Ballermann ohne Brimborium – darum lieben die Bremer Pizarro so sehr

Alles vorbereitet für's große Fest: Pizarro vor seinem Abschiedsspiel

Bild: dpa | Pressefoto Uler / Bjoern Hake

Heute Abend sagt Claudio Pizarro im Weser-Stadion endgültig "Adios". Bei Werder hat er in den vergangenen 23 Jahren sportlich und charakterlich Geschichte geschrieben.

Wenn Claudio Pizarro am Samstag um 17:30 Uhr sein Abschiedsspiel feiert, wird das Weser-Stadion proppenvoll sein. Ratzfatz war die Partie ausverkauft, als die Tickets rauskamen. Alle wollen dabei sein, wenn "Pizza" zum letzten Mal dort aufläuft, wo die Weser einen großen Bogen macht. Aber was macht den Peruaner für die Bremerinnen und Bremer eigentlich so besonders?

Klar, besonders ist bereits, dass Pizarro in seiner Karriere gleich dreimal zu Werder zurückgekehrt ist. Der Stürmer ist eine Bremer Legende – aber eine mit moderner Prägung. Jemand, der das Weltmännische verkörpert, sich aber auch in der Bremer Gemütlichkeit pudelwohl fühlt. Der an seine Karriere dachte und das Maximum rausholte, sich aber nie rücksichtslos, sondern immer respektvoll verhielt. Und sich in guten wie in schlechten Zeiten nie sein ansteckendes Lachen nehmen ließ.

  • Claudio Pizarro – der ewige Werder-Rückkehrer

    Offenbar hält es Claudio Pizarro ohne Werder nicht aus. Viermal wechselte er an die Weser – und eigentlich veränderte sich im Laufe der Jahre nur seine Frisur.

"Pizza-Toni" sorgte für Zirkusluft im kühlen Norden

Was sich zwischen Pizarro und den Menschen in der Stadt entwickeln würde, war am 12. September 1999 noch nicht zu erahnen. Damals spielte Pizarro zum ersten für Werder im Weser-Stadion und traf prompt beim 5:0-Sieg gegen den 1. FC Kaiserslautern. Ohnehin zeigte er direkt, dass die 1,6 Millionen D-Mark, die Werder für ihn an Alianza Lima bezahlen musste, richtig gut investiertes Geld waren.

Pizarro, Ailton und Bogdanovic bejubeln ein Werder-Tor.
Zwei, die sich sofort verstanden: Claudio Pizarro (links) und Ailton (rechts) stürmten von 1999 bis 2001 gemeinsam für Werder und sind auch heute noch gut befreundet. Bild: Imago | Jaspersen

Schnell wurde der damals erst 20-Jährige zum Hoffnungsträger. Richtig gute Stürmer hatte Werder zuvor schon lange nicht mehr im Kader. Die Zeiten von Klaus Allofs und Wynton Rufer waren verblasst und Ailton bis dahin ein Flop, der Bremen wieder verlassen und nach Brasilien zurückkehren wollte. Auch das änderte sich mit Pizarro. "Pizza-Toni" lieferte bei Werder ab – und verlieh dem Klub ganz neuen Glanz. Im kühlen Norden besaßen zuvor eher ehrliche Arbeiter wie Jonny Otten oder Ulli Borowka Kultstatus. Nun kamen die beiden lebensfrohen Südamerikaner, die nicht nur um die Wette grinsten, sondern auch Treffer um Treffer erzielten.

Pizarro verhielt sich wie ein echter Hanseat

Zehn Tore schoss Pizarro in seiner ersten Saison in der Bundesliga, 19 im Jahr darauf. Das weckte Begehrlichkeiten und Pizarro folgte den klassischen Reflexen eines Profifußballers. Er war kein Typ wie Thomas Schaaf, Dieter Eilts oder Marco Bode, die ihre gesamte Karriere bei Werder verbrachten. Nach nur zwei Jahren ging er 2001 wieder, um mit dem FC Bayern nach den ganz großen Titeln zu greifen und mehr Geld zu verdienen.

Pizarro wäre deshalb in Bremen wohl nur ein Kapitel geblieben. Einer, bei dem gedacht wird: "Wow, stimmt, der hat ja auch mal bei uns gespielt." Wie es bei Miroslav Klose der Fall ist, der in Bremen zwar geachtet, aber eben nicht geliebt wird. Dabei sorgte auch Pizarro für Frust bei den Fans, als er 2012 den Klub ablösefrei verließ, um erneut nach München zu wechseln. Geheim-Verhandlungen mit den Bayern vor einem wichtigen Spiel, wie bei Klose 2007 vor dem Halbfinale im Uefa Cup, gab es jedoch nie. Pizarro spielte stets mit offenen Karten und blieb dabei – klassisch hanseatisch – immer anständig. Nie tat er etwas, das Werder geschadet hätte.

Pizarro sorgte bei Werder immer für Euphorie

Sein vorbildhafter Charakter paarte sich dabei mit enormer sportlicher Klasse. Auch in besten Bremer Zeiten stach er noch aus dem Kader heraus. Die Rekorde sprechen für sich. Mit 108 Treffern ist er Werders Rekordtorjäger in der Bundesliga. Dazu ist er auch der älteste Torschütze der Bundesliga-Historie, seitdem er im Februar 2019 mit 40 Jahren und 136 Tagen gegen Hertha BSC traf. Zeitweise war er auch der beste ausländische Torjäger der Liga, ehe Robert Lewandowski seinen Rekord von 195 Treffern knackte.

Pizarro schießt 2019 ein Tor per Freistoß gegen Hertha BSC.
Ein Moment für die Geschichte: Durch ein Freistoßtor gegen Hertha BSC schnappte sich Claudio Pizarro den Titel des ältesten Torschützen der Bundesliga-Geschichte. Bild: Imago | Nordphoto

Um sich selbst machte Pizarro dabei nie viel Brimborium. Bei Werder sorgte er häufig für den Unterschied, ließ aber nie den dicken Max raushängen. Öffentliche Kritik an Trainern oder Mitspielern? Waren ihm genauso fremd wie Skandale neben dem Platz. Für die Fans war er stets jemand, der ihnen Halt und Hoffnung gab. So auch im Sommer 2015, als diese am "Tach der Fans" den Schock verkraften mussten, dass Stürmer Franco di Santo sie nach einem öffentlichen Eiertanz doch verließ, um zu Schalke 04 zu wechseln.

Wenige Wochen später herrschte am späten Sonntagabend große Euphorie am Bremen Flughafen, zu dem zahlreiche Fans strömten. Der Grund: Pizarro flog aus München ein und unterschrieb zum dritten Mal bei Werder. Er war zwar schon 36 Jahre alt, traf aber trotzdem noch 14-mal. Tore, ohne die die Bremer wohl schon 2016 einmal abgestiegen wären.

Pizarro nahm seine Rolle auch im höheren Alter an

Claudio Pizarro bejubelt den DFB-Pokal-Erfolg in Dortmund
Ein echter Leitwolf: Auch beim Pokal-Coup 2019 in Dortmund ging Claudio Pizarro voran. Für die Bremer glich er in der Verlängerung zum 2:2 aus und traf auch im Elfmeterschießen. Bild: Imago | Jan Huebner

Pizarros sportlicher Stellenwert nahm dabei mit dem Alter natürlich ab. Einst war er der Stürmer, der mit Werder 2009 den DFB-Pokal gewann und den Klub 2010 gegen Sampdoria Genua zum letzten Mal in die Champions League schoss. Ein Schlawiner vor dem Tor, der für seine Gegner nie ganz auszuschalten war. Der über einen starken Schuss und gutes Kopfballspiel verfügte, zugleich aber auch seine Mitspieler perfekt einsetzen konnte. Unter Alexander Nouri geriet er 2017 jedoch aufs Abstellgleis. Der damalige Bremer Coach traute ihm nichts mehr zu und Pizarro erhielt bei Werder zunächst einen Abschied durch die Hintertür. Ein Fehler, den Florian Kohfeldt 2018 revidierte.

Er erkannte, dass Pizarro dem Team noch helfen konnte. Auch im hohen Fußballeralter besaß er noch die Klasse, um wie 2019 im Achtelfinale des DFB-Pokals gegen den BVB für besondere Momente zu sorgen. Er spielte nicht mehr die erste Geige im Sturm, war aber ein echter Teamplayer, der sein Wissen gerne an die jungen Spieler weitergab und sich immer in den Dienst der Sache stellte. Auch das machte ihn bei den Fans so beliebt. Pizarro ist der größte Stürmer, der je für Werder gespielt hat – und trotzdem hat er sich nie für größer als Werder gehalten.

Das Wetter für den 24. September – mit Pizarro

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Sportblitz, 22. September 2022, 18:06 Uhr