Fragen & Antworten

Ist die 4-Tage-Woche die Lösung für den Fachkräftemangel in Bremen?

Fachkräfte fehlen, geeignete Auszubildende sind rar – als eine Lösung wird aktuell die 4-Tage-Woche diskutiert. Doch kann das funktionieren? Wir klären die wichtigsten Fragen.

Die Firma Borco und Höhns in Rotenburg stellt Spezialfahrzeuge für den Verkauf her, zum Beispiel für Wochenmärkte. Bald passiert das nur an viereinhalb Tagen in der Woche. Ab September ruht jeden zweiten Freitag die Arbeit, die Wochenarbeitszeit sinkt. Mit 36,5 Stunden aber nur leicht, weil die 240 Mitarbeiter an anderen Tagen eine halbe Stunde dranhängen. Der Grund für das Experiment: Es ist schwierig neues Personal zu finden.

Vor dem Hintergrund, dass ich laufend Personal brauche, müssen wir sehen, wie wir dem entgegenwirken. Und da ist jetzt diese Viereinhalb-Tage-Woche ein erster Schritt, mit dem wir uns als Arbeitgeber attraktiver machen wollen.

Gerrit Vogler, Geschäftsführer bei Borco und Höhns

Entwickelt wurde das Arbeitszeitmodell zusammen mit der IG Metall. Noch ist es allerdings ein Einzelfall in Bremen und umzu. Bei Borco und Höhns wird es nun ein Jahr lang erprobt – und dabei wissenschaftlich begleitet.

Befragung: Die einen sind überlastet, die anderen haben zu wenig Stunden

Die Arbeitnehmerkammer Bremen führt alle zwei Jahre eine repräsentative Beschäftigtenbefragung durch. Ein Ergebnis: Beschäftigte, die mehr als 35 Stunden arbeiten, würden oft gerne Stunden reduzieren. Bei den Beschäftigten, die weniger als 35 Stunden arbeiten, gibt es allerdings auch viele, die gerne mehr arbeiten würden, erklärt Elke Heyduck. Sie ist Politikberaterin bei der Bremer Arbeitnhemerkammer. "Die einen sind also überlastet und überarbeitet, die anderen brauchen eigentlich mehr Stunden, um von ihrem Einkommen leben zu können", sagt Heyduck.

Wie realistisch ist es also, dass die Vier-Tage-Woche die Lösung für den Fachkräftemangel ist? Wir geben Antworten auf die wichtigsten Fragen.

Welche Modelle der Vier-Tage-Woche gibt es überhaupt?

Laut Arbeitnehmerkammer gibt es mittlerweile sehr viele flexible Formen, die Arbeitszeit zu verteilen. Bei der IG Metall gebe es beispielsweise tarifvertragliche Regelungen, durch die Beschäftigte Geld in Zeit umwandeln können – sie können auf ihren Teil ihres Gehalts verzichten und dafür weniger arbeiten.

In den Betrieben müsse jedoch im Einzelnen geschaut werden, was die Vier-Tage-Woche bedeute. Heißt sie: Statt fünf Tagen mit acht Stunden nun vier Tage mit zehn Stunden? Oder tatsächlich weniger Stunden? Werden dann neue Leute eingestellt oder müssen die, die da sind, mehr schaffen in weniger Zeit? Gibt es einen Lohnausgleich oder zahlen die Beschäftigten die Arbeitszeitverkürzung am Ende selbst?
Wenn im Handwerk über eine Vier-Tage-Woche diskutiert wird, dann meistens über ein Modell, bei dem vier Tage jeweils länger gearbeitet wird, um für den fünften Wochentag vorzuarbeiten, erklärt Oliver Brandt von der Bremer Handwerkskammer. So wie auch bei Borco und Höhns.

Für Bremens Arbeitssenatorin Kristina Vogt (Linke) ist eine Vier-Tage-Woche nach belgischem Vorbild nicht hinnehmbar. Dort werde mit einer Vier-Tage-Woche bei gleichbleibender Arbeitszeit experimentiert. "Wer also bei einer 40 Stundenwoche nur vier Tage arbeiten will, muss täglich zehn Stunden arbeiten. Denke ich hierbei noch Pausen-, Wege- und Rüstzeiten mit, sind wir schnell bei Arbeitstagen von zwölf, dreizehn Stunden", sagt Vogt. Dadurch würde die öffentliche Kinderbetreuung schnell an ihre Grenzen geraten.

Welche Vorteile bietet die Vier-Tage-Woche?

Die Vier-Tage-Woche kann zu einer höheren Lebenszufriedenheit führen, sagt Werner Eichhorst. Er ist Honorarprofessor für europäische und internationale Arbeitsmarktpolitik an der Universität Bremen. Studien zeigen laut Eichhorst, dass diese höhere Zufriedenheit gelingen kann, wenn Arbeitsprozesse verdichtet werden. "Vermutlich ist das bei verwaltenden Tätigkeiten leichter möglich als im industriellen Bereich", so Eichhorst.

In bestimmten Bereichen, wie der Pflege, seien Einsparungen und Intensivierungen nicht mehr möglich, so Eichhorst. Gerade bei so sozial belastender Arbeit könnten weniger Schichten helfen. Jedoch betont er, dass die Gehälter stimmen müssen.

Auch die Arbeitnehmerkammer ist sich sicher: Wenn Beschäftigte flexiblere und kürzere Arbeitszeiten haben, gelingt es ihnen leichter, ihr Privatleben und auch Verpflichtungen außerhalb der Arbeit zu organisieren. Aber auch Heyduck betont: "Eine generelle Arbeitszeitverkürzung bei gleichzeitig weniger Gehalt ist für viele keine Option."

Was für Nachteile können durch die Vier-Tage-Woche entstehen?

Für die Unternehmen verursache die Vier-Tage-Woche höhere Kosten, so Eichhorst. Außerdem könnten dadurch noch weniger Fachkräfte zur Verfügung stehen. Für die Arbeitnehmer könnte es zum Problem werden, dass die Tage zu lang werden, wenn sich die Arbeitszeit auf vier statt fünf Tage verteile. "Vielleicht lässt die Konzentration dann irgendwann nach", sagt Eichhorst.

Auch Marcel Christmann von den Unternehmerverbänden Bremen hat die Sorge, dass sich der Fachkräftemangel eher vergrößere durch eine Vier-Tage-Woche. "Allerdings ist eine Fachkraft, die mir an vier Tagen die Woche zur Verfügung steht, besser als eine, die gar nicht da ist", sagt Christmann. "Geht nicht" könnten sich die Arbeitgeber nicht mehr leisten.

Internationale Beispiele würden laut Arbeitnehmerkammer zeigen, dass die Produktivität bei verkürzten Arbeitszeiten steigt.

Aber das muss sehr sorgfältig geprüft werden. Wir haben bereits eine extrem stressige Arbeitswelt – da einfach Stunden rauszunehmen, ohne neue Leute einzustellen, kann nach hinten losgehen. Für alle.

Elke Heyduck, Politikberaterin bei der Bremer Arbeitnhemerkammer

Zu begrüßen seien daher Tarif- und Betriebsvereinbarungen, die den Beschäftigten eine Wahl lassen und auch Neueinstellungen vorsehen, wenn Arbeitszeiten reduziert werden. Die tägliche Arbeitszeit auf zehn Stunden zu verlängern, um auf eine vier Tage Woche zu kommen, sehe die Arbeitnehmerkammer kritisch, da das Risiko zum Beispiel von Arbeitsunfällen bei längeren Arbeitszeiten deutlich ansteige. Auch Eichhorst äußert diese Bedenken.

Welche Herausforderungen für Arbeitgeber aber auch Arbeitnehmer stecken in der Vier-Tage-Woche?

Eine Herausforderung sei es, Routinen zu identifizieren, die Zeit kosten, aber nicht produktiv sind, so Eichhorst. Damit die Vier-Tage-Woche funktioniere, müsse Bürokratie abgebaut werden. Die Dokumentationspflicht könne beispielsweise minimiert werden.

Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, Zeit und Raum zu lassen, damit Arbeitnehmer in den Austausch gehen können. "Es muss den Freiraum geben, Prozesse zu hinterfragen", so Eichhorst.

Laut Christmann sei so ein Arbeitszeitmodell immer dann schwierig, wenn die Tätigkeit Abwesenheiten von mehreren Tagen oder Wochen mit sich bringe. "In der Offshore und Windkraft-Branche fahren viele zum Beispiel das Modell, dass sie 14 Tage unterwegs sind und 14 Tage zu Hause", so Christmann.

Bei Handwerks-Betrieben mit nur wenigen Mitarbeitenden ist eine Vier-Tage-Woche möglicherweise schwerer umsetzbar, da keine Vertretungsregelung möglich ist, sagt Brandt. In der Konsequenz würde das bedeuten, dass die Firma einen Tag in der Woche stillsteht. "Auch Notdienste nach Geschäftsschluss oder an Wochenenden, zum Beispiel in den Bereichen Sanitär-Heizung-Klima und Elektro, wären für sehr kleine Betriebe womöglich schwer oder gar nicht zu leisten", sagt Brandt.

Was für alternative Lösungsmöglichkeiten für den Fachkräftemangel gibt es?

Die beste Lösung wären vermutlich sehr flexible Arbeitszeitmodelle, damit niemand benachteiligt wird, sagt Eichhorst.

Viel diskutiert wird aktuell die 42-Stunden-Woche. Diese wird jedoch von den meisten eher kritisch gesehen. Vogt hält von diesem Vorschlag gar nichts. "In der Frage nutzen einige Protagonisten die Situation aus, um von den Gewerkschaften hart erkämpfte Zustände wieder zu ändern", sagt Vogt. Das sei alles andere als zeitgemäß.

Eichhorst schlägt als Lösung zum Fachkräftemangel vor: "Ich wäre eher für eine längere Lebensarbeitzeit." Seiner Meinung nach ist das die offensichtliche Flanke, um sowohl gegen das Rentenproblem als auch den Fachkräftemangel vorzugehen. Schließlich gebe es eingearbeitete Fachkräfte, deren Lebenserwartung steige und die Arbeitszeit müsse nun folgen. Vogt widerspricht Eichhorst. Das sei keine adäquate Lösung gegen den Fachkräftemangel. Ihrer Meinung nach müsse es wieder möglich sein, mit 65 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen zu können. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit sei im Grunde eine Rentenkürzung.

Für handwerkliche Betriebe sei die Ausbildung von jungen Menschen der Schlüssel, um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen, sagt Brandt. Auch Christmann spricht davon, dass der Fokus auf die Fachkräfte von morgen wichtig sei.

Zusätzlich zur Ausbildung von jungen Menschen will die Arbeitnehmerkammer auf Weiterbildung und Qualifizierung setzen. "In keinem Bundesland sind so wenig Frauen erwerbstätig wie in Bremen", sagt Heyduck. Außerdem gebe es Zugewanderte, die über gute Anerkennungsprozesse und Nachqualifizierungen zur Fachkraft werden könnten. Das gleiche gelte für Arbeitslose oder Menschen, die aktuell Helfertätigkeiten ausüben würden. Dem stimmt auch Vogt zu. "Viele Menschen in Minijobs würden gerne ihre Arbeitszeit ausweiten. Hier erweist sich die fatale steuerrechtliche Privilegierung von Minijobs als Falle – für die Menschen, aber auch für die Gesellschaft", sagt Vogt. Vor allem aber müsse die Wirtschaft ihre Hausaufgaben machen und mit langfristigen Personalstrategien ihren Fachkräftebedarf sichern.

Einig sind sich alle Experten, dass die 4-Tage-Woche alleine nicht ausreichen wird, um gegen den Fachkräftemangel vorzugehen.

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Bild: dpa | Hartwig Lohmeyer

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 15. August 2022, 19:30 Uhr