Wie der Jahrhundert-Orkan Quimburga vor 50 Jahren Bremen verwüstete
Am Vorabend des 13. November 1972 hatte der Wetterbericht "kräftige Herbstwinde" angekündigt. Dann überraschte Quimburga die Bremer und richtete verheerende Verwüstungen an.
An den 13. November 1972 kann sich die Bremerin Ulrike Graf noch genau erinnern. Die damals 13-Jährige musste von Kattenturm in die Neustadt zur Schule. Doch sie schaffte es nicht einmal bis zur Straßenbahnhaltestelle.
Der Wind war so stark, dass es meinen Klassenkameraden und mich auf ein Feld geweht hat. Wir sind wirklich geflogen. Wir hatten keine Chance.
Ulrike Graf
So wie Ulrike Graf ergeht es an diesem Montagmorgen vielen Bremerinnen und Bremern. Sie werden auf dem Weg zur Schule oder zur Arbeit vom Jahrhundertorkan überrascht. Der Wetterbericht hatte am Abend zuvor "kräftige Herbstwinde" vorhergesagt. Tatsächlich braut sich über der Nordsee einer der schwersten Stürme des 20. Jahrhunderts zusammen. Im Flachland erreicht er Geschwindigkeiten von mehr als 150 Kilometern in der Stunde, auf dem Brocken werden sogar 245 Kilometer pro Stunde gemessen.
Um 8 Uhr trifft der Orkan auf den Nordwesten Deutschlands, gegen 9 Uhr ist er in Bremen. Um 8.15 Uhr sendet Radio Bremen die erste Unwetterwarnung. Eine Stunde später lösen die Behörden Katastrophenalarm aus. Für viele Menschen kommt das zu spät.
Vier Tote, rund 100 Verletzte
Am Hotel Columbus am Bahnhof hebt der Sturm um 9.30 Uhr einen Teil der Dachkonstruktion aus der Verankerung. Die Betonteile treffen mehrere Fahrgäste der BSAG, die am Bahnhofsvorplatz auf einen Bus warten. Die 22-jährige Anke M. aus Mahndorf ist sofort tot. Auch die 20 Jahre alte Studentin Theodora R. aus der Neustadt erliegt ihren Verletzungen. Drei weitere Menschen werden schwer verletzt. Auf dem Lesum-Schnellweg wird der VW Käfer eines 48-Jährigen von einem Baum getroffen. Seine Frau hatte den Mann gebeten, schnell nach Hause zu kommen. In der östlichen Vorstadt schließlich stirbt ein Rentner, der Schäden an seinem Dach beheben wollte.
Nach zwei Stunden ist der Sturm vorbei: Vier Tote, rund 100 Verletzte. So lautet die Bilanz von Quimburga in Bremen. Auch die Sachschäden sind gewaltig. Die Feuerwehr fährt Hunderte Einsätze wegen abgedeckter Dächer, eingestürzter Baugerüste und umgeknickter Strommasten. Hinzu kommen unzählige umgestürzte Bäume.
Im Stadtwald hat der Sturm leichtes Spiel
Im Bürgerpark werden mehr als 1.000 zum Teil 100 Jahre alte Bäume umgeweht. Noch heftiger trifft es den Stadtwald, der damals noch größtenteils aus Nadelhölzern besteht. Hier bleibt kaum ein Baum stehen. "Wegen des hohen Grundwasserspiegels haben die Nadelbäume hier nicht sehr tief gewurzelt", erklärt der heutige Parkdirektor Tim Großmann. "So hatte der Sturm damals leichtes Spiel."
Die Aufräumarbeiten im Park dauern Monate. Die Bremerinnen und Bremer werden zu Geldspenden aufgerufen. Ab 1973 wird der Stadtwald neu bepflanzt, nun vorwiegend mit widerstandsfähigeren Laubbäumen. Wer heute durch den Stadtwald spaziert, sieht, dass dort kaum ein Baum älter als 50 Jahre ist.
Apokalyptische Bilder hinterlässt der Sturm auch im Bremer Umland. In nur drei Stunden hat der Orkan rund zehn Prozent des niedersächsischen Waldes vernichtet, die Holzernte von bis zu zehn Jahren. Die Nordwest-Zeitung aus Oldenburg schreibt: "Die nordwestdeutschen Wälder sehen aus, als wenn die Luftdruckwelle einer Atombombenexplosion durch sie hinweggegangen wäre."
Immense Schäden für die Forstwirschaft
Auch hier sind vorwiegend Nadelhölzer betroffen, Mischwälder wie etwa der Hasbruch im Landkreis Oldenburg kommen glimpflich davon. Die immensen Schäden führen in der bundesdeutschen Forstwirtschaft zu einem langsamen Umdenken. Monokulturen aus Kiefern oder Fichten werden erstmals kritisch betrachtet. So heißt es 1973 in einem Beitrag des NDR-Magazins "Panorama": "Angesichts der schier unverkäuflichen Zehnjahresernte an Kiefernholz wird der Zwang auch wirtschaftlich endlich unausweichlich, einen artenreichen Mischwald aufzubauen, wo immer der Boden es zulässt."
Insgesamt dürfte sich auch der Umgang mit derartigen Stürmen 50 Jahre danach geändert haben. Die Wettervorhersagen sind heute präziser. Und dass Kindern ein Vorwurf gemacht wird, wenn sie bei Windstärke 12 nicht zur Schule kommen, ist heute kaum mehr vorstellbar. Ulrike Graf bekam damals jedenfalls einen schweren Rüffel. "Die Schule hat mir vorgeworfen, ich hätte eine Physikarbeit schwänzen wollen", erinnert sich die Bremerin. Die Arbeit musste sie am nächsten Tag nachschreiben.
Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 14. November 2022, 19:30 Uhr