Interview
Bremer ESC-Experte verrät, welche Vorurteile zum Song Contest stimmen
Viele werden den Eurovision Song Contest am Abend eifrig verfolgen – und gleichzeitig mit Hohn und Spott überschütten. Nur bedingt mit Recht, findet ESC-Kenner Jens-Uwe Krause.
Bis zu 200 Millionen Menschen verfolgen Jahr für Jahr den Eurovision Song Contest (ESC). Das allgemeine Interesse an dem Event ist offensichtlich groß. Trotzdem oder gerade deshalb gehört es beinahe zum guten Ton, über den ESC zu lästern – insbesondere in Deutschland, das bei dem Wettbewerb zuletzt eher bescheiden abgeschnitten hat. Entsprechend viele Vorurteile ranken sich um den ESC, auch und gerade vor dem Finale am Samstagabend in Malmö. buten un binnen hat Radio Bremens ESC-Experten Jens-Uwe Krause gebeten, die wohl gängigsten dieser Vorurteile zu bestätigen beziehungsweise zu entkräften.
Die osteuropäischen Länder schieben sich eh die Punkte gegenseitig zu, Gesang und Performance sind egal. Was ist dran an dem Vorurteil?
Das lässt sich natürlich nicht abstreiten. Aber machen sie das aus Solidarität? Aus Kalkül? Ist es Absprache? Oder ist womöglich der Musikgeschmack solcher Nachbarländer schlicht sehr ähnlich? Man weiß es nicht. Fakt aber ist: Auf das Endergebnis hat diese Punkteschieberei keinen nennenswerten Einfluss. Auch diese Länder gewinnen nur, wenn ihnen auch die restlichen Länder viele Punkte geben.
Deutschland landet bei der Platzierung sowieso hinten. Warum schneiden wir so verhältnismäßig schlecht ab?
Auf jeden Fall nicht, weil wir international so unbeliebt sind. Oder war Deutschland so viel beliebter, als Michael Schulte mit "You let me walk alone" 2018 plötzlich auf Platz 4 landete? Nein, wir haben einfach kein glückliches Händchen bei der Auswahl unseres Beitrags. ESC-Songs müssen auffallen, emotional berühren. Das gilt auch für den Interpreten. Leider schicken wir zu oft Beiträge zum ESC, die im deutschen Radio nicht unangenehm auffallen, also in erster Linie "gut spielbar" sind. So gewinnt man aber keinen ESC.
So hat Deutschland bisher beim ESC abgeschnitten
Der ESC ist unpolitisch, aber 2022 gewann die Ukraine. Wie kann der ESC da unpolitisch sein?
Kann er natürlich nicht. Aber er bemüht sich sehr, es zu sein. Das offizielle Regelwerk verbietet sogar ausdrücklich eine politische Instrumentalisierung des Wettbewerbs. Ich war selber ein paar Jahre als Reporter vor Ort und habe miterlebt, dass die Menschen politisch verfeindeter Länder friedlich miteinander gefeiert haben.
Dass die Ukraine kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs haushoch gewonnen hat, war natürlich auch ein beeindruckendes Zeichen der Solidarität aus fast allen teilnehmenden Ländern. Aber der ukrainische Song war eben auch gut und traf den Nerv der Zeit. Viele Experten sagen, die Ukraine hätte auch ohne die bekannte Weltlage gewonnen.
Den ESC guckt eh niemand mehr. Stimmt das? Ist der ESC überhaupt noch zeitgemäß?
Dass ihn niemand guckt, stimmt natürlich nicht. Weltweit sind es über 150 Millionen Zuschauer. In Deutschland zählt der ESC alljährlich zu den erfolgreichsten Shows in der ARD. Und er ist zeitgemäßer denn je. Weil er eben zeigt, dass es den Menschen im Grunde genommen egal ist, wo du herkommst. Hier wird miteinander gefeiert, nicht gegeneinander intrigiert. Es geht also, dieses nationen- und kulturübergreifende Miteinander. Außerdem macht es Spaß, mit Freunden vorm Fernseher zu sitzen und sich dieses bunte Spektakel zwischen genial und grenzwertig anzusehen.
Der ESC ist viel zu teuer und eine unnötige Ausgabe. Stimmt das?
Teuer? Nein. Unnötig? Mag sein. Nur: Wer entscheidet das? Fußballrechte kosten ein Vielfaches von dem, was der ESC kostet. Und es gibt viele Menschen, die sagen würden: "Ich brauche keine WM oder EM!" Für eine Fernsehshow mit diesen sehr guten Einschaltquoten ist der ESC sogar verhältnismäßig günstig, weil sich die Kosten international verteilen.
Wenn wir mal einen bekannten deutschen Künstler zum ESC schicken würden – zum Beispiel Tokio Hotel–, dann wäre das Ergebnis auch nicht so schlecht.
Hier ist das Problem: Künstler, die wir kennen und lieben, kennt im Zweifel international trotzdem niemand. Und selbst wenn, werden auch solche Künstler immer an ihrem aktuellen Beitrag gemessen. Beim ESC gibt es keinen Bonus für das musikalische Gesamtwerk.
Allerdings: Renommierte Künstler bringen im Zweifel eine größere Routine und Erfahrung mit. Das könnte helfen, wenn es darum geht drei Minuten fehlerfrei und entspannt zu performen. Ich fürchte aber, dass die Fallhöhe beim ESC zu hoch ist. Man mag sich die Reaktionen nicht vorstellen, die kämen, wenn ein Herbert Grönemeyer plötzlich im unteren Drittel landen würde. Warum sollte er das riskieren?
Gibt es einen Bremer Bezug zum ESC? Gab es mal Kandidaten aus Bremen oder der Region?
Da erinnere ich mich spontan an die Bremerin Corinna May, die 2002 in Tallinn für Deutschland angetreten ist. Sie belegte am Ende mit einem Song von Ralph Siegel den 21. von 24 Plätzen. Fassen wir den Begriff Region etwas weiter, dann hatten wir 2018 mit Michael Schulte aus Eckernförde einen Viertplatzierten, auf den wir alle zurecht stolz waren.
Quelle: buten un binnen.
Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, 10. Mai 2024, 21 Uhr