Fragen & Antworten

Warum Einsamkeit uns alle in Bremen und Bremerhaven angeht

Einsamkeit schadet der Gesundheit ebenso wie Alkoholmissbrauch oder das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Warum das uns als Gesellschaft alle angeht – und was wir dagegen tun können.

Seit Corona fühlen sich mehr Menschen einsam. Das hat die Bremer Gesundheitspsychologin Sonia Lippke von der Jacobs University Bremen in einer Studie herausgefunden. Doch was für Folgen kann chronische Einsamkeit haben? Und wer ist besonders einsam? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

Was ist der Unterschied zwischen Einsamkeit und alleine sein?

"Nicht jeder, der alleine ist, ist auch einsam", erklärt Uwe Gonther. Er ist Ärztlicher Direktor und Chefarzt des psychiatrischen Ameos Klinikums Bremen. Er unterscheidet zwischen "alleine sein", wobei der Mensch nicht unglücklich sein muss und "einsam sein", was mit einem Gefühl der Traurigkeit einhergehe. Gonther betont aber, wie wichtig es ist, mit Betroffenen über die Begriffe zu sprechen. Nur so könnten sie individuell klären, wie sie ihre Worte definieren.

In einer aktuellen Studie zur Einsamkeit seit der Corona-Pandemie definiert Sonia Lippke Alleinsein als etwas durchaus gutes. Lippke lehrt Gesundheitspsychologie und Verhaltensmedizin an der Jacobs University in Bremen. Alleinsein könne die Kreativität, Zielstrebigkeit und Konzentration fördern, fasst Lippke zusammen. Problematisch wird es, wenn das Alleinsein mit sozialer Isolation und Einsamkeit einhergeht.

Auch Lippke bestätigt, dass Einsamkeit ein subjektives Gefühl sei. Soziale Isolation lasse sich da schon eher objektiv erfassen – so gibt es aktuell immer mehr ein-Personen-Haushalte.

Welche Menschen sind besonders häufig einsam?

In Deutschland sind rund zehn bis 20 Prozent der Menschen chronisch einsam. Das schreibt die Psychologin und Einsamkeitsforscherin Susanne Bücker 2021 in einer Stellungnahme für den Deutschen Bundestag. Ihr zufolge kann Einsamkeit über die gesamte Lebensspanne auftreten – für das Gefühl des einsam seins gibt es jedoch besonders gefährdete Phasen im Leben. Das sind ihren Erkenntnissen nach junge Erwachsene zwischen 18 und 29 Jahren und ältere Menschen ab etwa 80 Jahren.

Laut Lippke berichten Alleinstehende und Alleinlebende häufiger, sich einsam zu fühlen als Menschen in einer Partnerschaft. Außerdem erhöhen Faktoren wie ein niedriges Einkommen das Risiko.

Auch in der Praxis beobachtet Gonther, dass immer mehr Menschen alleine leben. In den 70er-Jahren seien viele Menschen aus der Stadt ins Umland gezogen – und wenn die Kinder aus dem Haus sind, es zu einer Scheidung gekommen ist oder der Partner oder die Partnerin verstorben ist, leben die Menschen alleine in ihren Reihenhäuschen.

Das sind übrig gebliebene Leute. Menschen, die auf dem Land mit den Kühen oder aber mit ihren Gespenstern der Vergangenheit reden.

Uwe Gonther, Chefarzt des Ameos Klinikums Bremen

Was für gesundheitliche Folgen kann Einsamkeit haben?

Einsamkeit schadet der Gesundheit ebenso wie Alkoholmissbrauch oder das Rauchen von 15 Zigaretten pro Tag. Das zeigt eine Auswertung von 140 Studien mit insgesamt mehr als 300.000 Menschen. Diese Auswertung haben Holt-Lunstad, Smith und Layton 2010 vorgenommen.

Auch Lippke zitiert in ihrer Studie Forschungsergebnisse, die zeigen, dass Einsamkeit mit erhöhtem Blutdruck, ungünstigerem Schlafverhalten und einem schwächeren Immunsystem zusammenhängt. Das wurde 2009 von Hawkley und 2008 von Luanaigh herausgearbeitet.

Wer sich einsam fühlt, ernährt sich in der Regel ungesund und bewegt sich wenig, erklärt Gonther. Das kann zu Zivilisationskrankheiten wie Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen oder Depressionen und Ängsten führen.

Wie hat sich das Gefühl von Einsamkeit in der Gesellschaft während und nach der Corona-Pandemie verändert?

Dieser Frage hat sich Lippke in ihrer Studie "Einsam(er) seit der Corona-Pandemie: Wer ist besonders betroffen? – psychologische Befunde aus Deutschland" gewidmet. Herausgefunden hat sie, dass sich 10,8 Prozent der Befragten vor der Corona-Pandemie mehrfach pro Woche oder täglich einsam gefühlt hat. Während der Pandemie stieg der Wert bei den Befragten auf 26,6 Prozent.

Häufiger einsam fühlten sich laut Lippke besonders Alleinlebende, Frauen und Jüngere. Von starken gesundheitlichen Belastungen berichteten der Studie zufolge 18,9 Prozent. Auch da fiel auf, dass besonders Jüngere davon erzählten. Damit Einsamkeit sich schlecht auf die Gesundheit auswirkt, sei weniger die Intensität entscheidend, sondern die Dauer. Das wurde laut Lippke in einem Überblicksartikel zu Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen festgestellt.

Auch in seiner praktischen Arbeit beobachtet Gonther vermehrt, dass junge Menschen und insbesondere Studierende seit Corona keinen Anschluss gefunden haben. "Das ist schrecklich. Jüngere haben oft noch den familiären Rahmen, aber junge Erwachsene brauchen dafür in neuen Orten ihre Peer Group und die Peer Groups sind durch die Pandemie weggefallen", erklärt Gonther.

Bei Depressionen und Angst ist Einsamkeit ein großes Thema, denn durch Ängste sind viele Menschen oft einsam.

Uwe Gonther, Chefarzt des Ameos Klinikums Bremen

Soziale Ängste würden sie daran hindern, nach draußen zu gehen und mit anderen in Kontakt zu treten. Oft verstärke sich die Einsamkeit durch ein niedriges Selbstwertgefühl oder Mobbing-Erfahrungen.

In seiner therapeutischen Arbeit oder auch bei Vorträgen arbeitet Gonther häufig mit dem Märchen der Bremer Stadtmusikanten. "Das sind schließlich auch die Ausgesonderten, die sich zusammentun und Solidarität schaffen. Um das Wiederherstellen von Verbindungen geht es schließlich auch in einer Therapie", erklärt er. Natürlich müssen soziale Kontakte individuell angepasst werden – nicht jeder Mensch brauche einen großen Freundeskreis. Einigen würde auch ein Spaziergang alle zwei Wochen reichen.

Wichtig sei, dass die Patienten und Patientinnen nach dem Trainingslager Therapie auch einen Anschluss an die Gesellschaft schaffen würden.

Welche Kosten kommen dadurch auf das Gesundheitssystem zu?

Die Datengrundlage zu den Kosten, die dem deutschen Gesundheitssystem durch Einsamkeit entstehen, ist sehr dünn. Bücker erläutert in ihrer Stellungsnahme dazu, dass die Einsamkeitsforschung ein noch recht junges Forschungsgebiet ist – besonders in Deutschland. "Die Datenlage zu Einsamkeit in Deutschland ist entsprechend begrenzt", erklärt sie. Fakt sei aber, dass die chronische Einsamkeit hohe Gesamtkosten verursache. Sowohl für die betroffene Person als auch für die Gesellschaft.

In Großbritannien wird die Einsamkeitsforschung länger betrieben in Deutschland. Fulton und Jupp haben 2015 für Großbritannien in einer Studie ermittelt, wie teuer chronische Einsamkeit pro Person werden kann. Mittelfristig – von ihnen auf 15 Jahre festgelegt – haben sie die Gesamtkosten für chronische Einsamkeit auf etwa 12.000 Pfund pro Person geschätzt. Das sind zum damaligen Umrechnungskurs rund 16.320 Euro. Außerdem fanden sie heraus, dass etwa 40 Prozent der geschätzten Kosten innerhalb der ersten fünf Jahren in der chronischen Einsamkeit auftreten.

Wie kann sinnvolle Prävention aussehen?

Um immer mehr alleine lebenden Menschen entgegenzuwirken, nennt Gonther als eine Lösungsmöglichkeit Mehrgenerationenhäuser wie den Ellner Hof. Dort gebe es von der Kita bis zur Pflege alles und die Leute würden in Kontakt treten.

Die Stadtteilgestaltung und Städteplanung ist laut Gonther ebenfalls ein großer Baustein. "Wenn ich zu Fuß zum Bäcker gehe und ich weiß, ich treffe unterwegs meinen Nachbarn und kann ein kleines Pläuschen halten, dann fühle ich mich automatisch weniger einsam", nennt er ein Beispiel. Wichtig sei, dass es Plätze mit Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum gebe, wo sich Leute begegnen könnten, ohne dafür unbedingt Geld ausgeben zu müssen. "Leuchtende Beispiele für so eine Stadtplanung sind Kopenhagen und Wien – zwei Städte, in denen die Menschen sehr zufrieden und glücklich leben", sagt Gonther.

Und was kann jeder Einzelne oder jede Einzelne tun?

Um den gesundheitlichen Folgen entgegenzuwirken, sollte jeder Einzelne auf gesunde Ernährung achten, erklärt Gonther. Jedoch nicht nur darauf, ausreichend Obst und Gemüse zu essen, sondern vor allem, dass gemeinsam Essen zubereitet und auch in Gesellschaft gegessen wird. Ein wichtiger Schlüssel sei außerdem Bewegung. "Damit meine ich nicht nur Sport, sondern vor allem im Alltag – zum Beispiel Nachbarskinder, die zusammen zur Schule laufen", sagt der Chefarzt.

Und wenn jemand alleine nicht aus der Einsamkeit komme, dann gebe es dafür therapeutische Einrichtungen: "Wir können helfen – wenn jemand zu uns kommt und etwas ändern will. Natürlich gibt es Wartelisten, aber die Wartezeit ist unendlich, wenn man sich nie meldet", sagt Gonther.

Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 31. Oktober 2022, 19:30 Uhr