Deshalb war Heinrich Hannover der Anwalt der Linken

Bild: Imago | Eckhard Stengel

Seine Mandanten-Liste glich einem Who-is-Who der politischen Linken. Denn Hannover hat an so ziemlich allen bedeutsamen politischen Strafprozessen mitgewirkt.

Zu seinen Mandanten zählten die RAF-Terroristin Ulrike Meinhof, frühere Autonome wie Daniel Cohn-Bendit, der Journalist Günther Walraff oder der letzte DDR-Ministerpräsident Hans Modrow. Nicht als Rechtsanwalt sondern als "Linksanwalt" hatte sich Heinrich Hannover gesehen. Dabei war er zunächst ganz und gar kein Linker.

Zuhause in Anklam an der Ostsee wurde er Ende der 20er und Anfang der 30er Jahre antikommunistisch erzogen. Die Helden seiner Kindheit seien Nazis gewesen, räumte Hannover ein. Der mit 17 in den Krieg zog und geläutert zurückkehrte – als Kriegs-Gegner und Anti-Militarist. Immer wieder verteidigte er deshalb vor Gericht auch Kriegsdienstverweigerer. Diese Mandate habe er mit dem Herzen gemacht. Sie endeten meistens mit einem gewonnenen Prozess und das bedeutete, dass die Wehrbehörde die Kosten zu tragen hatte.

Ich habe die Bundeswehr sicher eine kleine Kanone gekostet.

Heinrich Hannover

Ursprünglich wollte Hannover die wohlhabenden Bremer Kaufleute vertreten. Zu Anfang seiner Karriere bekam er als Pflichtverteidiger aber eher zufällig als ersten Fall einen Kommunisten. 1954 war das. Hannover wurde zum Verteidiger der Linken und sogar von RAF-Terroristen.

Zu seinen Mandaten zählten in den 70er und 80er Jahren auch Terroristen der Roten Armee Fraktion (RAF). Hannover verteidigte mit Erfolg: Karl Heinz Roth und Astrid Proll bekamen Freisprüche. Die Prozesse vor dem Oberlandesgericht Stuttgart in der Justizvollzugsanstalt Stammheim gingen aber an die Substanz, erinnerte sich Hannover. Als RAF-Anwalt wurde ihm zutiefst misstraut – aufwändige Leibeskontrollen waren unter anderem die Folge.

Vermeintlich aussichtslose Fälle machten ihn berühmt

Vom Linksterrorismus distanzierte sich Hannover: Er habe nie verstanden, wie man glauben kann, mit Gewalt die Gesellschaft verändern zu können, sagte der Anti-Militarist. Die RAF-Terroristin Ulrike Meinhoff vertrat er deshalb nur, solange es um die Verbesserung ihrer Haft-Bedingungen ging. Danach legte er sein Mandat nieder. Als Terroristen-Anwalt verleumdet, bekam Hannovers zahlreiche Mord-Drohungen.

Rechtsanwälte Dr. Matthäus (links) und Heinrich Hannover (mitte)
Heinrich Hannover (mitte) mit Anwaltskollegen versuchte 40 Jahre nach der Naziherrschaft, einen ehemaligen SS-Mann hinter Gitter zu bringen. Bild: dpa/AP | Norbert Försterling

Aufsehen erregten auch Hannovers Nazi-Prozesse in 80er und 90er Jahren. Jahrzehnte nach der NS-Zeit versuchte er, in Wieder-Aufnahme-Verfahren die Mörder des Friedensnobelpreisträgers Carl von Ossietzky und des Kommunisten-Führers Ernst Thälmann vor Gericht zu bringen. Trotz vieler Beweise am Ende erfolglos.

In diesem Thälmann-Prozess gab es den seltenen Fall, dass einmal einer dieser SS-Mörder wirklich dingfest gemacht werden konnte. Der Freispruch ist nachher damit begründet worden, dass es doch nicht sicher sei, dass der Mord gerade in dieser Nacht gewesen sei. Dabei hatten wir nachgewiesen, dass der Angeklagte Wolfgang Otto tatsächlich da war.

Heinrich Hannover

Resigniert warf Hannover den Richtern Klassenjustiz vor, weil die Linken seiner Meinung nach ungleich härter bestraft wurden als die alten Nazis. Für diese Aussagen musste sich Hannover mehrfach vor dem Berufsgericht verantworten. Verteidigt wurde er von seinem damaligen Mitstreiter – den späteren Bundesinnenminister Otto Schily, der seinen Kollegen Heinrich Hannover als einen der mutigsten und couragiertesten Anwälte bezeichnet.

1995 nach rund 40 Jahren in schwarzer Robe zog sich Hannover aus dem Anwaltsleben zurück. Am Schreibtisch arbeitete er seine Fälle noch einmal auf: unter anderem in den Bänden: "Die Republik vor Gericht: Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts".

Fast nebenbei auch Kinderbuch-Autor

Neben seinem Beruf als Anwalt schrieb Heinrich Hannover aber auch mit großem Erfolg Kinderbücher. Zunächst waren die Geschichten nur für seine eigenen sechs Kinder gedacht. Irgendwann fing er aber an, sie aufzuschreiben. Eine Literatur-Agentin, die zu Besuch war, schlug dann vor, dafür einen Verlag zu suchen. Drei Jahre später wurden die Geschichten gedruckt, die ursprünglich nur für den Familiengebrauch bestimmt waren.

Am Ende kamen mehr als 20 Bücher dabei heraus. Allein der Sammelband verkaufte sich mehr als 280.000 Mal. Seine Lieblingsfigur war das großspurige Pferd Huppdiwupp, das übers Haus springen will und am Schornstein scheitert. Kritiker sagten: Es bleibe ein Geheimnis, wie der gleiche Mensch im Gericht schneidende Reden halten und zu Hause bezaubernde Kinderbücher schreiben konnte.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 16. Januar 2023, 19:30 Uhr