Unterwegs mit dem Bremer Gästeführer: Von Kaffee-Herz bis Bürgerschaft

Ein Blick auf den Bremer Marktplatz, zu sehen sind Rathaus, Dom und Bürgerschaft.

Unterwegs mit dem Bremer Gästeführer: Von Kaffee-Herz bis Bürgerschaft

Bild: Imago / Eckhard Stengel

Wissen Sie, was das Herz im Mosaik in der Böttcherstraße soll? Was das Besondere an der Architektur der Bürgerschaft ist? Nein? Die Antworten kennt Gästeführer Erich Bontenackels.

"Wenn wir auf dem Marktplatz sind, werde ich bei so gut wie jeder Führung gefragt: 'Warum ist das so hässlich?' Und wissen Sie, was gemeint ist?" "Die Bürgerschaft?" Gästeführer Erich Bontenackels nickt. Auf diese Frage antwortet er immer "Das ist Vielfalt!"

Bontenackels ist einer von 70 Gästeführern, die für Bremen Tourismus jährlich über 150.000 Besucher und Einheimische durch die Stadt führen. So wie heute. Sonne ist vorhergesagt. Die Nachfrage nach Stadtführungen ist an diesem Wochenende hoch. Um niemanden zu enttäuschen, wurde die Führung von Erich Bontenackels zusätzlich angesetzt.

Vier Paare nehmen teil: Ein junges, Ende zwanzig, die Frau hochschwanger. Gegen den scharfen Wind trägt sie eine Strickmütze. Zwei Freundinnen im Kostüm, beide Mitte dreißig. Mittfünfziger aus Düsseldorf. Er in Funktionskleidung, sie in Jeans und Anorak. Die beiden Oldenburger sind die Ältesten. Beide Anfang 60, warm eingepackt mit Schal und Mütze.

Kaffee HAG-Herz in der Böttcherstraße

Die Gruppe trifft sich vor der Tourist Information in der Böttcherstraße zwischen Kaffee-Hag-Haus und Glockenspiel. Erich Bontenackels begrüßt alle und kündigt einen zweistündigen Stadtspaziergang an. Er zeigt auf das Mosaik am Kaffee-Hag-Haus: "Sehen Sie das Herz dort?" Die Teilnehmer nicken, überrascht, dass Bontenackels hier, in der berühmten Böttcherstraße, ausgerechnet nach einem Mosaik im Fenster fragt.

Mosikfenster mit Kaffee-HAG-Elementen
In der Böttcherstraße sind noch heute viele Spuren von Ludwig Roselius zu finden. Bild: Radio Bremen | Heike Kirchner

"Wissen, Sie was das Herz mit dieser Straße zu tun hat?" Alle schauen sich ratlos an. Der Teilnehmer aus Oldenburg wagt sich vor: "Roselius!" Bontenackels nickt und erklärt: Ludwig Roselius, der Erfinder des Kaffee Hag, hat das rote Herz als Zeichen für das menschliche Organ weltweit berühmt gemacht. Roselius' Vater starb im Alter von nur 59 Jahren. Für einen wohlhabenden Kaffee-Kaufmann war das jung. Todesursache: "übermäßiger Kaffeegenuss" und dadurch verursachte Schäden der Herzgefäße.

Für Sohn Ludwig Grund, ein Verfahren zu entwickeln, um künftig den Kaffee-Tod zu verhindern: die Entkoffeinierung. 1906 entstand die Kaffee-Handels-Aktiengesellschaft (Kaffee HAG). Weltweit das erste Unternehmen, das koffeinfreien Kaffee herstellte. Bremer Ärzte, so Bontenackels, empfahlen bis in die 1960er Jahre bei Herzleiden Kaffee HAG. Der Rettungsring als Zeichen dafür, das Kaffee HAG die Gesundheit rettet, zierte die Packungen.

1929 bekam der Rettungsring das rote Herz an seine Seite. Bis heute zählt Kaffee HAG zu einer der traditionsreichsten Kaffee-Marken. Daher das rote Herz in dem Mosaik des Kaffee-HAG Hauses.

Der Bremer Dom: Ein Schmelztigel von Baustilen

Nach einem kurzen Stopp bei der Bremer Bonbon-Manufaktur wandert die Gruppe weiter zum Marktplatz. Kaum kommt der Tross dort an, grummelt der Gast aus Oldenburg: "So schön hier. Wenn nur nicht die Bürgerschaft wäre!" Er wendet sich an Bontenackels: "Warum wurde dieser Platz so verschandelt?" Der Stadtführer reagiert mit: "Das ist Vielfalt! Was haben Sie dagegen?" Aber er verspricht, darauf später genauer einzugehen.

Porträt von Erich Bontenackels
Erich Bontenackels ist Gästeführer – und freut sich jedes Mal, wenn er sein Wissen bei einer Stadtführung weitergeben kann. Bild: privat

Zuerst stellt er sich mitten auf den Marktplatz und ruft: "Alle mal hierherschauen." Er deutet auf den St. Petri Dom neben dem Rathaus. Der stammt aus dem 11. Jahrhundert. Die Kirche hat ihn im Mittelalter auf den Marktplatz gestellt, um zu zeigen, wer die Macht in der Stadt hat. In der frühen Neuzeit wurde das Bürgertum stark genug, um einen Gegenpol zu setzen. Ohne Vorwarnung begann es 1405 mit dem Bau des Rathauses. Der Erzbischof fiel von dem Lärm vor Schreck aus dem Bett, erzählt Bontenackels. 

Er erklärt die unterschiedlichen Baustile, die im St. Petri Dom vereint sind. Als die Gruppe den Dom verlässt, fällt der Blick der Teilnehmer direkt auf die Bürgerschaft. Warum ist das Gebäude so hässlich? Jetzt wollen es die Teilnehmer genau wissen.

Die Bürgerschaft und der historische Marktplatz

Bontenackels erklärt, dass es sich bei der Bürgerschaft um einen Stahlbeton-Skelettbau mit vorgehängter Glasfassade handelt. Die unterste Dachkante hat die selbe Höhe wie Schütting und Rathaus. Kein Gebäude soll das andere überragen. Das Dach nähert sich gestalterisch den historischen Bauten an. Sie spiegeln sich in der Glasfassade wider. Mit der wird ein weiteres Signal gesetzt: Sie steht für die Transparenz der demokratischen Bürgerschaft. 

Die Bremische Bürgerschaft vom Rathaus aus fotografiert
Für viele auf den ersten Blick gewöhnungsbedürftig: Die Bremische Bürgerschaft auf dem Marktplatz. Bild: Imago / Eckhard Stengel

Schweigen. Die Gruppe steht im Halbkreis und staunt. Alle sehen in dem Gebäude der Bürgerschaft auf einmal das, was Bontenackels sieht: Die Verbindung zwischen der Macht der Kirche im Mittelalter (St. Petri Dom), dem aufstrebenden Bürgertum (Rathaus) und der Demokratie der Gegenwart (Bürgerschaft).

Genau das ist es, was Erich Bontenackels am meisten Freude bereitet: Den Blick und die Perspektive der Teilnehmer zu verändern; sie über die Geschichte der Stadt Bremen und ihre Verbindungen zur Gegenwart aufzuklären. Wenn sie am Ende sagen: "Wir hätten gar nicht gedacht, dass Bremen so schön ist", dann hat er sein Ziel erreicht.

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Autor/Autorin

  • Autor/in
    Heike Brabandt

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Tag, 21. Februar 2024, 12:40 Uhr