Interview

Bremens Senatorin zu 9-Euro-Ticket: "Bund lässt uns im Regen stehen"

Maike Schaefer
Mobilitätssenatorin Maike Schaefer (Grüne) wünscht sich bei der Organisation des 9-Euro-Tickets mehr Unterstützung vom Bund. Bild: dpa | Sina Schuldt

Das 9-Euro-Ticket im Nahverkehr soll schon im Juni kommen. Doch die Kosten sind kaum zu kalkulieren und der Zeitplan ist eng, meint Mobilitätssenatorin Schaefer im Interview.

Mit niedrigen Ticketpreisen allein kann man Menschen nicht langfristig vom Nahverkehr überzeugen, meint Bremens Senatorin Maike Schaefer. Das 9-Euro-Ticket dürfe nicht zum Strohfeuer werden. Sie erklärt, wie der Nahverkehr aus ihrer Sicht wirklich attraktiver werden würde.

Es gab viel Kritik von den Ländern und Verkehrsunternehmen am 9-Euro-Ticket, weil es zu aufwändig sei. Wäre es aus Ihrer Sicht immer noch besser, drei Monate lang einen kostenlosen Nahverkehr in Deutschland anzubieten?

Um das 9-Euro-Ticket noch kostenlos auf den Weg zu bringen, dafür ist der Zug abgefahren. Die Mehrheit der Verkehrsministerinnen und Verkehrsminister hat sich eigentlich für einen ticketlosen Nahverkehr in den drei Monaten ausgesprochen. Die Umprogrammierung der Fahrkartenautomaten, Lesegeräte und so weiter, ist nämlich extrem aufwändig. Die ganze Umprogrammierung und Organisation und Logistik dahinter kostet viel Geld. Jetzt wird aber das 9-Euro-Ticket kommen. Wir setzen jetzt alle Power daran, dass es auch wirklich zum ersten Juni umgesetzt werden kann. Es ist aber aufwändig und eine echte Herausforderung für die Nahverkehrsunternehmen, das jetzt in der kurzen Zeit auf den Weg zu bringen.

Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) hat argumentiert, dass die Einnahmen aus dem 9-Euro-Ticket an die Länder gehen. Damit könnten dann die Umprogrammierung und der Verwaltungsaufwand bezahlt werden. Reichen diese Einnahmen aus Ihrer Sicht aus?

Das wird man hinterher sehen müssen. Das Projekt gab es bisher noch nicht in diesem Umfang. Ein Problem ist, dass das Ticket genau während der Sommerferien gilt. Viele werden vielleicht auch gar nicht da sein. Was Herr Wissing sich erhofft, dass man viele Menschen als neue Kunden dazu gewinnt und damit dann den Verwaltungsaufwand gegenrechnet, das wird man sehen müssen. Natürlich hoffe ich auch, dass es viele Leute geben wird, die in der Zeit den Nahverkehr ausprobieren, die vorher noch nicht Bus und Bahn gefahren sind.

Andere fahren aber sowieso schon mit dem Nahverkehr. Die freuen sich dann, dass es für sie drei Monate günstiger ist. Das sind aber keine neuen Kunden. Bei diesen Kunden haben wir erstmal Einnahmeausfälle. Das 9-Euro-Ticket war ja keine Idee der Bundesländer. Das war eine Idee des Bundes. Deswegen erwarten die Landesverkehrsminister, dass der Bund dann auch komplett für die Kosten aufkommt und Geld nachschießt, wenn es teurer wird als geplant.

Kalkulieren Sie beim 9-Euro-Ticket schon mit bestimmten Zahlen? Mit wie vielen Leuten rechnen Sie, die in der Zeit auf den Nahverkehr umsteigen?

Das können wir im Moment noch gar nicht abschätzen. Wir können nicht voraussehen, wie viele Menschen auch in Bremen zusätzlich den ÖPNV nutzen und ihr Auto dann stehen lassen. Bremen ist eine Fahrradstadt, viele werden also – gerade in den Sommermonaten – mit dem Rad unterwegs sein. Die Idee war, dass die Menschen möglicherweise auf den Nahverkehr umsteigen, wenn die Benzinpreise steigen. Der Bund deckelt aber auch die Benzinpreise. Das heißt: Für diejenigen, die Auto fahren, gibt es im Moment noch nicht den Anreiz, wirklich durch das 9-Euro-Ticket auf den Nahverkehr umzusteigen, so lange Benzin gleichzeitig auch subventioniert wird. Deswegen ist es schwer, im Moment abzuschätzen, wie viele zusätzliche Fahrgäste das 9-Euro-Ticket wirklich nutzen werden.

Das 9-Euro-Ticket ist auf einen Zeitraum von drei Monaten begrenzt. Wie nachhaltig ist das ganze wirklich und was bringt es den Leuten langfristig?

Die Idee hinter dem 9-Euro-Ticket ist, dass Menschen auf den Geschmack kommen und sagen "Alles klar, für neun Euro fahre ich einen Monat lang mal mit dem ÖPNV, probiere den aus", und stellen fest, "Es geht ja, ich verzichte zukünftig auf mein Auto." Das ist erstmal ein richtiger Gedanke. Ob es funktioniert wird man dann sehen müssen. Die Gefahr, die es dann gibt ist, dass Menschen nach den drei Monaten sagen: "War schön", das Ticket mitnehmen, aber danach nicht bereit sind, mehr für ein Nahverkehrsticket auszugeben. Es darf am Ende kein Strohfeuer sein und dieses Risiko gibt es natürlich.

Wie wollen Sie erreichen, dass es nicht beim Strohfeuer bleibt oder dass es noch schlimmer kommt und die Leute schlechte Erfahrungen mit dem Nahverkehr machen, wenn sie zum Beispiel in überfüllten Bussen stehen?

Das 9-Euro-Ticket ist das eine – und nochmal: Wir erwarten, dass der Bund die vollen Kosten auch trägt, wenn er sich das ausdenkt. Das andere ist aber, dass wir den Nahverkehr generell attraktiver machen müssen. Das wird die Leute zum ÖPNV bringen und nicht unbedingt der günstigere Preis. Es gibt Studien, die sagen: Ein attraktiver Nahverkehr motiviert die Menschen stärker vom Auto umzusteigen, als billige Tarife. Das schafft man, indem man Strecken ausbaut, indem man hohe Taktungen hat, indem man Haltestellen barrierefrei macht, die Fahrzeuge komfortabel, sicher, sauber und die Antriebe klimafreundlich sind. Das sind unsere Ziele, die wir auch in Bremen umsetzen wollen. Das wichtigste ist, dass man relativ schnell zu einer Haltestelle kommt und dass dann auch relativ schnell Bus und Bahn da sind. Hier in der Stadt geht das, auf dem Land ist das natürlich noch sehr viel schwieriger, weil es schlechter angebunden ist.

Für all diese Ziele brauchen wir die Regionalisierungsmittel für den Nahverkehr. Die sind noch nicht im Haushalt des Bundes berücksichtigt, obwohl eigentlich im Ampel-Koalitionsvertrag vereinbart wurde, dass die Mittel in diesem Jahr erhöht werden sollen. Darauf pochen die Landesverkehrsminister. Wir übernehmen mit dem Nahverkehr auch Aufgaben des Bundes. Deswegen brauchen wir diese Regionalisierungsmittel. Gerade hier in Bremen wollen wir den Nahverkehr stark ausbauen und das ganze mit günstigen Tarifen verbinden. Das kostet Geld und da sehen wir den Bund in der Pflicht. Nur so können wir im Sinne der Verkehrswende erreichen, dass wirklich viele Menschen zum Nahverkehr wechseln.

Können die Bremerinnen und Bremer denn, abgesehen vom Preis, schon für den Sommer, wenn das 9-Euro-Ticket gilt, mit konkreten Verbesserungen im Nahverkehr rechnen?

Wir haben Ausbaustufen hier in Bremen verankert. Erstens wollen wir die Taktung deutlich erhöhen. Da arbeiten wir gerade dran. Wir haben neue Straßenbahnen beschafft, die deutlich komfortabler sein sollen und arbeiten am Thema Barrierefreiheit, nicht nur bei Bus und Bahn sondern auch bei den Haltestellen. Wir bauen gerade das Streckennetz aus. Wir haben also wirklich ein großes Programm vor uns. Das bezahlen wir unter anderem auch aus Bremen, aber jedes Bundesland und jede Kommune ist beim Nahverkehrsausbau auch auf Bundesgelder angewiesen. Und genau deshalb brauchen wir diese Regionalisierungsmittel vom Bund.

Sollen diese höheren Takte denn schon für den Sommer kommen?

Nein, so schnell ist man nicht. Alles können wir nicht direkt von diesem riesigen Programm umsetzen. Das ist auf einen längeren Zeitraum angelegt. Das 9-Euro-Ticket war ein Überraschungsmoment des Bundes. Die Verkehrsminister der Länder waren nicht vorgewarnt. Das ist jetzt eine gute Chance, um den Nahverkehr auszuprobieren. Aber wichtig ist uns auch, dass danach die steigenden Spritpreise, die auch Busse und Bahnen betreffen, nicht auf die normalen Tarife draufgeschlagen werden. Auch da erwarten wir vom Bund, dass er, wie bei den Benzinpreisen, gegensteuert.

Die Eisenbahngewerkschaft EVG kritisiert, dass die Bundesländer den Ansturm auf den Nahverkehr durch das 9-Euro-Ticket nicht bewältigen können. Kann Bremen mit mehr Menschen zurechtkommen, die den Nahverkehr nutzen?

Für Bremen sehe ich da als Stadtstaat wenig Probleme, weil wir ein ganz anderes Nahverkehrsnetz haben als Flächenländer. In Flächenländern kann das zum Problem werden. Wenn wirklich mehr Menschen, gerade auf dem Land das Ticket nutzen, wenn die Takte nicht eng genug und die Busse überfüllt sind, dann hat man ein Problem.

Und wie sieht das aus mit Pendelstrecken nach Bremen? Das Ticket war ja ursprünglich mal dazu ausgelegt, gerade die Pendlerinnen und Pendler zu entlasten und für den Nahverkehr zu begeistern. Wie kann Bremen sicherstellen, dass diese Linien nicht überlastet werden?

Wenn ich mir Buslinien anschaue, die aus dem Umland kommen, sind die oft nicht komplett ausgelastet. Deshalb befürchte ich das nicht für den engeren Umkreis von Bremen. Die Frage ist, wie das für weitere Pendlerstrecken aussieht. Ich habe bisher noch keine Alarmsignale von Verkehrsunternehmen aus dem Bremer Umkreis vernommen, die sich an mich gewendet haben und befürchten, dass sie damit nicht klarkommen. Bisher gehe ich davon aus, dass es geht.

Aber klar ist: Wenn es nicht geht und die Busse und Bahnen überfüllt sind, dann wird man sich Ad-hoc hinsetzen müssen und gucken, wie man nachsteuern kann. Beispiel Corona: Bei besonders nachgefragten Linien haben wir private Reisebusunternehmen beauftragt, damit man die Frequenz halten kann und die Menschen nicht auf engem Raum sitzen mussten. Man müsste sich überlegen, ob solche Lösungen für diese drei Monate in diesem Fall auch möglich wären.

Sie haben schon erwähnt, dass der Zeitplan bis zum geplanten Start am 1. Juni sehr eng werden könnte. Wie realistisch ist es, dass das klappt und was müsste dafür noch alles passieren?

Die Länder arbeiten mit Hochdruck daran. Es gibt eine Arbeitsgruppe, die das Projekt umsetzen soll. Wir sind in Bremen als Vorsitzland der Verkehrsministerkonferenz federführend mit dabei. Aber der Bund muss auch liefern. Und der Bund lässt die Länder, Kommunen und auch die Nahverkehrsunternehmen im Moment ein bisschen im Regen stehen, ich muss das so deutlich kritisieren. Er zieht sich darauf zurück, dass die Länder und die ÖPNV-Unternehmen das 9-Euro-Ticket organisieren sollten. Das ist eine logistische und organisatorische Herausforderung, das sogenannte Ticketing bis zum 1. Juni hinzubekommen. Die Automaten und Fahrkarten müssen umprogrammiert werden, das ist offensichtlich sehr aufwändig. Herr Wissing hatte gesagt, dass man dann eine App ins Leben rufen müsse. Auch das können nicht alle mal eben so leisten. Dazu bräuchte es eigentlich die Unterstützung des Bundes. Aber wir sind gewillt und arbeiten mit Hochdruck daran, dass das Ganze bis zum 1. Juni steht.

Aber können Sie garantieren, dass es bis dahin klappt?

Nein, das kann ich nicht. Das ist das erklärte Ziel. Es kann aber nicht sein, dass wenn einige es nicht hinbekommen sollten, der Finger auf die Kommunen zeigt. Wir haben uns das 9-Euro-Ticket nicht ausgedacht. Wir begrüßen es, dass der Bund beim Entlastungspaket auch an den Nahverkehr und nicht nur an die Autofahrer gedacht hat. Das ist ein wichtiges Signal, aber beim Prozedere brauchen wir trotzdem die Unterstützung des Bundes.

Es wurde schon gesagt, dass gültige Nahverkehrsabos und Semestertickets mit dem 9-Euro-Ticket verrechnet werden. Bedeutet das, dass Besitzer von gültigen Tickets auch nur neun Euro bezahlen müssen? Oder kriegen Abo-Kunden nur einen Neun-Euro-Rabatt für den Monat?

Nein, das Ticket muss für die Monate auf neun Euro heruntergerechnet werden. Wenn ich eine Mia-Karte habe, die 60 Euro im Monat kostet, nutzen mir die neun Euro nichts. Wer jetzt schon mit dem ÖPNV fährt, darf nicht schlechter gestellt werden, als die, die den Nahverkehr durch das 9-Euro-Ticket zum ersten Mal nutzen. Wenn, dann gelten die neun Euro für alle.

Die rot-rot-grüne Koalition in Bremen möchte ja langfristig den ticketlosen Nahverkehr. Was kann das 9-Euro-Ticket in die Richtung leisten?

Ticketlos heißt nicht umsonst. Einer muss es bezahlen und das sind Millionen-Beträge. Ich bin froh, dass wir gerade ein Schüler- und Azubi-Ticket auf den Weg gebracht haben. Das sind etliche Millionen Euro pro Jahr, die erstmal aufgebracht werden mussten. Es gibt ein Gutachten, das besagt, dass mehr Menschen auf den ÖPNV umsteigen, wenn die Qualität stimmt. Es gibt verschiedene Konzepte, ich fände zum Beispiel auch das 356-Euro-Jahresticket sehr attraktiv. Aber auch das müsste richtig gegenfinanziert werden. Bisher hat die Koalition dafür kein Geld in den Haushalt eingestellt.

Ist der ticketlose Nahverkehr für Bremen dann erstmal vom Tisch?

Wir wollen zunächst einmal die Qualität verbessern. Auch das Azubi- und Schüler-Ticket war schon ein finanzieller Kraftakt. Und der ticketlose Nahverkehr ist auf jeden Fall nicht in diesem oder im nächsten Jahr zu erwarten.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 12. April 2022, 19:30 Uhr