Interview

Corona, Inflation und neue Spielzeit? So geht es dem Theater Bremen

Theater am Goetheplatz in Bremen.
Für das Theater Bremen heißt es wieder: "Vorhang auf!" Bild: Imago | Schöning

Die erste Spielzeit ohne Corona-Maßnahmen ist gestartet. Intendant Michael Börgerding verrät, wie es dem Theater Bremen nun geht und wie lange das Geld noch reicht.

Corona, Inflation und eine neue Generation, bei der ein Opernbesuch nicht mehr zum "guten Ton" gehört: Das Theater steht vor ständig neuen Herausforderungen. Ob das Goethetheater sich wieder aufrappeln kann, wird vor allem auch die nächste Spielzeit zeigen.

Gerade mehren sich wieder die Nachrichten über mehr Corona-Infektionen und eine neue Variante – kommen da gleich alte Ängste auf?

Angst nicht, aber wir merken natürlich bereits die ersten Folgen wie höhere Krankenstände. Aber die Situation ist nicht so wie früher, man weiß, dass bei den Menschen mit Impfungen die Krankheit nicht so schwer verläuft, und ich gehe davon aus, dass wir gut durch die Spielzeit kommen.

Kann das Theater denn inzwischen überhaupt schon wieder an das Vor-Corona-Niveau anknüpfen?

Tatsächlich hoffen wir, dass wir in dieser Spielzeit wieder Zuschauerzahlen wie vor der Pandemie erreichen werden – die lagen um die 180.000 Zuschauer pro Spielzeit. In der letzten Spielzeit, noch von den Auswirkungen von Corona geprägt, hatten wir 165.000 erreicht – also über 90 Prozent. Was mich besonders zuversichtlich stimmt, ist, dass unsere Abonnementzahlen steigen, das passiert in anderen Städten nicht. Viele denken sich hier wohl: Nun, wo Corona vorbei ist, möchte ich mich mit einem Abonnement selbst verpflichten, wieder regelmäßig ins Theater zu gehen.

Theater Bremen 2012* 21/22 Spiel z eit Z uschauerzahlen des Theaters 22/23 Spiel z eit 200.000 100.000 *Beginn der Intendanz v on Michael Bö r ge r ding knapp 100.000 Z uschauer:innen 165.000 Z uschaue:innen über 180.000 Z uschauer:innen 156.500 Z uschauer:innen Einsch r änkungen du r ch Co r ona
Quelle: Theater Bremen

Das ist ja auch mit Blick auf andere Krisen wie der Inflation überraschend.

Wir haben seit Corona unsere Eintrittsgelder nicht erhöht. Als Zeichen der Einladung, aber auch, weil wir noch Rücklagen aus der Pandemie-Zeit verbrauchen können. Die werden in zwei, drei Jahren verbraucht sein und dann werden wir mit dem Geld, das wir haben, nicht mehr so weitermachen können wie jetzt. Da wird aber vor allem die Politik entscheiden, wie sie uns weiter finanzieren kann.

Ist dort bereits eine Tendenz zu bemerken?

Nein, zurzeit warten alle ein bisschen wie das Kaninchen vor der Schlange – was bringen die Haushaltsberatungen für die nächsten Jahre? Ein Benchmarking mit anderen Theatern aus Städten, die zwischen rund 500.000 und knapp über 600.000 Einwohner zählen, verdeutlicht, dass Bremen mit Abstand die geringsten Zuwendungen für sein Theater und Orchester aufwendet, also die anderen Häuser deutlich mehr als die 28 Millionen bekommen, die wir für unser Vierspartentheater als Zuwendung erhalten. Trotzdem kann man in dem Sinne optimistisch sein, dass die Bremer Kulturpolitik bislang alle ihre Versprechungen uns gegenüber gehalten hat.

Szenenbild aus "(Little) Mr. Sunshine" am Theater Bremen (Tanztheater)
Durch die moderne unkonventionelle Entwicklung der Tanzsparte fand ein großer Wandel im Publikum statt. (Szenenbild aus "(Little) Mr. Sunshine") Bild: Jörg Landsberg

Über Eintrittskarten lässt sich ja auch ein Teil finanzieren, doch dafür müssen die Menschen ins Theater gehen – und dieser Zugang ist nicht für jeden so leicht gefunden. Nehmen Sie eine Veränderung im Publikum in den letzten zehn Jahren wahr?

Tatsächlich ist unser Publikum erheblich jünger und diverser geworden. Das ging bisweilen langsam und kontinuierlich wie im Schauspiel, aber bisweilen auch mit einem deutlichen Bruch im Publikum.

Die Tanzsparte hat sehr schnell zu Beginn Teile des alten Publikums verlassen. Denen war und ist unsere Truppe zu wild, zu hässlich, zu untänzerisch, zu performativ. Dafür sind wir hier bei jüngeren Menschen wahnsinnig erfolgreich. Die jungen Theaterbesucher sind oft sehr begeisterungsfähig, aber lange nicht so zuverlässig. Sie bestellen ihre Karten nicht mehr vier Wochen vorher, sondern holen sie an der Abendkasse. Da bangen wir manchmal, weil kaum Karten reserviert wurden, doch dann kommen doch deutlich mehr Gäste als erwartet. Im Musiktheater ist es umgekehrt – da läuft der Vorverkauf besser, am Abend kommen vielleicht noch ein paar Gäste spontan dazu, der Altersschnitt ist eher hoch.

Theater hat sich verändert: Es gehört nicht mehr zum bürgerlichen Ton, eine Opernaufführung zu besuchen, weil man es eben tut als Bremer Bürger oder Bürgerin.

Michael Börgerding Intendant vom Theater Bremen im Studiogespräch bei buten un binnen.
Michael Börgerding, Generalintendant Theater Bremen

Auch dort ist die Auswahl individuell und stark selektiv. Wir müssen die Menschen jedes Mal neu und anders abholen. Besonders freut mich, dass wir – vor allem seit dem Stück "Istanbul", aber insbesondere bei "Âsiklar – Die Liebenden" – eine wachsende deutsch-türkische Community ansprechen.

Szenenbild aus "Asiklar - Die Liebenden" am Theater Bremen
Bei dem deutsch-türkischen Liederabend "Âsiklar – Die Liebenden" wird die Erfahrungen von vier Gastarbeiterinnen besungen. Bild: Jörg Landsberg

Sie spielen auch "Emilia Galotti" – einen Klassiker von Lessing sowie Abitur-Stoff. Wollen Sie so Schulklassen gewinnen?

Ja, wir sehen es als Theater in öffentlicher Hand als unsere Aufgabe, diese Stücke zu spielen und so Schülern und auch Lehrern entgegenzukommen. Das läuft auch sehr gut. Wir hatten direkt so viele Nachfragen von Schulen, dass wir zusätzliche Vorstellungen einplanen mussten, um noch weitere 1.200 Jugendliche unterzubringen. Unser Zugang zum Stoff ist natürlich auch modern: Das Thema Femizid wird beispielsweise eine größere Rolle spielen als bisher vielleicht üblich.

Aber sind Klassiker denn im Theater überhaupt noch aktuell?

Tatsächlich ist mir gerade erst beim Blättern durch die Spielpläne der deutschsprachigen Theater aufgefallen, dass kaum noch Klassiker gespielt werden. Lessing, Shakespeare oder Goethe werden kaum noch aufgeführt. Auch wir haben in dieser Spielzeit eigentlich im Sprechtheater nur "Emilia Galotti" als Klassiker auf dem Spielplan. Das ist auch ein wenig schade, so wichtig und schön Uraufführungen, Romanadaptionen-Projekte auch sind. Schauspieler spielen einfach gerne klassische Rollen und nicht nur moderne Projekte. Anders ist es natürlich in der Oper, da ist das Repertoire begrenzt und es gibt nicht so viel Auswahl an modernen Werken. In dieser Spielzeit wagen wir uns zur Eröffnung an die zeitgenössische Oper "Doctor Atomic". Viele Zuschauer haben noch immer Berührungsängste bei Neuer Musik, dabei ist sie gerade in dieser Oper so berührend und mitreißend. Natürlich hoffen wir ein wenig, dass der Film "Oppenheimer" ein paar neue Besucher anlockt.

Das heißt, die neue Spielzeit bietet auch einige Überraschungen.

Unbedingt! Ich freue ich mich wirklich sehr auf die kommende Zeit. Das erste Mal seit drei Jahren arbeiten wir wieder so, wie wir es kannten. Allein das wird sicher ein tolles Erlebnis.

Blick hinter Kulissen: Offene Türen bei Bremer Kunsthalle und Theater

Bild: Radio Bremen

  • Wie die Bremer Kulturtafel Menschen Musik und Theater näher bringt

    Unter dem Motto "Kultur für alle" ermöglicht die Kulturtafel seit Oktober 2022 Bremerinnen und Bremern mit wenig Einkommen die Teilhabe am kulturellen Leben.

Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 9. September 2023, 19:30 Uhr