jeder zweite Wissenschaftler erlebt Anfeindungen. Die Wortwahl in den E-Mails und Briefen ist dabei sehr derb – Drohungen und Gewalt sind keine Seltenheit. Drei Beispiele.

"Du studierte Karriere-Fotze kommst mit Deinem Scheiß-Klimawandel. (…) ich habe Dich in der Lügenpresse bei buten un binnen gesehen", heißt es in einem anonymen Brief, den die Direktorin des Bremerhavener Alfred-Wegener-Instituts, Antje Boetius, erhalten hat.

Gewalt ist auch Hajo Zeeb angedroht worden. Der Epidemiologe forscht am Leibniz-Institut für Präventionsforschung in Bremen und war während der Pandemie als Experte oft in den Medien. Insbesondere Corona-Leugner nehmen ihn immer wieder ins Visier. In einem handschriftlich verfassten Brief an Zeeb steht:

Schmieriger geisteskranker Sie, alle Chinesen müssen aus Deutschland, oder alle Chinesen abknallen, dann ist Corona besiegt. Versauen Sie wieder den Sommer mit Theater und Co kommen wir zu Ihnen und polieren Ihnen die Fresse, Sie Drecksau, Sie!

Zitat aus einem Brief an Hajo Zeeb

Auch Politikwissenschaftler Stefan Luft von der Uni Bremen kennt solche Anfeindungen: "Ich war von dem Hass, von den Abgründen des Hasses, in die ich da gesehen habe, einfach überwältigt", sagt er im Interview mit buten un binnen.

Jeder 2. Wissenschaftler ist mit Hass konfrontiert

Eine Wissenschaftlerin hält einen handgeschriebenen Drohbrief in der Hand
Meeresbiologin Antje Boetius hat buten un binnen Hassbriefe, die sie bekommen hat, gezeigt. Bild: Radio Bremen

Fest steht: Die Beispiele dieser drei Bremer Wissenschaftler sind keine Einzelfälle. Fast jeder zweite Forschende hat Anfeindungen erlebt, wie eine Erhebung des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung ergeben hat. Befragt wurden rund 2.600 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutschland. Insbesondere wissenschaftliche Äußerungen zu Themen wie Krieg und Frieden in Nahost und der Ukraine oder zum Klimawandel lösen demnach Anfeindungen aus.

Zu den Formen der Anfeindungen zählen unter anderem persönliche Diskriminierung, verbale Drohungen aber auch strafrechtlich relevante Taten. Auf einem der Briefe, den Meeresbiologin Antje Boetius erhalten und buten un binnen gezeigt hat, ist beispielsweise ein Hakenkreuz gekritzelt.

Wissenschaftlerin erhält sexistische Hassnachrichten

Viele E-Mails und Briefe sind verstörend und voller Gewalt- und Sex-Phantasien. So steht in einem Brief, der an AWI-Forscherin Boetius adressiert ist: "Ich hab Dich in einer Talkshow gesehen, da habe ich mir vor dem Fernseher einen runtergeholt. Wissenschaftlerinnen sind alt, hässlich mit Brille. Ich hab von Dir geträumt, im Traum warst Du auf einem Forschungsschiff, Du trugst eine Gummibluse mit Druckknöpfen, einen Lackminirock und Ledernuttenstiefel."

Forscherin Antje Boetius steht neben dem Schiff "Polarstern" in der Arktis.
Antje Boetius war 2023 mit der "Polarstern" auf Arktis-Expedition. Bild: ArcWatch | Esther Horvath

Antje Boetius leitet solche Briefe und E-Mails sofort an die Polizei weiter. In der Regel sind die Ermittlungen nicht erfolgreich, denn die Verfasser verstecken sich in der Anonymität.

Boetius versucht, solche sexistischen Schreiben nicht zu nah an sich heran zu lassen: "Aber dennoch tun diese Briefe weh. Man ist verwirrt, man denkt, was soll das, was sind das für Menschen und natürlich stellt sich immer die Frage: Sind das nur Kellerkinder, schreiben die nur solche Briefe, oder werden sie auch irgendwann gewalttätig?"

Hass findet vor allem digital statt

Bereits 2012 wird Politikwissenschaftler Stefan Luft in einer Veranstaltung der Uni Bremen angegriffen. Damals hatten die Antifa seine Ringvorlesung zum Thema "20 Jahre Asylkompromiss" regelrecht gestürmt. Haupt-Zielscheibe war der ehemalige Bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU). Aber auch der anwesende SPD-Politiker Dieter Wiefelspütz wurde attackiert.

Heute finden die meisten Attacken digital im Internet statt. Stefan Luft war einem regelrechten Shitstorm auf X (ehemals Twitter) im Internet ausgesetzt, als er sich zum Krieg in der Ukraine in einem Radio-Interview geäußert hatte.

Wissenschaftler wollen sich nicht einschüchtern lassen

Meeresbiologin Antje Boetius meidet deshalb bewusst die sozialen Medien. Sie hat keinen Facebook- oder Instagram-Account. Die Hassbriefe, die sie erhält, kann die AWI-Leiterin klar einordnen: "Bei den Briefen, die ich bekomme, ist es ganz klar, dass sie aus der Ecke Klimawandel-leugnen, Corona-leugnen kommen, zum Teil mit Hass auf Hierarchie, also da wird man oft als Karriere-Fotze und Professoren-Fotze, oder sowas angesprochen."

Ein Postfach eines Wissenschaftlers ist mit einer Drohung beschmiert
"Verpiss dich!" steht auf dem Briefkasten von Stefan Luft gekritzelt. Bild: Stefan Luft

Die Nachrichten in den E-Mails und Briefen hinterlassen ihre Spuren, wie der Politikwissenschaftler Stefan Luft erklärt: "Das bleibt nicht ohne Wirkung, man ist zunächst mal stark verunsichert und man hat natürlich diese Emotionen, die da ausgelöst werden durch den Hass!"

Epidemiologe Zeeb kritisiert, dass die Briefe oft ohne jegliches Verständnis für die Arbeit der Wissenschaftler geschrieben würden.

Wir sind ja auch nur Menschen, die ihre Arbeit machen, das haben dann scheinbar viele vergessen und sehen uns als Zombies, die irgendwie Dinge verkünden, zu denen wir gezwungen werden.

Hajo Zeeb, Epidemiologe am Leibniz-Institut Bips in Bremen

Für Antje Boetius, Hajo Zeeb und Stefan Luft steht fest: Sie wollen sich trotz aller Anfeindungen und Drohungen nicht mundtot machen lassen. Sie werden weiter forschen und weiter publizieren. So wollen sie dem Hass und den Anfeindungen die Stirn bieten. Epidemiologe Hajo Zeeb sagt nach dem Interview mit buten un binnen: "Vermutlich werde ich nach der Ausstrahlung wieder vermehrt Drohbriefe und Hass-E-Mails bekommen." Trotzdem war er bereit, über das Thema offen zu sprechen.

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Autor

  • Jörn Michaelis

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 4. Juni 2024, 19:30 Uhr