Interview

Bremer Tierrechtler: "Man weiß nie, welchen Wolf man entnimmt"

Ein Wolf läuft durch einen Wald.

Niedersachsen gibt erstmals Wolf im Schnellverfahren frei

Bild: dpa | Raimund Linke

In Niedersachsen könnte zum ersten Mal ein Wolf per Schnellverfahren abgeschossen werden. Ein Bremer Jura-Professor hält den Ansatz nicht für "besonders sinnvoll."

Seit September sind in einem Gebiet in der Region Hannover immer wieder Rinder gerissen worden. Das niedersächsische Umweltministerium ist sich sicher, dass es ein Wolf war und will als erstes Land das neue Schnellabschussverfahren anwenden.

Bremer Jura-Professor Sönke Gerhold
Sönke Gerhold ist Jura-Professor an der Universität Bremen und Leiter der Forschungsstelle Tierrechte. Bild: Universität Bremen | Matej Meza

Ab Dienstagabend darf im Abstand von 1.000 Metern um die betroffene Weide drei Wochen lang auf Wölfe geschossen werden – unabhängig davon, ob diese Wölfe wirklich die Rinder gerissen haben. Diese Abschussgenehmigung gilt erstmal nur für ein Tier. Den genauen Ort will das Ministerium aber nicht verraten, auch um die Personen zu schützen, die mit dem Wolfsabschuss beauftragt werden. Tierschützer wollen juristisch gegen die Abschussgenehmigung vorgehen.

Sönke Gerhold von der Universität Bremen kritisiert das neue Schnellverfahren. Einen Wolf abzuschießen sei nur dann sinnvoll, wenn man auch den Problemwolf erwische, sagt der Jura-Professor von der Forschungsstelle Tierrecht im Interview mit buten un binnen.

Herr Gerhold, wie sinnvoll ist das Schnellabschussverfahren für Wölfe?

Ich beurteile ein solches Vorgehen als nicht besonders sinnvoll, weil man nie weiß, welchen Wolf man tatsächlich entnimmt. Es gibt diese sogenannten Problemwölfe, die Nutztiere reißen oder die Scheu vor Menschen verloren haben – das sind aber konkrete Individuen. Das Schnellabschussverfahren zielt darauf, dass man den Wolf nicht mehr individualisieren muss, also dass man nicht mehr herausfinden muss: Ist das eigentlich der Wolf, den wir meinen? Sondern dass im Hinblick auf einen Anlass – also zum Beispiel einen Nutztierriss – in einem bestimmten Umkreis und einem bestimmten Zeitraum jeder Wolf geschossen werden darf. Auch die Wölfe eben, die keine Nutztiere reißen.

Welche Konsequenzen hat das?

Diese Wölfe können dann zum Beispiel das Wissen, wie man Rehe jagt oder dass man sich von Menschen fern zu halten hat, nicht an ihre Jungtiere weitergeben. Der Wolf, den man eigentlich entnehmen wollte, hat man aber vielleicht gar nicht gefunden und merkt es nicht einmal, weil eben keine Identifizierung stattgefunden hat. Er wird also gegebenenfalls wieder Nutztiere reißen. Abgesehen davon, dass man die Anzahl der Wölfe in der Bundesrepublik reduziert hat, hat man daher im Zweifel nichts gewonnen.

Das heißt, nicht alle Wölfe sind potenziell gefährlich für Nutztiere?

Es gibt Wölfe, die sich von Menschen fernhalten, und es gibt Wölfe, die gelernt haben, dass es in der Kulturlandschaft wie beispielsweise auf einer Weide besonders einfach ist, Beute zu machen. Wenn ein Wolf das gelernt hat, dann kann es sein, dass er sich zu einem sogenannten Problemwolf entwickelt und dann immer wieder versuchen wird, ein Nutztier zu reißen. Ein anderer Wolf würde sich vielleicht gar nicht auf die Weide trauen und von einem Zaun oder anderen Schutzmaßnahmen abhalten lassen.
Die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sagt, dass man nach besten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen das konkrete Individuum identifizieren muss, bevor man es entnehmen darf. Deswegen war es bisher überall in Deutschland so, dass man DNA-Proben brauchte, um den konkreten, auffälligen Wolf zu identifizieren. Ein solches Vorgehen ist auch das einzige, was Sinn macht.

Das Bundesumweltministerium betont, dass das Schnellabschussverfahren mit dem europäischen Artenschutz vereinbar ist.

Immer wenn ein Schnellabschussverfahren ohne Überprüfung der Identität des Wolfes gestattet wird, dann ist das offenkundig nicht mal der Versuch, den Verursacherwolf nach besten wissenschaftlichen und technischen Erkenntnissen zu ermitteln, also das Europarecht umzusetzen. Erst wenn dieser Versuch vorgenommen wird und misslingt, ermöglicht es das EU-Recht weitergehende Maßnahmen zu ergreifen. Es ist nach geltendem Recht daher nicht so, dass der Staat zulassen muss, dass alle Nutztierbestände in der Region Wolfsrissen zum Opfer fallen, aber man muss eben zuerst versuchen, die Nutztiere zu schützen und die Wölfe abzuschrecken, dann den konkreten Problemwolf zu identifizieren.

Der Schnellabschuss überspringt diesen wichtigen Schritt der Identifikation.

Sönke Gerhold, Jura-Professor der Universität Bremen

Warum ist es wichtig, dass der Wolf weiterhin in Deutschland lebt?

Der Wolf ist streng geschützt, er ist wichtig für die ökologischen Zusammenhänge im Wald. Er reißt ein Wildtier, frisst sich daran satt, aber es bleibt noch Aas übrig. Darin können sich bestimmte Insekten entwickeln, die beispielsweise wiederum von Vögeln gefressen werden können, aasfressende Tiere können sich an den Kadaverresten bedienen und müssen nicht auf andere Nahrungsquellen ausweichen. Ohne den Wolf fehlt es allgemein an größerem Aas in Deutschen Wäldern – und das hat ökologische Konsequenzen.

Welche Alternativen gibt es denn noch zu dem Schnellabschussverfahren?

Die Alternativen sind, sich darauf zu fokussieren, wirklich die richtigen Wölfe zu erwischen und den Nutztierschutz zu verbessern. Manche Wölfe haben ja auch auffällige körperliche Merkmale, wie vielleicht ein eingerissenes Ohr. Wenn man also Fotofallen auf den Weiden hätte, dann wäre das zusätzlich zur DNA-Untersuchung eine Möglichkeit verlässlicher Identifizierung. Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist natürlich der eben schon angesprochene Nutztierschutz, etwa die Tiere über Nacht in den Stall zu stellt und diesen zu verschließen oder wolfssichere Zäune aufzustellen, Herdenschutzhunde mit auf die Weiden zu geben und so weiter.

Es ist offenbar gar nicht so einfach, einen Wolf zu schießen. Ist es dann nicht noch komplizierter, einen bestimmten Wolf zu treffen?

Wölfe sind scheu und halten sich im Normalfall nicht in der Nähe von Menschen auf, das macht den Abschuss schwierig. Aber es ist in der Vergangenheit ja immer wieder gelungen, wenn man einen Wolf über DNA identifiziert hat. Es ist nichts Unmögliches – es ist vielleicht aufwändiger und dauert länger, aber dafür wird das Ziel, den tatsächlichen Problemwolf zu entnehmen auch wirklich erreicht. Das ist im Rahmen des Schnellabschussverfahrens nicht gewährleistet.

Welche Auswirkungen könnte das Schnellabschussverfahren für die Art Wolf haben, wenn es flächendeckend zum Tragen kommt?

Es werden prognostisch deutlich mehr Wölfe als vorher geschossen werden, darunter einige Problemwölfe und viele Nicht-Problemwölfe. Je nachdem in welchem Umfang dieses Verfahren praktiziert wird, kann es dann spürbare Auswirkungen auf die Wolfspopulation haben. Das hängt aber davon ab, wie viele Wölfe im Rahmen einer Erlaubnis tatsächlich geschossen werden. Das lässt sich derzeit nicht seriös prognostizieren.

Wolf unter Verdacht: 7 Schafe in Bremen gerissen

Bild: Radio Bremen

Autorin

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 26. März 2024, 6 Uhr