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"Neuro 2023" in Bremen: Kann ein neues Mittel Alzheimer bremsen?

Eine junge Frau sitzt am Bett einer älteren Frau und hält ihre Hand (Symbolbild)
Unter der Alzheimer-Krankheit leiden nicht nur die Betroffenen. Die Krankheit stellt auch pflegende Angehörige vor große Herausforderungen. Bild: dpa | photothek/Ute Grabowsky

Ein neues Alzheimer-Mittel verspricht Erfolge im Frühstadium der Krankheit. In den USA ist es schon auf dem Markt. Das Mittel ist das Top-Thema der "Neuro 2023" in Bremen.

Zwar geht es bei der Tagung "Neuro 2023" im Congress Centrum Bremen auch um Parkinson und MS (Multiple Sklerose). Mit besonderer Spannung aber sehen die Angehörigen Betroffener ebenso wie das Fachpublikum dieses Mal den Debatten rund um Alzheimer entgegen – und das nicht nur, weil erst am vergangenen Donnerstag der Welt-Alzheimertag war. In den Vereinigten Staaten ist seit Juli dieses Jahres ein neuartiges Alzheimer-Medikament zugelassen. Es kann Studien zufolge sehr wirksam sein, wenn es Betroffenen bereits im Frühstadium der Krankheit verabreicht wird. Wahrscheinlich wird das Mittel demnächst auch in Deutschland zugelassen.

"Das ist eine Revolution. Das neue Mittel greift in den Krankheitsprozess ein", sagt Andreas Kastrup, Chefarzt der Klinik für Neurologie am Klinikum Bremen-Mitte. Mit bekannten Alzheimer-Medikamenten dagegen könne man lediglich Symptome der Krankheit bekämpfen. Kastrup hat das Programm der "Neuro 2023" mitentwickelt. buten un binnen hat mit ihm und mit weiteren Fachleuten über Alzheimer, über Medikamente und über die Neuro gesprochen.

Was unterscheidet das neue Alzheimer-Medikament namens Leqembi von anderen Mitteln gegen Alzheimer?

Leqembi, das auf dem Wirkstoff Lecanemab beruht, gilt als erstes Medikament, das den fortschreitenden Abbau geistiger Fähigkeiten bremst, den Alzheimer auslöst. "Das Mittel versorgt den Erkrankten mit Amyloid-Antikörpern, die von Alzheimer verursachte Eiweiß-Ablagerungen aus dem Gehirn herauswaschen", erklärt Kastrup. Das sei deswegen ein bedeutender Fortschritt, weil die Eiweiß-Ablagerungen die Gehirnfunktionen des Alzheimer-Patienten stark beeinträchtigten. Könne man sie entfernen, so wende man Schaden von den Nervenzellen des Gehirns ab und bremse die Alzheimer-Erkrankung.

Mit den bekannten Alzheimer-Medikamente dagegen ließen sich lediglich Symptome der Krankheit angehen. Das gelte auch für Mittel, die den durch Alzheimer hervorgerufenen Mangel des Botenstoffs Acetylcholin im Gehirn ausgleichen. "Die Ursache der Erkrankung wird dadurch leider nicht beseitigt", erklärt Kastrup.

Prof. Dr. Andreas Kastrup hält eine Rede.
Der Bremer Neurologe Andreas Kastrup hat das Programm der Neuro 2023 mitgestaltet. Bild: privat

Man hört aber nicht nur Gutes über Leqembi. Welche Nachteile hat dieses neue Alzheimer-Medikament?

Das Medikament kann, wie klinische Tests gezeigt haben, offenbar Entzündungsreaktionen im Gehirn nach sich ziehen, sagt Kastrup. In sehr seltenen, aber umso gefährlicheren Fällen könne es auch zu Einblutungen im Gehirn kommen. Trotzdem hält Kastrup es für wahrscheinlich, dass der Wirkstoff Lecanemab demnächst auch in Europa zugelassen wird.

Ein weiterer Nachteil des Medikaments ist Kastrup zufolge, dass es nur wirke, wenn es ab einem sehr frühen Stadium der Alzheimer-Erkrankung eingesetzt wird. Schließlich sei das Mittel sehr teuer. "Nach jetzigem Stand kostet es rund 30.000 Euro pro Jahr und Patient", so Kastrup.

Auch sind nicht alle Mediziner derartig von der Wirksamkeit des Medikaments überzeugt wie Andreas Kastrup. So sagt der Bremerhavener Neurologe Holger Honig, der ebenfalls im Programmbeirat der "Neuro 2023" sitzt: "Leider haben sich bisher die Hoffnungen auf eine wirksame Therapie mit Amyloid-Antikörpern nicht bestätigt." Honig bezweifelt daher auch, dass die neuen Präparate mit dem Wirkstoff Lecanemab tatsächlich einen Durchbruch bei der Behandlung von Alzheimer bringen werden. "Die Unterstützung der Angehörigen steht aus meiner Sicht im Vordergrund", sagt Honig mit Blick auf Alzheimer.

Das Medikament "Leqembi"
In den USA schon zugelassen, in Deutschland noch nicht: Leqembi. Bild: Imago | Michael Clevenger/Courier Journal

Was hat die Neuro neben Diskussionen rund um das neue Alzheimer-Mittel noch zu bieten?

Grundsätzlich geht es bei der "Neuro" gleichermaßen um Parkinson, Multiple Sklerose und Demenz (Alzheimer ist eine Form der Demenz). "Betroffene und Angehörige bekommen zu jeder dieser Krankheit ein Update: Infos zum aktuellen Stand der Forschung und der Behandlungsmethoden", erklärt Kastrup. Ohnehin sei die Tagung vor allem für Angehörige konzipiert. Etwa zwei Drittel der Vorträge richteten sich an Laien, lediglich ein Drittel an das Fachpublikum aus Forschern, Medizinern und Pflegekräften.

So hält Tanja Meier von der DIKS (Demenz Informations- und Koordinationsstelle) bei der "Neuro" einen Vortrag mit dem Titel "Pflege zu Hause: wer hilft mir?". Darin möchte sie erläutern, welche Entlastungsmöglichkeiten es für Pflegebedürftige und Angehörige durch die gesetzliche Pflegeversicherung gibt. "Das ist kompliziert gemacht vom Gesetzgeber. Viele Menschen kennen sich nicht damit aus und nutzen die Leistungen daher nicht", sagt Meier dazu.

Dabei stehe Betroffenen schon ab Pflegegrad 1 ein monatlicher Entlastungsbetrag von 125 Euro zu, um beispielsweise über anerkannte Dienstleister Haushaltshilfen in Anspruch zu nehmen. "Ich wünsche mir, dass mehr Leute von solchen Möglichkeiten wissen. Das möchte ich mit meinem Vortrag erreichen", beschreibt Meier ihr Ziel für die Neuro 2023.

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Bild: Radio Bremen
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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 21. September 2023, 19.30 Uhr