Chronik: Wie der BAMF-Skandal zum "Skandälchen" wurde

Der mutmaßliche Asyl-Skandal in der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) hat für großes Aufsehen gesorgt. Wir blicken zurück.

Das Schild des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
In der Nürnberger Zentrale des BAMF soll schon im Juni 2017 die Warnung eines leitenden Bremer Beamten eingegangen sein. Bild: Radio Bremen

In großem Stil – so der Vorwurf damals – sollen Asylbescheide zugunsten der Antragsteller manipuliert worden sein. Fast eineinhalb Jahre hat die Bremer Staatsanwaltschaft seitdem ermittelt und will nach Medieninformationen jetzt Anklage beim Landgericht erheben. Der Vorwurf gegen die ehemalige Leiterin der BAMF-Außenstelle in Bremen: Betrug und Asylmissbrauch in rund 200 Fällen.

Stationen eines Skandals:

20. April 2018: Eine Razzia machte den Anfang. Sie richtete sich gegen insgesamt sechs Verdächtige, darunter auch die ehemalige Leiterin der Bremer BAMF-Außenstelle. Der Verdacht: Ulrike B. soll – in Zusammenarbeit mit drei Rechtsanwälten – mehr als 1.200 Asyl-Anträge zu Unrecht bewilligt haben. Das geht aus einem Bericht der Interimsleiterin Josefa S. hervor. Der Verdacht der Bremer Staatsanwaltschaft: bandenmäßiges Verleiten zum Asylmissbrauch, Bestechung und Bestechlichkeit. Das Ganze schon seit Jahren – genauer gesagt: seit 2013. Der Fall schlägt sofort hohe Wellen.

26. April 2018: Der Innenausschuss des Bundestags beschäftigt sich in einer nicht-öffentlichen Sitzung mit dem Thema und befragt dabei die damalige Leiterin des Bundesamtes, Jutta Cordt.

8. Mai 2018: Die Interimsleiterin der Bremer BAMF-Stelle, Josefa S., sorgt für Ärger in der Behörde. In einem Bericht wirft sie der Zentrale in Nürnberg vor, dass die kein echtes Interesse an Aufklärung habe. Die Machenschaften in Bremen seien jahrelang gebilligt worden und man habe das Gesicht wahren wollen. Josefa S. wird nur einen Tag später nach Deggendorf in Bayern zurückversetzt.

18. Mai 2018: BAMF-Präsidentin Cordt kündigt im Innenausschuss an, dass – rückwirkend bis ins Jahr 2000 – gut 18.000 Asylentscheidungen der Bremer Außenstelle geprüft werden sollen. Drei Monate werden dafür veranschlagt.

23. Mai 2018: Bundesinnenminister Seehofer verfügt als oberster Dienstherr, dass die Bremer BAMF-Außenstelle vorerst keine Asylverfahren mehr bearbeiten darf.

25. Mai 2018: Die interne Revision des Bundesamtes untermauert in einem internen Bericht die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft. Darin heißt es, dass die frühere Dienstellenleiterin Ulrike B. "über Jahre hinweg in einer unbestimmten Zahl von Verfahren massiv u. a. gegen geltendes Recht und aufenthaltsrechtliche Bestimmungen, sicherheitsrelevante Vorgaben und innerbetriebliche Anweisungen verstoßen hat." Allerdings gibt das BAMF nur wenige Tages später auf Nachfrage von Radio Bremen und dem NDR zu, dass der Bericht der Innenrevision zumindest fehlerhaft ist. So wusste die Innenrevision nicht, dass Bremen zeitweise auch Erstanträge von außerhalb bearbeiten durfte.

28. Mai 2018: Der Parlamentarische Staatsekretär im Bundesinnenministerium, Stephan Mayer, erklärt in der ARD-Sendung „Anne Will“, einige Mitarbeiter in Bremen hätten sich – so wörtlich "hochkriminell und bandenmäßig" verhalten. Das Oberverwaltungsgericht Bremen untersagt diese Aussage später, nachdem die ehemalige BAMF-Dienststellenleiterin Ulrike B. Beschwerde dagegen eingereicht hat.

1. Juni 2018: Die ehemalige Dienststellen-Leiterin Ulrike B. äußert sich über ihren Anwalt erstmals zu den Korruptionsvorwürfen. Der Anwalt weist sie als unsinnig zurück.

15. Juni 2018: Das Bundesinnenministerium teilt mit, dass BAMF-Chefin Cordt von ihren Aufgaben entbunden wird. Sie wird durch den Leiter des Sachgebiets Ausländer- und Asylrecht im bayerischen Innenministerium, Hans-Eckhard Sommer, ersetzt.

7. September 2018: Der Prüfbericht des BAMF zur Bremer Außenstelle liegt vor. Insgesamt wurden 13.000 Verfahren bis ins Jahr 2006 zurück geprüft. Das Ergebnis: In 145 Fällen wurden grobe Verstöße gegen Asylrecht festgestellt. Dazu kommen allerdings noch etwa 500 weitere Fälle, an denen zwei Rechtsanwälte beteiligt waren, gegen die die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt. Diese wurden bereits vorher geprüft. Allerdings: auch an anderen BAMF-Standorten werden bei Stichproben zahlreiche mangelhafte Asylverfahren festgestellt.

13. September 2018: Bundesinnenminister Seehofer kündigt im Bundestag an, dass die Bremer BAMF-Außenstelle in Kürze wieder Asylanträge bearbeiten darf.

15. November 2018: Die gut 50 Mitarbeiter des BAMF in Bremen dürfen ab sofort wieder Asylanträge bearbeiten.

20. April 2019: Ein Jahr nach Bekanntwerden des vermeintlichen BAMF-Skandals sind die Ermittlungen der Bremer Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen. Sowohl die Justiz-Behörde als auch das Bundesamt erklären aber auf Nachfrage, dass sie nach wie vor davon überzeugt sind, dass Asylbescheide bewusst falsch erteilt wurden. Das BAMF überprüft zudem erneut tausende Entscheide aus der Bremer Dienststelle.

6. November 2020: Das Landgericht Bremen streicht die Anklage im BAMF-Skandal zusammen. Von ursprünglich 121 Anklagepunkten der Staatsanwaltschaft bleiben 22 übrig. Die Vorwürfe betreffen die frühere Leiterin der Bremer BAMF-Stelle und einen weiteren Mitangeklagten. Bei der früheren Leiterin der Bremer Außenstelle bleiben 14 Vorwürfe zur Verhandlung, bei einem zweiten Rechtsanwalt weitere 8. Die Anschuldigungen gegen einen dritten Angeklagten wurden komplett fallen gelassen.

10. November 2020: In einem anonymen Brief, aus dem Sommer 2020, werden schwere Vorwürfe gegen die ermittelnde Sonderkommission im BAMF-Skandal erhoben. Darin kritisiert der Hinweisgeber die bisherigen Ermittlungen als "zu einseitig": Demnach sollen E-Mails, die unter anderem die angeklagte ehemalige Bremer BAMF-Leiterin entlasten könnten, bewusst ignoriert worden sein. Die Bremer Staatsanwaltschaft ermittelt nun wegen Urkundenunterdrückung gewissermaßen gegen sich selbst. Innerhalb der Behörde sei aber eine andere Abteilung zuständig als damals.

12. November 2020: Rechtsanwalt Henning Sonnenberg, Vertreter einer der Angeschuldigten, kritisiert das Vorgehen der Bremer Staatsanwaltschaft.

Wenn in einer Behörde irgendwas schief läuft, und ich glaube hier ist sehr viel schief gelaufen, dann macht es aus meiner Sicht, gerade bei einer sehr kleinen Behörde [...] wenig Sinn, dass man dann im eigenen Hause guckt, ob die Kollegen Fehler gemacht haben. Da ist es einfach ein Gebot der Objektivität, da andere Leute ranzulassen.

Henning Sonnenberg, Anwalt eines der Angeschuldigten

Auch das Bremer Justitzressort sieht Handlungsbedarf in diesem Verfahren und hat eine Überprüfung des Vorgehens durch die Generalstaatsanwältin angekündigt. Die Generalstaatsanwaltschaft ist als vorgesetzte Behörde der Bremer Staatsanwaltschaft überstellt und könnte ihr die Ermittlungen entziehen.

15. April 2021: Der Prozess im Bremer BAMF-Fall beginnt mit einer Ernüchterung für die Staatsanwaltschaft: Das Verfahren gegen die ehemalige BAMF-Leiterin und einen Anwalt für Asylrecht könnte gegen Geldauflagen eingestellt werden. Vorgeworfen werden ihnen unter anderem Vorteilsnahme und -gewährung. Die Staatsanwaltschaft bat sich Bedenkzeit aus.

  • 20. April 2021: Der Prozess gegen die ehemalige Bremer BAMF-Leiterin wird wegen Geringfügigkeit eingestellt. Der Angeklagten wird zur Auflage gemacht, 10.000 Euro zu zahlen. Angeklagt war die Behördenleiterin wegen 14 Fällen von Verstößen gegen das Dienstgeheimnis, Dokumentenfälschung und Vorteilsnahme. Auch beim zweiten Angeklagten, seien sich die Seiten über eine Verfahrenseinstellung einig. Er wehrt sich aber nach eigenen Angaben gegen die vorgeschlagene Geldauflage von 5.000 Euro. Deshalb tagt das Gericht am Donnerstag erneut. Bei ihm geht es unter anderem um den Vorwurf, er habe Ausländern illegal zum Aufenthalt in Deutschland verholfen.

    3. Mai 2021: Die Generalstaatsanwaltschaft hat Ermittlungen gegen die Bediensteten der Bremer Staatsanwaltschaft aufgenommen, die im BAMF-Fall ermittelt hatten. Geprüft wird, ob aus der Bremer Staatsanwaltschaft heraus unerlaubt Informationen an einen Journalisten herausgegeben wurden. Anlass war ein Artikel einer großen Wochenzeitung. Sie schrieb 2019 über den sogenannten BAMF-Skandal.

    27. Mai 2021: Auch der Prozess gegen den zweiten Angeklagten, ein auf Asylrecht spezialisierter Anwalt aus Hildesheim, geht mit einer Geldstrafe von 6.000 Euro zu Ende. Das Landgericht verurteilte den Anwalt wegen Vorteilsgewährung in zwei Fällen. Von allen angeklagten Verstößen gegen Ausländer- oder Asylrecht sprach ihn das Gericht frei.

    20. September 2021: Die zuständige Generalstaatsanwaltschaft will das Verfahren wegen der Weitergabe von Ermittlungsdetails an die Medien gegen die Bremer Staatsanwaltschaft einstellen und das mutmaßliche Fehlverhalten soll nicht weiter juristisch verfolgt werden. Nach Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft ließe sich nicht mehr feststellen, welcher der beschuldigten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft rechtswidrig Ermittlungsdetails weitergegeben hätte, so die Begründung. Der Beschluss der Bremer Generalstaatsanwaltschaft ist allerdings noch nicht rechtskräftig, da die Gegenseite vier Wochen Zeit hat, Widerspruch dagegen einzulegen.

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    Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 1. September 2019, 7 Uhr

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