Interview
Bremer Ex-Obdachlose in der eigenen Wohnung: "Jetzt geht es vorwärts"
Alice Ahlers hat über das Projekt "Housing First" in Bremen eine Wohnung bekommen. Die ehemalige Obdachlose erzählt, was das eigene Zuhause bewirkt.
Seit Anfang des Jahres läuft der Modellversuch, die Idee dahinter ist: Bevor die übrigen Probleme der Obdachlosen angegangen werden, wie zum Beispiel Drogensucht oder andere psychische Krankheiten, kriegen sie erst mal ein Zuhause. 21 Menschen hat "Housing First" schon in eine Wohnung gebracht – eine von ihnen ist Alice Ahlers. Die 38-Jährige lebte immer wieder auf der Straße. Sie hat buten un binnen von ihrem Weg in die eigene Wohnung erzählt.
Sie haben seit Anfang August eine eigene kleine Wohnung in Bremen-Kattenturm. Wie wichtig ist das für Sie?
Ich wollte erst gar nicht einsehen, dass eine Wohnung überhaupt wichtig für mich ist. Mich hat es aufgeregt, dass mir als Obdachlose nicht erstmal mit meinen psychischen Problemen zum Beispiel geholfen wurde; Ärzte haben mich abgelehnt. Ich brauchte gar nichts anzufangen– keine Arbeit suchen, so lange ich keine Wohnung hatte. Das habe ich irgendwann eingesehen.
Und was heißt es jetzt im Alltag, wieder in den eigenen vier Wänden leben zu können?
Es macht viele Sachen viel einfacher. Ich kann zum Beispiel wieder Freunde einladen, meine Kinder können mich wieder direkt besuchen kommen, ich muss mich nicht erst bei einer Freundin mit ihnen verabreden und treffen. Das ist etwas, das hatte ich vorher einfach nicht.
Woran lag es, dass Sie obdachlos waren, bevor "Housing First" kam?
Ich war als Kind und jugendliches Ding schon viel unterwegs. Ich bin immer wieder abgehauen, hatte deshalb schon früh einen Bezug zum Leben "draußen". Später bin ich dann, auch wenn ich eine Wohnung hatte, immer wieder vor meinen Problemen (Anmerkung der Redaktion: Ahlers leidet unter einer Persönlichkeitsstörung und Depressionen) geflohen. Meine Ecken draußen haben sich dann für mich sicherer angefühlt als meine eigene Wohnung.
Das Team von "Housing First" hilft ja nicht nur bei der Wohnungssuche, sondern betreut Sie auch darüber hinaus, zum Beispiel bei Behördengängen oder auch bei Alltagsproblemen wie der Suche nach einem neuen Fahrrad. Was bedeutet das für Sie?
Was "Housing First" alles macht, ist für mich wie ein kleines Wunder. Ich habe immer auf was gewartet, nie ist was passiert, man wurde immer zur Seite geschoben. Und jetzt, mit "Housing First", geht auf einmal so viel vorwärts. Und das in einem Tempo – das hätte ich nie geglaubt.
Manchmal fliehe ich auf den Fußboden. Ich habe auch hier in der Wohnung schon mal mein altes Zelt aufgeschlagen, in dem ich früher draußen übernachtet habe.
Alice Ahlers, ehemalige Obdachlose in Bremen
Wie schwierig war es, sich an das Leben in einer Wohnung zu gewöhnen nach mehr als einem Jahr Obdachlosigkeit?
Das Allermeiste funktioniert schon ziemlich gut. Aber ganz dran gewöhnt habe ich mich noch nicht. Mein Bett, das ich jetzt habe, ist mir zum Beispiel noch zu weich. Manchmal fliehe ich auf den Fußboden. Ich habe auch hier in der Wohnung schon mal mein altes Zelt aufgeschlagen, in dem ich früher draußen übernachtet habe.
Der Schritt aus der Obdachlosigkeit hat geklappt – wie geht’s jetzt weiter?
Mit der Wohnung stehe ich viel fester im Leben. Ein richtiger Job wäre jetzt schön. Ich hoffe, ich kriege bald das Okay von den Ärzten. Ich habe früher gerne im Verkauf im Einzelhandel gearbeitet, das würde ich wieder machen. Ich habe das Gefühl, mit der Wohnung ist das jetzt möglich.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 27. Oktober 2022, 19:30 Uhr