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Keine HNO-OPs: Welche Auswirkungen der Streik auf junge Patienten hat

Immer weniger OP's: Verweigern HNO-Ärzte ihren Versorgungsauftrag?

Bild: dpa | Westend61/Zeljko Dangubic

Viele HNO-Ärzte bieten seit Monaten bestimmte OPs nicht mehr an. Wie eine Bremer Mutter mit der Lage umgeht.

Hintergrund ist ein Streit zwischen HNO-Ärzteverbänden und Krankenkassen über Honorare für bestimmte ambulante Operationen bei Kindern. Diese sollen nun einige Euro weniger betragen als zuvor.

Viele HNO-Ärztinnen und -Ärzte gingen danach bundesweit in einen Streik und vergeben seit Monaten keine Termine mehr für die sogenannte Adenotomie (Entfernung der Rachenmandel) und Tonsillotomie (Entfernung der Gaumenmandel). Dies sind Leistungen, die eigentlich die Krankenkasse trägt. buten un binnen ist nun ein Fall bekannt geworden, in dem ein Arzt die Kassenleistung wegen des Streiks privat abrechnen will.

Um welche Eingriffe geht es?

Es geht um Rachenmandel-, Gaumenmandel- und Mittelohr-OPs bei Kindern, genauer die Entfernung der sogenannten Rachen- oder Gaumenmandeln und den Einsatz von sogenannten Paukenröhrchen. Eine vergrößerte Rachenmandel kann zu Dauerschnupfen, behinderter Nasenatmung oder Schnarchen führen. Auch können Entzündungen des Trommelfells und Mittelohrs vorkommen und das immer wieder.

Um dies zu lösen, kann es medizinisch angeraten sein, die Rachenmandel zu entfernen. Ein sogenanntes Paukenröhrchen wird dann eingesetzt, wenn sich im Mittelohr Schleim feststellen lässt, der bei einer OP nicht einfach abgesaugt werden kann. Weil aber das Mittelohr belüftet werden muss, wird mit Hilfe des Paukenröhrchens eine Drainage gelegt. Die Röhrchen stoßen sich in den meisten Fällen innerhalb von Monaten von allein ab oder werden gegebenenfalls mit einem Eingriff wieder entfernt.

Vor welchen Problemen stehen junge Patientinnen und Patienten, die eine solche OP brauchen?

Es ist seit Monaten sehr schwierig, einen Termin für eine Operation zu bekommen, dazu noch einen zeitnahen. In Bremen wird im Bereich von Rachenmadelentfernungen und Einsatz von sogenannten Paukenröhrchen vorwiegend ambulant operiert.

Derartige Eingriffe werden nach Auskunft des Krankenhausträgers Gesundheit Nord (Geno) regelhaft nicht durchgeführt, sondern nur in Ausnahmefällen, wenn etwas besonders kritisch ist. Die Geno betreibt in Bremen vier Krankenhäuser. Das ist ein Problem für die jungen Patientinnen und Patienten. Denn im Januar haben Verbände der Hals-Nasen-Ohrenärzte dazu aufgerufen, ab sofort bundesweit keine neuen Termine für Mandel- und Mittelohroperationen bei Kindern zu vergeben.

So ist eine Bremerin mit ihrem Sohn betroffen

Diana Drews aus Bremen ist Mutter eines vierjährigen Sohnes, bei dem vergrößerte Rachenmandeln und Flüssigkeit im Mittelohr festgestellt wurden. Sie hat nun im November einen Termin für eine ambulante OP bei ihrem Sohn Luan bekommen – allerdings soll sie die Kosten dafür selbst tragen, obwohl es sich um eine Sache handelt, die eigentlich von der Krankenkasse übernommen wird.

Der Operateur ihres Sohnes hat ihr dazu eine Vereinbarung über privatärztliche Behandlung vorgelegt, die buten un binnen vorliegt. Darin heißt es, dass der Patient darüber aufgeklärt worden sei, dass es sich bei der geplanten Behandlung eigentlich um eine Kassenleistung handele, aber ausdrücklich auf eigenen Wunsch die Kosten selbst tragen wolle. Nach Angaben von Diana Drews soll der Eingriff sie 650 Euro kosten. Die alleinerziehende Mutter sammelt dafür jetzt Spenden auf einer Crowdfunding-Plattform.

Ist es erlaubt, eine Kassenleistung als Selbstzahlerleistung anzubieten?

Christoph Fox, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bremen, teilt dazu auf Anfrage mit: "Sollte es sich bei der angebotenen Selbstzahlerleistung um eine im Katalog der gesetzlichen Krankenversicherung enthaltene Leistung handeln, wäre dies unzulässig." Eine Adenotomie ist nach Auskunft mehrerer Krankenkassen, die buten un binnen hierzu befragt hat, eine Kassenleistung.

Bereits im März hatte die Kassenärztliche Vereinigung Bremen ihre Mitglieder darauf hingewiesen, "dass medizinisch indizierte Operationen nicht ausschließlich aus monetären Gründen abgelehnt werden dürfen". Zu dem Zeitpunkt habe es zahlreiche Patientenbeschwerden und ein Protestschreiben der Arbeitsgemeinschaft der Krankenkassenverbände in Bremen zum Thema gegeben. Aktuell erreichten die KV Bremen nur vereinzelt aktuelle Beschwerden, teilt Fox auf Anfrage mit.

Das sagt der Arzt zur OP-Vereinbarung

Der Operateur des vierjährigen Luan Drews teilt auf Anfrage von buten un binnen mit: "Wenn ein gesetzlich-versicherter Patient eine Leistung privat erbracht haben möchte, und er (mehrfach) darauf hingewiesen wurde, dass es eine Kassenleistung im Normalfall darstellt, er/sie aber dennoch darauf besteht, eine Leistung privat bezahlen und erbracht haben zu wollen, kann in Einzelfällen davon Gebrauch gemacht werden."

Weiterhin sagt er in dem Statement: "Wenn ein Patient beziehungsweise die Eltern uns glaubhaft mitteilen, den Eingriff privat erbringen lassen zu wollen, können sie nach entsprechender Unterweisung und Aufklärung und Unterschrift einen OP-Termin erhalten. Wir empfehlen jedoch in diesen Fällen einen Kassenwechsel vorzunehmen zur AOK Bremen, die als deutschlandweit einzige Krankenkasse sich aufgrund der Streik- Maßnahmen bewegt und die Bewertung verbessert hat."

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    Seit Monaten führen HNO-Ärzte weniger OPs durch. Ihrer Ansicht nach, gebe es von den Krankenkassen zu wenig Geld dafür. Kirsten Kappert-Gonther hält dagegen.

Kann man die Kosten von der Krankenkasse erstattet bekommen?

Diana Drews will jedoch erstmal von einem Wechsel der Krankenkasse absehen, der im Übrigen auch Zeit in Anspruch nehmen würde. "Wenn ich die Krankenkasse wechsle, kriege ich auch keinen früheren OP-Termin“, sagt Drews.

Eine Möglichkeit, die Kosten erstattet zu bekommen, wäre es außerdem, der Krankenkasse die Situation darzulegen und um Kostenübernahme zu bitten. Dazu müsste man aber zumindest belegen, dass es anderweitig nicht möglich war, einen OP-Termin zu erhalten als auf Selbstzahlerbasis. Wie der Fall entschieden wird, ist dann Bewertungssache der einzelnen Krankenkasse.

Warum können Versicherte der AOK Bremen/Bremerhaven OP-Termine bekommen?

Die AOK Bremen/Bremerhaven entschloss sich im Frühjahr als einzige Krankenkasse, bei der Rachenmandelentfernung und dem Einsatz von Paukenröhrchen mehr Honorar zu zahlen als andere Kassen. 180 Euro gibt es seit dem 1. April für eine Rachenmandelentfernung, kommt noch der Einsatz sogenannter Paukenröhrchen dazu, sind es 260 Euro. Diese Erhöhung ist jedoch zeitlich begrenzt: Sie gilt bis Ende des Jahres 2023.

Das ist eine große Ausnahme, weil wir lange Wartezeiten für die Patienten vermeiden wollten.

Jörn Hons, Pressesprecher der AOK Bremen/Bremerhaven

Ob die Krankenkasse durch diesen Schritt viel Zulauf an Neu-Mitgliedern bekommen hat, ist nicht bekannt, teilt Hons mit. Auch hätten andere Kassen kein Interesse bekundet, es der AOK gleich zu tun. Laut der Kassenärztlichen Vereinigung Bremen hingegen sei aus Hamburg und Schleswig-Holstein Interesse an der Bremer Übereinkunft bekundet worden, sagt Pressesprecher Fox. Patientinnen und Patienten, die bei der AOK Bremen/Bremerhaven versichert seien, bekämen nun wieder OP-Termine.

Kritik am Alleingang der AOK

Von Seiten des Verbands der Ersatzkassen (VDEK) Bremen gibt es Kritik am Alleingang der AOK Bremen/Bremerhaven: Dies sei öffentlichkeitswirksam geschehen. "Eine Abweichung vom bundesweit gültigen Katalog erschließt sich den Ersatzkassen nicht", teilt der VDEK Bremen auf Anfrage mit.

Doch wie reagieren die Krankenkassen auf aktuellen Krisen, auf Teuerung und Inflation, kann dies in den Ärztehonoraren berücksichtigt werden? "Der Inflationsausgleich kommt im nächsten Jahr. Das kann man nicht aufgrund der Krise vorziehen. Denn das System sieht vor, dass man sich für die Honorarverhandlungen jeweils anschaut, was in den vergangenen zwei Jahren ausgegeben wurde", sagt Tillmann.

Welche Folgen kann ein Aufschieben einer notwendigen OP haben?

Für Mutter Diana Drews ist die Sache klar: Ihr Sohn braucht dringend Hilfe. Er reagiert derzeit zum Beispiel nicht auf Ansprache von Personen, die er nicht direkt sehen kann, auch auf Fragen mit Blickkontakt antwortet er wiederholt nicht.

Seit etwa drei bis vier Wochen hört er gar nichts mehr.

Diana Drews, Mutter eines betroffenen Kindes

Sie ist besorgt um seine Entwicklung. "Er hängt mit der Sprache hinterher, spricht nicht so, wie ein Vierjähriger das sollte."

Kinderärzte, aber auch pädagogisches Personal weisen darauf hin, dass Hörprobleme bei jungen Kindern zu Sprachschwierigkeiten und Verzögerungen in der Sprachentwicklung führen können. Außerdem gestaltet sich auch das soziale Miteinander schwierig, kann für das betroffene Kind isolierend wirken.

Hörprobleme fallen im Kindergarten auf

Im Kindergarten des vierjährigen Luan sind die Hörprobleme aufgefallen. "Die Fachkräfte befürchten, dass die Hörminderung, unter der Luan leidet, zu einer Verzögerung seiner sprachlichen Entwicklung führt, da er momentan nicht in der Lage ist, die Vielzahl sprachlicher Inputs zu verarbeiten", heißt es in einem Schreiben der Kita-Leitung von Ende Juni, das buten un binnen vorliegt.

"Ein paar Monate nichts zu hören, kann zu Verzögerungen in der Sprachentwicklung führen, die auch später eventuell nicht so leicht aufholbar sind", sagt Stefan Trapp, Bremer Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte.

Kinderarzt: "Es soll immer alles geben, aber nichts kosten."

Man müsse jedoch unterscheiden, ob es sich um eine Hörminderung handele, die nach der Winterzeit mit ihren vielen Infekten von selbst verschwinde, wenn sich die Mandeln nach der Krankheitswelle wieder verkleinerten. Deshalb warte man bei vergrößerten Rachen- und Gaumenmandeln erst einmal ab. Wenn sich nichts bessere, komme eine OP in Betracht. "Hinzu kommt, dass diese Kinder oft sehr schlecht schlafen, auch mit – ungefährlichen, kurzen – Atemaussetzern. Sie sind dann oft tagsüber müde und einfach nicht so fit für all die Entwicklungsaufgaben in dem Alter", sagt Trapp.

Kinder mit deutlichen Sprachentwicklungsstörungen haben auch ein erhöhtes Risiko für eine Lese-Rechtschreib-Schwäche.

Stefan Trapp, Bremer Landesvorsitzender des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte

Für den Kinderarzt hapert es nicht nur im HNO-Bereich mit der Finanzierung. "Es soll immer alles geben, aber nichts kosten, das ist ja an vielen Stellen im Gesundheitswesen so", kritisiert er.

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Juni 2023, 19:30 Uhr