Rotenburg bringt Obdachlose in diesem verwahrlosten Gebäude unter

"Chaos pur": Rotenburg bringt Obdachlose in desolater Unterkunft unter

Bild: privat

Die meisten Fenster sind provisorisch vernagelt, Scheiben sind zerborsten. Die Bewohner klagen über kaputte Heizungen. Der Bürgermeister sieht die Schuld bei den Bewohnern.

Als Jan-Patric Lingnau vergangene Woche zum ersten Mal sein zugewiesenes Zimmer in der Notunterkunft in Kesselhofskamp 3c betritt, kann er kaum glauben, wo ihn das Rotenburger Ordnungsamt da unterbringen will: ein Raum mit zerschlissenem Betonboden, abgerissenen Tapeten, über und über mit Spinnweben bedeckt. Aus den Wänden ragen offene Versorgungsanschlüsse. Das Fenster lässt sich nicht öffnen, weil eine Kunststoffscheibe davor genagelt ist. Die Konstruktion ist nicht dicht – es zieht spürbar im Gebäude.

Jan-Patric Lingnau sitzt in einer desolaten Notunterkunft in Rotenburg
Die Unterkunft ist verwahrlost. Bild: Radio Bremen

Die Heizung fällt immer wieder aus. In der Mitte von Lingnaus Wohnraum steht ein metallenes Feldbett, zu kurz für den fast zwei Meter großen Mann. Eine Zimmertür habe das Amt erst auf wiederholte Nachfrage geliefert. Die Duschkabine, die sich Lingnau mit drei weiteren Bewohnern teilt, steht in der Gemeinschaftsküche. Das Klo hat keine Brille, das Licht auf dem Flur funktioniert nicht. "Ich lebe seit zwei Jahren in Notunterkünften, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt", sagt der 41-Jährige.

Jan-Patric Lingnau erzählt, dass er aus einer Sammelunterkunft in Rotenburg ausziehen musste, weil es handgreiflichen Streit mit anderen Bewohnern gab. Nun habe ihm das Ordnungsamt diese Bleibe zugewiesen. 90 Euro Miete im Monat, sechs Kilometer bis ins Stadtzentrum.

Marode oder Mindestanforderung?

Ordnungsamt Rotenburg Wümme bringt Obdachlose in heruntergekommener Unterkunft unter
Leitungen liegen in dem maroden Gebäude offen. Bild: privat

Im Rotenburger Rathaus räumt man auf Nachfrage ein, die Notunterkunft seit Jahren in einer stadteigenen Immobilie zu betreiben. Allerdings sei diese Einrichtung ausschließlich für eine problematische Klientel gedacht, sagt Bürgermeister Torsten Oestmann (parteilos). "Ich möchte diese Unterkunft, wenn’s geht, überhaupt gar nicht belegen, aber es liegt letzten Endes an den Bewohnern selber: Die kommen alle aus anderen Unterkünften, wo sie mehrfach massive Verhaltensauffälligkeiten hingelegt haben und untragbar waren für die Gemeinschaft dort", erklärt der ehemalige Polizeibeamte.

Als eine Strafunterkunft will er die Behausung dennoch nicht verstanden wissen. "Das ist eine Unterkunft, die den Mindestanforderungen entspricht", betont Oestmann. Gesetzlich seien unter anderem ausreichend großer Wohnräume mit Schutz vor Witterungseinflüssen, sanitäre Anlagen und eine Kochstelle vorgeschrieben – das sei in der Unterkunft gegeben.

Bewohner auf sich alleine gestellt

Speditionskaufmann Sabri Bezek bringt kein Verständnis für das Vorgehen der Stadtverwaltung auf. Der 21-Jährige kümmert sich regelmäßig um zwei Bewohner in Kesselhofskamp 3c. Die Darstellung des Bürgermeisters, es handle sich bei den Bewohnern um Gewalttäter, hält er für irreführend. "Im Endeffekt sind das einfach nur Leute, die im Stich gelassen wurden und die dann noch nen Arschtritt von der Stadtverwaltung bekommen. Ich finde, es ist eine Schande, wenn man sie so verwahrlosen lässt."

Bewohner Jan-Patric Lingnau versucht sich unterdessen mit seiner Situation zu arrangieren. Er hat sich erste Möbel besorgt, eine Klobrille angebracht und geputzt. Die Sorgen vor dem kalten Winter in der Unterkunft wachsen allerdings mit jedem Tag, sagt er.

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  • Manz Sebastian
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