Interview

Bremerin dreht bewegende Doku: "Vor Behinderungen drehen wir uns weg!"

Die Bremer Filmemacherin Christine Jezior erzählt in "Gosia@Tomek" nicht nur eine Liebesgeschichte – sie zeigt auch, wie viel pflegenden Angehörigen abverlangt wird.

Gosia Romankowskas Mann ist seit einem Unfall schwerstbehindert – die Polin ist damit im recht jungem Alter zu einer pflegenden Angehörigen geworden. Sie kümmert sich jeden Tag um ihn, hingebungsvoll, nimmt ihn überall mit hin und schreibt ihm jeden Tag Mails – in der Hoffnung, dass er irgendwann zu Bewusstsein kommt und nachlesen kann, was seit seinem Unfall alles passiert ist.

Die Geschichte des Paares erzählt der Film "Gosia@Tomek", der heute zum europaweiten Tag der pflegenden Angehörigen in der Glocke in Bremen gezeigt wird. Die Bremer Filmemacherin Christine Jezior hat Gosia und Tomek dafür über ein Jahr lang begleitet. Wir haben mit Jezior gesprochen.

Frau Jezior, wenn Sie an Ihren Film "Gosia@Tomek" denken, was für Gefühle löst das in Ihnen aus?

Auf jeden Fall Optimismus. Ich habe viel gelernt bei diesem Film. Ich wusste nicht, dass es solche Menschen noch gibt auf dieser Welt. Ich habe versucht, mich zu vergleichen, mich gefragt, ob ich das könnte. Ich habe ganz oft darüber nachgedacht, ob ein Mann sich genauso opfern könnte wie Gosia. Ich sage von vornherein: Ich könnte das nicht. Und ich habe auch ein schlechtes Gewissen, ab und zu, dass ich diesen Film gemacht habe.

Die Bremer Filmemacherin Christina Jezior
Die Bremer Filmemacherin Christine Jezior. Bild: Bartek Bialobrzeski

Der Film löst ganz verschiedene Gefühle aus: Einerseits tut einem die Situation, dieser Schicksalsschlag, sehr leid und man ist betroffen. Andererseits ist "Gosia@Tomek" eine schöne Geschichte von Solidarität, von Liebe, von Optimismus. Sind das die beiden Ebenen, die den Film ausmachen?

Ja, ich glaube, das ist so. Aber ich muss sagen: Ich bin eine komische Regisseurin, denn ich analysiere meine Filme nicht. Viele fragen mich zu meinen Filmen: Was wolltest du damit sagen? Aber das weiß ich selbst nicht. Ich mache einfach Filme, so gut ich kann. Aber deswegen weiß ich zum Beispiel nicht, ob es gut war, so in der Nähe von einem Menschen zu sein, wenn er dir das vielleicht nicht erlaubt hat. Diese Frage hat mich immer beschäftigt.

Hat damit auch das schlechte Gewissen zu tun, von dem Sie gerade gesprochen haben?

Ja. Das schlechte Gewissen habe ich während der Dreharbeiten bekommen.

Lassen Sie uns erstmal etwas zurückspringen, in die Zeit, bevor Sie gedreht haben. Wie haben Sie von der Geschichte der beiden erfahren?

Ich habe Gosia vor vielen Jahren in Bremen kennengelernt, sie war damals 19. Ich habe eine polnische Familie hier besucht und Gosia war auch da. Ich habe mit ihr nur ein paar Sätze gesprochen und dann gedacht: Was für ein wunderschönes Mädchen – und was für eine Persönlichkeit! Von da an habe ich mich immer wieder nach ihr erkundigt. Ich habe so mitbekommen, dass sie studiert hat, einen Job anfing, geheiratet hat, sich dann scheiden ließ und schließlich jemanden Neues kennengelernt hat. Das war Tomek. Und irgendwann mache ich Facebook auf und sehe die beiden da: Er ist schwerstbehindert. Ich habe dann ihre Geschichte gelesen – Gosia hatte dazu einen kleinen Text geschrieben, weil sie Spenden sammeln wollte. Und das hat mich alles so sehr bewegt, dass ich sie kontaktiert habe. Ich habe sofort gewusst: Ich muss etwas machen.

Was hat Gosia Ihnen geantwortet?

Wir haben geschrieben und ich habe erfahren, dass sie jeden Tag eine Mail an Tomek schreibt – in der Hoffnung, dass er irgendwann wach wird und lesen kann, was alles in seinem Leben passiert ist. Ich durfte ein paar dieser Mails lesen und hatte den Eindruck, dass es Gosia wirklich nicht gut ging. Da habe ich gedacht: Ich fliege schnell von Bremen nach Polen, zu den beiden. Ich bin drei Tage dort geblieben, dann war klar: Ich muss einen Film machen. Egal was passiert.

Später hat Gosia einmal zu mir gesagt, dass ich sie damit gerettet habe. Nicht weil ich gekommen bin. Sondern weil sie wieder ein Ziel gehabt hat. Das Ziel, diesen Film zu machen.

Christine Jezior, Bremer Filmemacherin

Mussten Sie Gosia also nicht lange überzeugen?

Nein, aber sie ist sehr stark. Sie hat gesagt, sie macht den Film unter einer Bedingung: dass es nicht ein Film über sie wird, sondern über Tomek. Ich habe gesagt: Ok, das ist nicht einfach – aber ich habe es versucht. Und jetzt gibt es im Film nur eine Aufnahme, eine einzige, ohne Tomek.

Wie haben Sie eine Beziehung zu Tomek aufgebaut?

Ich glaube, wir alle haben Probleme mit behinderten Menschen. Alle. Wenn jemand plötzlich behindert geworden ist oder wie Tomek ins Wachkoma fällt, dann können wir mit dieser Situation nicht umgehen. Wir wissen nicht, wie wir uns benehmen sollen. Ich bin genauso. Ich bin nicht besser. Deswegen habe ich jedes Mal ein Problem gehabt. Auch Freunde, die er gehabt hat, konnten mit dieser Situation nicht umgehen. Wenn sie ihn besucht haben – das wurde erst immer seltener, jetzt kommen sie überhaupt nicht mehr – haben sie ihn erst nicht angeguckt. Sie haben Gosia begrüßt, aber Tomek nicht, bis Gosia sie darauf hingewiesen hat. Deswegen habe ich meinem Team immer gesagt: Wenn wir da hingehen, waschen wir uns erst die Hände und dann begrüßen wir Tomek.

Gosia nimmt Tomek überall mit hin – auch zum Strand.
Gosia nimmt Tomek überall mit hin – auch zum Strand. Bild: Bartek Bialobrzeski

Sie haben Gosia und Tomek über ein Jahr lang begeleitet. Wie war es, als der Film fertig war?

Wir hatten viel Erfolg, damit hatten wir überhaupt nicht gerechnet – in Deutschland aber leider nicht, das hat mich verwundert. Bevor wir gedreht haben, habe ich eine Firma gefunden, die Filme verleiht – und die war eigentlich sehr interessiert an dem Film. Als der Film fertig war, haben sie ihn sich aber noch nicht einmal angeschaut. Das war in der Pandemie und sie haben gesagt, sie könnten diesen Film nicht ins Kino bringen, das sei nicht der richtige Zeitpunkt: Die Menschen sind fix und fertig und suchen jetzt einen optimistischen Film. Das hat mich total umgehauen. Ich habe verstanden, dass die Geld verdienen müssen, die Kinos sind leer. Ich verstehe das, aber ich war auch sehr, sehr enttäuscht.

In der Gesellschaft sprechen wir viel über Inklusion, darüber, dass Menschen mit Behinderungen in die Gesellschaft eingebunden werden müssen. Gleichzeitig hat es ein Film über das Thema dann sehr schwer. Haben Sie das Gefühl, dass Inklusion in Deutschland wirklich gelebt wird?

Ich glaube, in Deutschland ist es nicht so schlimm wie in anderen Ländern. Das liegt aber daran, dass technisch viel gut läuft: Die Betroffenen bekommen Hilfsmittel, sie kriegen Geld. Wenn jemand darüber meckert, dann hat er keine Ahnung, wie es anderswo läuft. In Polen zum Beispiel – das habe ich im Film nicht gezeigt, das wird nicht thematisiert – haben es die beiden sehr schwer. Es ist eine Katastrophe, fast kriminell, was da passiert. Als behinderter Mensch hast du keine Chance in diesem Land. In Deutschland ist es wirklich nicht schlecht.

Aber was mich umgehauen hat, ist die fehlende Akzeptanz von Behinderungen: Die ist im Eimer. Die ist wirklich im Eimer.

Christine Jezior, Bremer Filmemacherin

Das habe ich auch beim Filmfest Bremen erlebt: Viele meiner Filme waren immer gut besucht, ich habe mein eigenes Publikum, aber viele sind bei "Gosia@Tomek" wegen des Themas nicht gekommen. Viele haben mir geschrieben: Ich kann mir das nicht antun.

Woran liegt das?

Wir können mit Behinderung nicht leben, weil uns diese Bilder wahnsinnig machen. Die Menschen würden Geld spenden, kein Problem, aber sie mit diesem Bild zu konfrontieren? Gosia macht deswegen etwas ganz Tolles: Sie nimmt Tomek überall mit, egal wo sie hingeht.

Braucht es solche Menschen wie Gosia, um Akzeptanz zu schaffen? Um in der Gesellschaft Inklusion zu leben?

Ja, wir brauchen mehrer Gosias. Deswegen finde ich toll, dass sie ihn überall mit hin nimmt. Aber wir können mit unseren Augen Behinderung nicht akzeptieren, das ist mein Gefühl. Wir können das Bild nicht aushalten. Wenn du so jemanden siehst, dann gehst du schneller an ihm vorbei, weil du denkst: Ich kann ihn nicht so angucken. Warum?

Du guckst doch auch eine hübsche Frau auf der Straße länger an, aber vor Behinderung drehen wir uns weg.

Christine Jezior, Bremer Filmemacherin

Am Anfang des Gesprächs haben Sie gesagt, Sie haben sich die Frage gestellt, ob Sie das auch könnten, was Gosia tut. Sie sind zu den Schluss gekommen: Sie könnten es nicht. Warum?

Für mein Kind könnte ich es machen. Ohne Frage. Das ganze Leben lang. Aber Gosia war 32, als das passiert ist. Sie war in dieser Beziehung, sie wollte Karriere machen, sie hat Erfolg am Arbeitsplatz gehabt, sie kommt aus einer gut situierten Familie, sie konnte viel erreichen. Und trotzdem hat sie zurückgesteckt. Ich könnte das nicht. Pflegen würde ich meinen Mann selbstverständlich – aber ich könnte nicht auf mein Leben verzichten. Und Gosia hat auf alles verzichten müssen.

Haben Sie noch regelmäßigen Kontakt zu Gosia und Tomek? Wie geht es ihnen?

Gosia hat immer Hoffnung gehabt, jetzt ist sie nicht mehr so wie früher. Sie denkt, dass Tomek immer noch aufwachen kann, aber sie weiß, dass sie Geduld braucht. Die beiden haben ein neues Haus gebaut, sehr weit außerhalb, im Wald. Sie werden bis Weihnachten umziehen. Am Donnerstag kommen sie nach Bremen, in die Gondel – außer, wenn Tomek krank ist. Alleine kommt Gosia nicht. Sie hat aber schon alles organisiert. Mir hat sie gesagt, wenn nur zwei, drei Leute verstehen, was sie machen, dann ist es ihr diese Reise wert.

Schreibt Gosia immer noch Mails an Tomek?

Ja. Jeden Tag.

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. Oktober 2022, 19.30 Uhr