Was die Notaufnahmen und Rettungsdienste in Bremen an ihr Limit bringt

Die Notaufnahmen und Rettungsdienste im Land Bremen sind überlastet. Zwei Leiter von Notaufnahmen berichten über die Gründe, mögliche Auswege – und wie die Bürger helfen können.

Knapp 99 Prozent der Notaufnahmen in Deutschland leiden unter Personalmangel. Das zeigt eine Umfrage der Deutschen Gesellschaft interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin aus dem Juli. Wieso ist die Lage der Notaufnahmen und der Rettungsdienste so schwierig – und was wird dagegen getan?

Auf Anfrage von buten un binnen berichten alle Krankenhäuser im Land Bremen, dass die Lage in den Notaufnahmen angespannt ist. Nicht nur in der Urlaubszeit und nicht erst seit Corona – das Problem verschärfe sich seit Jahren. Im Klinikum Bremerhaven ist die Lage zudem angespannt, weil Notfälle aus der gesamten Region behandelt werden.

Patienten werden in der Notaufnahme stationär therapiert

Für Dr. Martin Langenbeck, Chefarzt der Zentralen Notaufnahme (ZNA) im Rotes Kreuz Krankenhaus, hat das mehrere Gründe. Einer davon sei der Personalmangel in den Krankenhäusern, weshalb auf den Stationen zum Teil keine Betten zur Verfügung stünden und die Patienten nicht verlegt werden könnten. "Dadurch bleiben die Patienten in der Notaufnahme und werden dort stationär therapiert, obwohl die ZNA dafür nicht gedacht ist." Der behandelnde Arzt müsse dann in umliegenden Krankenhäusern anrufen und nach einem freien Bett fragen. "Das dauert im Schnitt eineinhalb Stunden", sagt Langenbeck.

Ein weiteres Problem ist laut Langenbeck die hausärztliche Versorgung in Bremen. Diese Ansicht teilt auch Rolf Schlüter, Pressereferent des Klinikverbunds Gesundheit Nord. "Es fehlen Behandlungskapazitäten bei den niedergelassenen Ärzten", sagt er. Wie buten un binnen im Mai berichtete, gibt es rechnerisch ausreichend Hausärzte in Bremen. Das heißt: Es gibt mehr Ärzte pro Einwohner, als der Versorgungsschlüssel vorsieht. Doch immer wieder berichten Patientinnen und Patienten, dass sie von Hausarztpraxen in ihrem Stadtteil abgelehnt werden, weil auch diese überlastet sind.

Auch die telefonische Erreichbarkeit von Arztpraxen sei schwierig. Statt der Warteschlange am Telefon, gingen manche Patienten direkt in die Notaufnahme, sagt Matthias Lueken, Ärztlicher Leiter der ZNA im St. Joseph Stift. "Es gibt aber auch Menschen, die überhaupt nicht wissen, dass es Hausärzte gibt."

Ein weiteres Problem: Menschen kommen in die Notaufnahme, obwohl es sich nicht um einen Notfall handelt. Auch das berichten nahezu alle Krankenhäuser. Laut ZNA-Chef Langenbeck kommen Menschen etwa mit einer Schwellung am Handgelenk oder Rückenschmerzen. Zudem seien viele Menschen ungeduldiger geworden, sagt Lueken vom St. Josef Stift. "Die Leute wissen schon, dass sie auch in der Notaufnahme warten müssen." Aber wenn tatsächliche Notfälle in der Notaufnahme dazwischen kämen, gebe es oft Unverständnis bei den Wartenden, die zuerst da waren.

Ich habe schon erlebt, wie Patienten nach der Ersteinschätzung das Krankenhaus wieder verlassen und an der nächsten Straßenecke einen Rettungswagen gerufen haben.

Matthias Lueken, Ärztlicher Leiter der ZNA im St. Joseph Stift

Aber wo sollen die Menschen hingehen, wenn sie keinen Arzttermin bekommen? Lueken verweist auf den Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen. Vielen Menschen sei dieser aber noch unbekannt. Der Kassenärztliche Bereitschaftsdienst stellt die ambulante Versorgung sicher. Das heißt: Wer ein akutes gesundheitliches Problem hat, kann jeden Tag rund um die Uhr beim Bereitschaftsdienst anrufen. Dort sitzen Ärztinnen und Ärzte, die mithilfe eines standardisierten und geprüften Verfahrens eine erste Einschätzung zur Beschwerde geben und vermitteln. Handelt es sich doch um einen Notfall, ruft der Bereitschaftsdienst einen Rettungswagen.

"Die jährlichen Alarmierungen für den stadtbremischen Rettungsdienst sind in den letzten zehn Jahren von circa 59.700 im Jahr 2012 auf knapp 85.000 gestiegen", sagt Michael Richartz, Pressesprecher der Feuerwehr Bremen. Um das zu bewältigen, wurden etwa die sogenannten Hanse-Sanis eingeführt. Das sind Gemeindenotfallsanitäter, mit deren Hilfe unnötige Transporte ins Krankenhaus vermieden werden sollen. Die Belastung bleibe aber sehr hoch, so Richartz. Bei den anderen Rettungsdiensten in Bremen ist nicht anders, wie die Landesverbände des DRK, Malteser und des Arbeiter-Samariter-Bundes (ASB) berichten.

Ärzte und Pflege brauchen bessere Bedingungen

Wie kann diese Entwicklung aufgehalten und Notaufnahmen und Rettungsdienste entlastet werden? ZNA-Chefarzt Langenbeck vom Roten Kreuz Krankenhaus zufolge braucht es bessere Bedingungen für Pflegekräfte und Ärzte. Viele hätten die Krankenhäuser verlassen, kämen aber wieder, wenn der Arbeits- und Kostendruck aus dem System genommen würde.

Eine weitere Möglichkeit zur Entlastung wird bereits in Bremen im St. Joseph Stift seit 2018 erprobt. Dort gibt es den sogenannten Gemeinsamen Tresen, an dem die Kassenärztliche Vereinigung und das Krankenhaus zusammenarbeiten. Vor Ort wird ähnlich wie beim Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst durch ein erprobtes Verfahren ermittelt, wie dringend die Behandlung ist. Laut ZNA-Leiter Lueken funktioniere das gut. Auch die Kassenärztliche Vereinigung Bremen zieht eine positive Bilanz – es kämen sogar Vertreter anderer Kliniken aus Deutschland zu Besuch, um sich das Pilotprojekt anzuschauen.

Das Konzept könnte auch in anderen Bremer Krankenhäusern und bundesweit in ähnlicher Form Standard werden. Die Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag eine Reform der ambulanten Notfallversorgung angekündigt. In jedem Krankenhaus soll es Integrierte Notfallzentren geben. Dort soll wie beim Gemeinsamen Tresen im St. Joseph-Stift entschieden werden, wo der Patient am besten aufgehoben ist: Beim Hausarzt, in der Bereitschaftspraxis – oder doch in der Notaufnahme.

Doch bis auf der Idee Tatsache werden könnte, dauert es noch: Wie das Ärzteblatt im Juli berichtete, wurde die Entscheidung über die Reform um ein Jahr auf Juni 2023 geschoben. 

Warum die Situation in Bremer Kliniken weiterhin angespannt ist

Bild: Gesundheit Nord gGmbH | Kerstin Hase

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 23. August 2022, 6:40 Uhr