Fragen & Antworten

"Happy Nights": Sexarbeit beherrscht die Bühne des Theaters Bremen

Dieses Bremer Theaterstück lässt Sexarbeitende sprechen

Bild: Stefan Korsinsky

Prostitution in Bremen früher und heute – darum geht es in dem Stück"Happy Nights". Auch Prostituierte spielen mit und das Publikum steht auf der Bühne. Samstag ist Premiere.

Der Gast im Kleinen Haus des Theaters Bremen hat die freie Wahl: zwischen einem kleinen Appartement, offenbar eine Absteige, einem BDSM-Studio, einem Nachtclub und einem Cam Place (Kameraraum), wo ein Trans-Performer seinen Kunden online virtuelle Sexdienste anbietet. "Happy Nights" ist ein Stück über und mit Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern aus Bremen. Das Publikum dieser Theater-Produktion der argentinischen Schriftstellerin und Regisseurin Lola Arias verfolgt das Geschehen nicht von einem festen Platz aus, sondern bewegt sich zwischen den Schauplätzen, gerade so, als wäre es Teil der Inszenierung.

Einer der Schauplätze ist der präzise Nachbau des Nachtclubs "Happy Night Bremen", den es seit rund 60 Jahren unter wechselnden Namen und mit wechselnden Besitzern in Walle gibt. Die heutige Inhaberin des Clubs, Hannelore Dopmann, wirkt in Lola Arias’ Theaterinszenierung mit. Zwar läuft "Happy Nights" auf dem Spielplan des Theaters Bremens als "Tanztheater". Im Grunde handelt es sich aber um eine Mischform aus Tanztheater und Schauspiel. Alle Akteure auf der Bühne sprechen in dieser Produktion. Das steckt hinter dieser Inszenierung:

Lola Arias
Setzt in ihren Stücken auf wahre Geschichten, nicht auf die Fiktion: Lola Arias. Bild: Catalina Bartolomé

Wie kommt eine Schriftstellerin und Theatermacherin aus Argentinien dazu, ein Stück über Sexarbeit in Bremen zu schreiben und auf die Bühne zu bringen?

Die Idee dazu reicht bis ins Jahr 2013 zurück. Lola Arias arbeitete damals erstmals am Theater Bremen. Sie entwickelte ihre Straßenoper "The Art of Making Money": ein Stück über die Überlebensstrategien von Menschen auf der Straße. Auch eine ehemalige Prostituierte war dabei. Ihre Geschichten aus einer Waller Hafenbar und rund um den einstigen Bremer Überseehafen faszinierten Arias. Sie entschloss sich, das Thema "Sexarbeit in Bremen" noch einmal gesondert aufzugreifen.

"Wenn das Gespräch auf Sexarbeit kommt, dann denken viele Menschen an Prostituierte, die in einem Hafenbordell arbeiten. Das ist aber nur eine von vielen Möglichkeiten."

Schriftstellerin und Regisseurin Lola Arias

"Sexarbeit hat sich genauso ausdifferenziert wie sich der ganze Kapitalismus ausdifferenziert hat", sagt sie. "Es gibt den Transmann, der online von zuhause aus arbeitet ebenso wie die 80-Jährige in einer Bar – und umgekehrt. Andere arbeiten in kleinen Appartements, wieder welche in BDSM-Studios." (Anm. d. Red.: Die Abkürzung BDSM steht für die englischen Begriffe "Bondage and Discipline, Dominance and Submission, Sadism and Masochism". Auf Deutsch heißt das: Fesselung und Disziplin, Dominanz und Unterwerfung, Sadismus und Masochismus.)

Wie ist Lola Arias vorgegangen, als sie das Stück geschrieben und die Inszenierung entwickelt hat?

Sie hat dazu eine Reihe von Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern interviewt und ihre Erzählungen in authentischen Szenen zusammengefasst. "Die Geschichten sind keine Fiktion", betont die Autorin. Die einzelnen Handlungsstränge laufen parallel an den vier Spielorten der Vorstellung ab – gespielt von sechs Sexarbeiterinnen und Sexarbeitern sowie von sechs Mitgliedern des Tanzensembles des Theaters Bremen. Wegen des viergeteilten Aufbaus der Bühne und der Gleichzeitigkeit der Abläufe beschreibt Arias ihre Produktion auch als "Installation".

Alexandra Morales
Möchte in der Tanzsparte des Theaters Bremen unterschiedliche Teile der Gesellschaft repräsentieren: Alexandra Morales. Bild: Theater Bremen | Jörg Landsberg

Was versprechen sich Lola Arias, die Akteurinnen und Akteure und das Theater Bremen von dieser Inszenierung?

Alexandra Morales, künstlerische Leiterin der Tanzsparte am Theater Bremen, sagt: "Wir wollen auf der Bühne in unseren Tanzproduktionen unterschiedliche Teile der Gesellschaft repräsentieren. Wir möchten das Publikum überraschen, Unerwartetes zeigen." Genau diese Kriterien erfülle "Happy Nights".

Lola Arias erhofft sich, dass es ihr mit "Happy Nights" nicht nur gelingt, das Publikum gut zu unterhalten, sondern auch, die Zuschauerinnen und Zuschauer zum Denken anzuregen.

Wir leben in einem Land und in einer Zeit, in der Sexarbeit legal ist und Sexarbeiter Steuern zahlen. Sie sind Teil des Systems. Trotzdem werden sie nicht geachtet, sondern stigmatisiert.

Schriftstellerin und Regisseurin Lola Arias

Die Tänzerin, Performerin und Sexarbeiterin River fügt hinzu: "In der öffentlichen Debatte um Sexarbeit geht es meist nur um die Frage, ob man dafür oder dagegen ist. Aber so einfach ist es nicht." Auch, um das deutlich zu machen, führe das Stück dem Publikum verschiedene Facetten von Sexarbeit vor Augen. Für River bedeutet "Happy Nights" auch einen kleinen Schritt zur Rückeroberung der Theaterbühne durch Sexarbeiterinnen. "In den zwanziger Jahren waren Sexarbeiterinnen oft die einzigen Frauen, die auf der Bühne stehen durften", sagt sie. So gesehen hätten Sexarbeiterinnen das Theater quasi mit aufgebaut.

An welche Zuschauerinnen und Zuschauer wendet sich das Theater Bremen mit "Happy Nights"?

"Alle sind willkommen", sagt Lola Arias dazu. Das Theater Bremen empfiehlt den Besuch der Vorstellung für alle ab 18 Jahren. Allerdings ist die Inszenierung nur mit Abstrichen barrierefrei. Um zu den oberen beiden Schauplätzen zu gelangen, muss das Publikum einige Treppenstufen auf- und absteigen.

Blick hinter Kulissen: Offene Türen bei Bremer Kunsthalle und Theater

Bild: Radio Bremen

Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 29. September 2023, 19.30 Uhr