Interview

Von Nähkursen zum Härtefallfonds – 60 Jahre Verbraucherzentrale Bremen

Das Gebäude der bremer Verbraucherzentrale.
Der Hauptsitz der Verbraucherzentrale Bremen, Altenweg 4. Bild: Radio Bremen

Ob ein Rechtsstreit droht, oder ob Schulden drücken: Die Verbraucherzentrale Bremen bietet Hilfe an. Jetzt will sich Vorständin Annabel Oelmann auch noch um das Klima kümmern.

Sechzig Jahre nach ihrer Gründung ist die Verbraucherzentrale Bremen unter anderem bekannt für ihre besondere Kompetenz in nahezu allen Fragen rund ums Geld, die Verbraucherinnen und Verbraucher umtreiben. Seit 2016 leitet die promovierte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Annabel Oelmann (Jahrgang 1978) die Geschicke des Hauses. Wir sprachen mit der gebürtigen Lübeckerin über die Vergangenheit, vor allem aber über Gegenwart und Zukunft der Verbraucherzentrale Bremen.

Frau Oelmann, in den sechziger Jahren ging es in der Verbraucherzentrale Bremen um Koch- und Nähkurse und ums fachgerechte Einlagern von Kartoffeln. Heute befassen Sie sich mit Energiesperren und dem Härtefallfonds. Leben wir in einer schlechteren Zeit, oder ist die Verbraucherzentrale mit den Jahrzehnten politischer geworden?

Wir leben in einer Zeit, in der ich viel mehr Auswahl und viel mehr Möglichkeiten habe als in den sechziger Jahren. Das ist zwar einerseits schön, andererseits überfordert es uns aber auch oft. Wir sind nicht der homo oeconomicus, der alle Informationen aufnimmt, realistisch auswertet und dann das beste Produkt wählt. Wir lesen oft das Kleingedruckte nicht.

Was beutet das für die Arbeit der Verbraucherzentrale?

Seit den sechziger Jahren hat viel Privatisierung und viel Globalisierung stattgefunden. Dadurch sind die Anforderungen an die Menschen und an die Beratung viel komplexer geworden. Die Verbraucherzentrale ist sehr viel professioneller geworden. Wir sind heute 32 Teammitglieder. Meine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind fest angestellt, wenn auch nicht alle in Vollzeit.

Heutzutage spielen viele juristische Fragen und Finanzfragen eine Rolle: Wie lege ich mein Geld an? Was ist eine nachhaltige Geldanlage? Worauf muss ich bei der Baufinanzierung achten? Aber auch: Mir fehlt das Geld. Wie kann ich Energie sparen? Wie kann ich eine Stromsperre verhindern?

Mit Blick auf die steigenden Energiepreise, die arme Menschen in Not bringen, fordern Sie schon länger, dass staatliche Transferleistungen an die Inflation angepasst werden sollten. Die Inflation schreitet weiter voran, die Hartz IV-Sätze aber sind im Wesentlichen seit Jahren die gleichen. Wie weit reicht Ihr politischer Einfluss?

Das schwankt natürlich und hängt auch davon ab, wer gerade an der Regierung ist. Wir hoffen aber sehr wohl weiterhin, dass sich in naher Zukunft etwas ändern wird. Auch, weil der Druck durch die steigenden Energiepreise weiter zunehmen wird. Hinzu kommt: Wir lobbyieren nicht allein als Verbraucherzentrale Bremen nur auf Bremer Ebene. Wir sind bundesweit aktiv mit den 15 anderen Verbraucherzentralen und mit unserem Dachverband in Berlin, außerdem auf EU-Ebene. Mittlerweile findet sehr viel weniger auf der lokalen Ebene statt als früher. Die meisten wichtigen Entscheidungen werden auf Bundes- oder auf EU-Ebene getroffen.

Die Vorständige der Verbraucherzentrale Bremen Annabel Oelmann im Interview.
Sieht im Klimaschutz das große Thema der Zukunft wie der Gegenwart, auch für die Verbraucherinnen und Verbraucher: Annabel Oelmann, Leiterin der Verbraucherzentrale Bremen. Bild: Radio Bremen

Schwächt das Ihre Position als Bremer Verbraucherzentrale?

Nein, das schwächt unsere Position nicht. Aber es fordert uns anders heraus. Wir agieren bundespolitisch. Beispielsweise beim Thema "Nachhaltige Geldanlage" ist unsere Verbraucherzentrale bundesweit federführend. Da übernehmen wir den Großteil des Lobby-Prozesses, der Markterhebung und der Öffentlichkeitsarbeit. Die Website "www.geld-bewegt.de" beispielsweise wird von der Bremer Verbraucherzentrale für alle anderen gestellt. Jede Verbraucherzentrale hat ihre thematischen Schwerpunkte.

Was sind weitere Schwerpunkte der Verbraucherzentrale Bremen?

Auf jeden Fall die Energiebudget-Beratung und Energiesperren. Das ist gerade auf der lokalen Ebene ein sehr wichtiges Thema. Daneben sind wir beispielsweise sehr gut aufgestellt im Ernährungsbereich.

Die Verbraucherzentrale Bremen bekommt seit 2020 eine deutlich höhere institutionelle Förderung als in den Jahren zuvor. Sie haben Ihre Beratungsangebote ausbauen können. Welche neuen Themen haben Sie besonders im Blick?

Erst einmal haben wir unsere Beratung zu den Themen, die wir schon hatten, ausgebaut, weil wir lange Wartezeiten hatten: Anfragen von Menschen in Existenznot, Fragen zur Stornierung von Reisen und Abzocken von Fake-Shops im Internet. Die Abzockmaschen reichten von Medikamenten, die angeblich eine Covid-19-Infektion verhindern oder heilen, bis hin zu Fake-Shops, die behaupteten, Atemschutzmasken, Desinfektionsmittel und Schutzkittel zu verkaufen.

Neu aufgebaut haben wir dann die Themen "Nachhaltige Geldanlage", "Digitalisierung" sowie "Gesundheit und Pflege".

Künftig wollen Sie sich auch verstärkt der Klimakrise zuwenden, schreiben Sie in Ihrer Jubiläumsbroschüre. Was hat Verbraucherschutz mit dem Klima zu tun?

Der Klimaschutz ist die Herausforderung der nächsten Jahrzehnte. Daher ist es ganz wichtig, die Verbraucherinnen und Verbraucher, die einen Beitrag dazu leisten müssen, mitzunehmen, es ihnen zu erklären: Wofür wird Geld investiert, Geld eingesetzt? Die Leute sollen nicht einfach nur Geld zahlen, ohne die Erfolge zu sehen.

Auf der anderen Seite sind wir Verbraucherinnen und Verbraucher aber auch nicht gleich: Es gibt viele, die problemlos ihren Beitrag leisten können, es gibt aber auch welche, die jetzt schon kämpfen, weil sie kein Geld haben. Das heißt: Wir müssen auch über einen sozialen Ausgleich sprechen. Und um langfristig erfolgreich zu sein, müssen wir dafür möglichst alle mitnehmen. Der Verbraucherschutz und der Klimaschutz müssen zusammen gedacht werden.

Wie kann der einzelne Verbraucher, der womöglich auch noch Geldsorgen hat, den Klimaschutz vorantreiben?

Man muss es sich im Prinzip so vorstellen: Angenommen wir sind zehn Leute und stehen alle zusammen in einem Raum. Wir müssen immer denselben Abstand zu den anderen halten. Dann aber verändere ich meine Position. Schon bewegt sich der ganze Raum. So groß ist mein individueller Einfluss!

Wenn wir alle kleine Schritte tun, dann können wir viel erreichen. Ich denke dabei wirklich an Kleinigkeiten: Für kurze Strecken nehme ich das Fahrrad oder gehe zu Fuß. Ich kaufe regionale Produkte. Ich achte darauf, wie ich mit Ressourcen umgehe, kaufe nicht nur Sachen, die schnell kaputt gehen. Auch billig hat seinen Preis. Wir sehen es ja am Billigfleisch. Da sollte man an externe Aspekte denken, die nicht in den Preis eingeflossen sind: Was passiert mit dem Grundwasser, was ist mit dem Tierwohl?

Aber, es stimmt schon: Um so zu denken, ist ein finanzieller Spielraum vonnöten, der eben nicht durch explodierende Energiepreise bedroht werden darf! Es kommt aber auch auf eine nachhaltige Verbraucherbildung an.

Was stellen Sie sich unter nachhaltiger Verbraucherbildung vor?

Ich stelle mir darunter vor, dass alle Schulfächer auf ihr praktisches Verbraucherwissen überprüft werden. Dass es in der Mathematik um die Inflation geht und ich mir ausrechne: Was bewegt ein Aktienfonds? Dass ich bei Projektwochen überlege, welchen Job ich später haben möchte und wie viel Geld ich damit verdienen kann, und ob das reicht. Dass ich erfahre: Was ist bei einem Mietvertrag wichtig? Welche Versicherungen brauche ich? Worauf muss ich achten, wenn ich die Schule verlasse?

Der Unterricht muss mit einem praktischen Blickwinkel aufgebaut werden. Dass man überlegt: Wie ist denn das System der gesetzlichen Krankenkasse? Was ist mit der gesetzlichen Rente, und warum ist die private Altersvorsorge wichtig? Warum ist Energiesparen ein wichtiges Thema, und was können wir an unserer Schule selber machen? Man kann auch in Schul-AGs Unternehmensgründungen nachstellen. Es ist einfach wichtig, praxisnahes Wissen zu vermitteln. Das hilft alles für das spätere Leben – und das verstehe ich unter Verbraucherbildung.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. Januar 2022, 19:30 Uhr