Wie ist das Watt durch den Winter gekommen?
Wie ist das Watt durch den Winter gekommen?
Bild: Radio Bremen | Sina Derezynski
Im Mai beginnt die Wattsaison. Doch die winterlichen Stürme haben vieles verändert. Ein Wattführer verrät, was das für Tiere und Touristen bedeutet.
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Matthias Mertzen ist seit März 2020 Leiter des Nationalpark-Haus Wurster Nordseeküste. Der 35-jährige Biologe hat in Jena studiert und ist Experte für Marine Ökosysteme. Wie er und die anderen Wattführer und Wattführerinnen mit den Folgen des Winters umgehen, erklärt er im Interview.
- Herr Mertzen, wie hart war der vergangene Winter im Watt?
- Wir hatten eine höhere Sturmflut als in vergangenen Jahren, als das Wasser nicht über die Ufer getreten war. Anders als sonst hat es auch mal ein bis zwei Wochen durchgestürmt. Anders als im vorangegangenen Jahr hatten wir aber keine zwei, drei Wochen Eisbedeckung.

- Hat das Watt den Winter denn gut überstanden?
- Dem Watt ist es relativ egal, wie der Winter ist. Aber je strenger der Winter ist, desto stärker ändern sich die Bedingungen. Die Priele ändern den Verlauf, bilden Seitenarme, werden tiefer oder verschlicken.
- Beeinflusst das die Schifffahrt?
- Die Schifffahrt ist davon nicht stark beeinflusst. Die Kutterfahrer können aber ihre Seekarten vom vergangenen Jahr schreddern.
- Und die Tiere?
- Die Muschelbänke haben sich in diesem Jahr schon verändert. Das haben wir immer mal wieder, dass sich Muscheln von ihnen fortreißen. Pazifische Austern, die sich eigentlich mit ihren Zementdrüsen aneinanderkleben, wurden in diesem Jahr häufiger von den starken Stürmen abgerissen. Einige haben wir jetzt einen Kilometer vor Küste gefunden, statt zwei bis drei Kilometer draußen.
Wattbegehung an der Wurster Nordseeküste
Das Wattenmeer bei Dorum
Direkt am Strand von Dorum-Neufeld befindet sich das Sandwatt.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Drei Wattwanderer auf dem Rückweg nach Dorum
Bevor die Wattführer mit den Touristen zu den langen Wattwanderungen im Mai starten, müssen sie die Routen testen.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer gräbt etwas aus
Dieter Oetting und Christiane Helbig auf der Suche nach dem Wattwurm. Hier finden sie nur noch einen Hohlraum im Watt, durch den er sich geschlängelt hat.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer erklärt dem Fernsehteam einen Fund
Hier zeigt der Wattführer zwei verschiedene Arten von Wattwürmern. Sie filtern den Sand und reichern den Sand und Schlick mit Sauerstoff an.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Ein kleines Wattlebewesen auf der Hand
Dieser Einsiedlerkrebs hat es sich in einem Schneckenhaus gemütlich gemacht. Oben drauf lebt eine Seepocke.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Auster im Watt bei Dorum
Die Pazifische Auster verbreitet sich immer mehr im niedersächsischen Wattenmeer.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Das Fernsehteam von buten un binnen wandert durch das Watt bei Dorum
Wegen der gefährlichen Schlickfelder sind Gummistiefel im Watt verboten. Stattdessen trägt man sogenannte Beachies – Socken mit Gummisohle.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer gräbt im Watt von Dorum
Dieter Oetting ist im Watt immer mit einer Forke unterwegs.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Watt-Wanderführer mit Mistgabel neben dem Team von Radio Bremen
Priele ziehen sich wie Adern durchs Watt. Sie laufen auch als erstes voll, wenn das Wasser bei Flut wieder kommt.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Wattlandschaft bei Dorum
Hier entspringt der Seitenarm des Priels. Von Meter zu Meter wird er immer größer, tiefer und breiter.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Wattlandschaft mit Fahrrinne bei Dorum
Ein Seitenarm eines Priels. Hier steht das Wasser sonst 2 Meter hoch.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Drei Wattwanderer am Horizont
Bis zu 20 Kilometer zieht sich das Wasser vor Dorum-Neufeld bei Ebbe zurück.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Geführte Wattwanderung in Dorum mit Fernsehteam von Radio Bremen
Bevor es mit den Touristen zur langen Wattwanderung auf Tour geht, müssen sie mindestens noch eine weitere Watterkundungtour machen, damit alle sicher ans Ziel kommen.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer zeigt dem Fernsehteam einen Fund
Überall findet man Muscheln, Krebse und andere Lebewesen.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer erklärt im Watt
Dieter Oetting zeigt seit fast 50 Jahren den Touristen und Tagesgästen, wie der Wattwurm kriecht.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Watt-Wanderführer vor dem Fernsehteam von Radio Bremen im Watt bei Dorum
Kamera an: Auch das Team von buten un binnen hat sich durch das Schlcikwatt gekämpft.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Wattwanderer halten mit Fernglas Ausschau
Dieter Oetting, Christiane Helbig und Dr. Matthias Mertzen (v.l.) halten Ausschau nach größeren Tieren. Auf den Sandbänken tummeln sich Seehunde und in den Prielen Ringelgänse.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Fußspuren im Watt bei Dorum
In den Prielen verschwinden die Fußspuren durch die Strömung sehr schnell wieder.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer schaut auf seinen Kompass
Den genauen Ort des Schlickfeldes hält er auf seiner Wattkarte fest. Um die Koordinaten notieren zu können, peilt er den Punkt mit seinem Kompass.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer zeigt einen Punkt auf einer Karte
Auf dieser Wattkarte werden kritische Bereiche notiert. Schlickfelder und Muschelbänke mit viele scharfkantigen Muscheln werden aus Sicherheitsgründen nicht mit Gästen betreten.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer zeigt die Richtung an
Dieter Oetting und Dr. Matthias Mertzen überlegen sich einen alternative Route. Auf der langen Wattwanderung wollen sie den Wattenmeerbesuchern gerne viel bieten.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Der Watt-Wanderführer zeigt einen Muschelfund
Dieter Oetting hat eine Pazifische Auster gefunden.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Austernfund im Watt von Dorum
Die Pazifische Auster kann bis zu 20 Zentimeter groß werden.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
Geführte Wattwanderung in Dorum mit einem Fernsehteam von buten un binnen
Dieter Oetting, Dr. Matthias Mertzen und Christiane Helbig (v.l.) kommen im Sonnenuntergang nach 4 Stunden von ihrer Watterkundungstour.
Quelle: Radio Bremen, Sina Derezynski
- Ein Wattwurm hingegen, der gräbt sich bei Sturm und Schnee einfach tiefer ein oder wandert weiter raus. Bei anderen Tieren ist es hingegen so, dass sie jetzt erst wiederkommen. Viele von ihnen überwintern eher in tieferen Bereichen des Watts oder sogar im Freiwasser. Und sie kommen dann erst im April oder Mai, wenn es wärmer wird, auf die Wattfläche zurück.
Das Wattenmeer ist auch die Kinderstube für rund achtzig Fischarten und andere Tierarten. Sodass wir jetzt kleine Garnelen finden, die hier aufwachsen. Oder kleine Strandkrabben, die so einen Zentimeter groß sind und über die Wattfläche laufen. Letzte Woche haben wir zum Beispiel die ersten kleinen Schollen im Priel gefunden. Die sind so ein bis zwei Zentimeter groß und wachsen ohne den Fraßdruck größerer Tiere auf. Denn die müssen bei Ebbe im tieferen Wasser bleiben.
- Was verbinden Sie mit den ersten Begehungen, bevor die Saison im Mai beginnt?
- Es ist auch immer ein bisschen ein Team-Event, wenn wir da mit verschiedenen Leuten Ende April vorab rausgehen. Wir gucken dann gemeinsam, wo man langgehen kann und welche Optionen es gibt.
- Mit welchen Hilfsmitteln arbeiten Sie dabei?
- Wir nehmen eine Seekarte mit und einen Kompass. Auch Ferngläser sind ganz wichtig. Man kann auch am Watt selbst schon erkennen, ob das jetzt eher fester ist oder schlickiger. Wir suchen immer Strecken, bei denen sichergestellt ist, dass nicht mehrere Menschen in einer Gruppe gleichzeitig einsinken. Das mag für den Einzelnen ganz entspannt und spaßig sein. Wenn das aber in einer Gruppe passiert, dann kann sich schnell mal eine Dynamik entwickeln.

- Wie legen Sie neue Routen fest?
- Zum Beispiel durch die Windräder des Offshore-Windparks Nordergründe oder Gebäude wie die Kurverwaltung. Sie dienen als Fixpunkte in der Ferne, um die Gruppe später richtig durchs Watt zu führen und um die Priele und Seitenarme herumzubekommen. Auch die Priggen können Marken sein. Sie werden ja weit rausgesetzt, also bis zu drei Kilometer, damit die Kutterfahrer aus dem Hafen auch bei Hochwasser den Prielweg finden und nicht auf die Wattfläche auflaufen.
- Priggen sind ja wie kleine Bäumchen im Wattenmeer. Halten sie dem Winter stand?
- Die Priggen werden jedes Jahr im März erneuert, weil der Priel jedes Jahr seinen Lauf verändert. Das passiert zum Teil von Booten aus. Meistens werden sie aber bei Niedrigwasser rausgetragen und gesetzt. Manchmal stehen dann nach dem Winter noch zwei nebeneinander oder eine hängt schief oder es steht noch aus dem letzten Jahr ein kleiner Stumpf. Das können auch Wegpunkte sein, an die man sich im Watt halten kann.
- Neben Priggenstümpfen verbirgt sich noch viel mehr im Watt. Haben Sie bei Ihren Frühjahrsbegehungen auch schon mal Funde wie alte Wracks gemacht?
- Solche Funde sind keine Einzelfälle. Bei uns ist es so, dass wir durch die Elbe- und die Wesermündung immer viel Schiffsverkehr hatten und haben. Da findet man immer mal wieder was im Watt. In Schleswig-Holstein gibt es ja sogar untergegangene Siedlungen, die heute im Watt liegen. Hier bei uns gibt es eine alte Buhne, also einen Steinwall, der einst als Wellenbrecher diente. Er wird auch immer wieder freigespült. Das sind Relikte, die wir Menschen im Watt hinterlassen haben.
- Finden Sie auch mal weniger schöne Relikte – zum Beispiel Gummistiefel?
- Wir haben hier Mischwatt. Das heißt, den ersten Kilometer kann man zwar mit Gummistiefeln laufen, danach würden sie aber sehr sicher im Watt stecken bleiben. Weshalb wir unsere Touren nur mit sogenannten Beachies machen, das sind für das Watt geeignete Socken. Bei einer Begehung haben wir in dieser Woche aber zum Beispiel ein Netz gefunden.
Wenn die Garnele das frisst, und die Garnele dann vom Plattfisch gefressen wird, und die Scholle oder Flunder dann eben vom Schweinswal, dann sammelt sich das Plastik an.
Matthias Mertzen, Leiter des Nationalpark-Haus Wurster Nordseeküste
- Wie groß war es?
- Das war jetzt nicht groß – vielleicht fünfzig mal fünfzig Zentimeter. Trotzdem bleibt es siebenhundert Jahre im Watt oder im Meer, bis es zersetzt wird. Und dann ist es nicht weg, sondern Mikroplastik. Und der hat den großen Nachteil, dass er sich in der Nahrungskette anreichert. Also wenn die Garnele das frisst und die Garnele dann vom Plattfisch gefressen wird und die Scholle oder Flunder dann eben vom Schweinswal, dann sammelt sich das Plastik an. Und wir wissen noch gar nicht, was das auf lange Sicht mit den Organismen macht. Was wir wissen, ist, dass es bei Fischen zum Beispiel zu einer geringeren Fruchtbarkeit führen kann. Aber auch wir Menschen nehmen ja pro Woche fünf Gramm Mikroplastik mit unserer Nahrung auf – das entspricht ungefähr einer Chipkarte.
- Führen Sie auch Forschung im Watt durch?
- Wir versuchen das auszubauen. Derzeit beteiligen wir uns an der Zählung der Wat- und Wasservögel. Alle zwei Wochen werden sie gezählt und ihre Arten bestimmt. So entstehen Langzeitdatensätze, die uns künftig zum Beispiel über die Populationsentwicklung des Austernfischers Rückschlüsse ziehen lassen.
Darüber hinaus gibt es Monitorings vom Thünen-Institut, dem Alfred-Wegener-Institut, der Unis Bremen und Oldenburg, wo bestimmte Bereiche beprobt werden. Da wird dann geguckt, wie sich die Artzusammensetzung auf einem bestimmten Quadratmeter im Watt geändert oder wie die Zahl der Miesmuscheln auf den Muschelbänken zu- oder abgenommen hat. Solche Daten spielen dann zum Beispiel für Fangquoten eine Rolle.
Wie ist das Cuxhavener Watt durch den Winter gekommen?
Bild: Radio Bremen
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 29. April 2022, 8:40 Uhr