Interview

Zum Lachen in den Keller – Darum feiert Bremen keinen Karneval

Warum Bremen keinen Karneval hat: "Alles Ausschweifende war verboten"

Bild: dpa | Christoph Hardt

Das Rheinland steht heute Kopf, in Bremen findet an Rosenmontag Alltag statt. Laut Kulturwissenschaftlerin Dorle Dracklé hat das nichts mit der norddeutschen Mentalität zu tun.

In den Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz steuert der Karneval an Rosenmontag auf den Höhepunkt zu, den Straßenkarneval. Auf Bremens Straßen ist davon hingegen nichts zu bemerken. Das war nicht immer so, sagt Kulturwissenschaftlerin Dorle Dracklé, die zu dem Thema an der Universität Bremen forscht. Auch hier wurde einst Karneval gefeiert. Als streng gläubige Protestanten aus den Niederlanden nach Bremen kamen, war damit allerdings Schluss. Warum damals in Bremen ähnliche Zustände wie heute im Iran herrschten, erklärt Dracklé im Interview.

Frau Dracklé, Karneval wird vor allem in katholischen Gegenden gefeiert. Was hat Karneval mit der katholischen Kirche zu tun?

Bis zum 15./16. Jahrhundert gab es in Deutschland nur den katholischen Glauben und im katholischen Glaubensgebiet gab es verschiedene Zeiten, wo verschiedene religiöse Aufführungen gemacht worden sind. Vor Ostern hat man sich mit einer 40-tägigen Fastenzeit vorbereitet und davor gab es eine Karnevalsperiode. Das gab es in den katholischen Gebieten nicht nur zu dieser Jahreszeit, sondern auch vor Weihnachten wurde 40 Tage lang gefastet. Und eben auch vor dieser Fastenzeit gab es eine Karnevalszeit und die fand vor dem 12. November statt – also vor dem 11. November, wo um 11:11 Uhr heutzutage unser Karneval beginnt.

Bremen und umzu ist eher protestantisch geprägt, in der Regel wird hier kein Karneval gefeiert. Warum passt der Karneval nicht nach Bremen?

Bremen ist etwas ganz Besonderes. Zu Beginn des Protestantismus Anfang des 16. Jahrhunderts kamen calvinistische Wanderprediger aus Holland nach Bremen. Die Calvinisten sind super strenge Protestanten gewesen: Da durfte man nicht lachen, da durfte man nicht tanzen. Alles Ausschweifende war verboten – sogar nicht nur verboten, sondern es war des Teufels. Die Menschen haben angefangen, die Kirchen leer zu räumen und viele Bilder zu vernichten. Die Menschen mussten ganz simpel leben, um Gott zu gefallen. Das ist etwas Anderes als im Katholischen, wo man Buße tun kann, damit alles wieder gut ist. Das gibt es im Evangelischen nicht: Man musste die ganze Zeit zu Gott streben.

Die Tradition hat sich verloren. Man sollte nicht fröhlich und lustig sein.

Kulturwissenschaftlerin Dorle Dracklé

Was bedeutete das dann damals für die Menschen, die hier gelebt haben?

Das hat dazu geführt, dass die Menschen sich gegenseitig beäugt haben: "Oh, der tanzt." Dafür konnte man damals furchtbar bestraft werden. Noch bis ins 16. Jahrhundert hinein hat es in Deutschland Todesurteile gegeben, weil Menschen in der Fastenzeit Fleisch gegessen haben. Daran kann man sehen, was für einen ungeheuren Terror unter dem Glauben stattgefunden hat.

Und deshalb gibt es auch heute noch keinen Karneval in Bremen?

Die Tradition hat sich einfach verloren. Sie wurde im 16. Jahrhundert abgeschnitten, es gab dann überhaupt keine Atmosphäre, in der das noch stattfinden konnte. Wenn Sie jetzt den Iran sehen, wo Menschen, die sich auf der Straße küssen, bestraft werden, müssen Sie wissen: Genau so etwas war das hier. Man sollte nicht fröhlich und lustig sein und solche Dinge tun. Deshalb sagt man auch, die Bremer gehen zum Lachen in den Keller.

Darum steht ein kleines Dorf südlich von Bremen an Karneval Kopf

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 18. Februar 2023, 19:30 Uhr