Infografik

Wie es Bremer Eltern geht, wenn die Kita kurzfristig ausfällt

Studie offenbart viele Betreuungsausfälle in Bremens Kitas

Bild: dpa | Ute Grabowsky

Wenn die Kita ausfällt, kann das Stress bedeuten. Wer betreut das Kind, wenn beide Eltern zur Arbeit müssen? Laut dem Bremer Elternbeirat passiert das häufig. Eine Familie erzählt.

Es ist Abend. Kurz vor dem Schlafengehen noch mal schnell die Mails checken. Keine Mail vom Kindergarten? Gut. Dann wird morgen vielleicht alles in Ordnung sein. Morgen könnte alles klappen: die Tagesschicht, die Präsentation und das Online-Meeting, das man schon einmal versäumt hat, weil das Kind nicht still bleiben wollte. Sicher kann man es aber jetzt noch nicht wissen.

Es ist Morgen, 7:30 Uhr. Ein Blick aufs Handy, Push-Benachrichtigungen lesen. Keine Mail vom Kindergarten, alles im grünen Bereich. Aufatmen. Dann los, Zähne putzen, Jacke anziehen, auf zur Kita.

So sah der Start in den Tag für Matthias und Sara* monatelang aus. An guten Tagen. An schlechten bekamen die Eltern am Vorabend oder am Morgen eine Benachrichtigung der Krippe, die Einrichtung müsse wegen Personalausfällen leider geschlossen bleiben beziehungsweise früher schließen. Dann hieß es, alles umplanen. Da Matthias im Homeoffice arbeitet, betreute er die zweijährige Tochter Neele* zu Hause.

Eltern: Man kann kaum planen

"Es war sehr schwierig, obwohl ich meine Arbeitszeiten bereits auf sechs Stunden pro Tag reduziert hatte", erzählt der Vater. "Wenn ich Online-Konferenzen hatte, bei denen wir wichtige Entscheidungen treffen sollten, musste ich das Kind vor den Fernseher setzen. Das tat ich ungern, aber es war der einzige Weg, eine Stunde lang ununterbrochen teilnehmen zu können." Sara ist Ärztin in einer Klinik, für sie war es gar nicht möglich, mobil zu arbeiten.

Ab Januar sind wir irgendwann jeden Tag aufgestanden und haben uns gefragt: Wer weiß, ob und wie lange es heute Betreuung in der Kita geben wird.

Sara*, berufstätige Mutter

Im April gab es die Krippe dann nur an etwa zwei Tagen pro Woche. Hinzu kamen manchmal plötzliche Krankheitsfälle, die zu reduzierten Betreuungszeiten führten. Teilweise ging es so weit, erzählen die Eltern, dass sie sich auch mal krankgemeldet haben, um Neele zu betreuen. "Das ist nicht professionell, aber was konnten wir tun?"

Vater: "Wir fühlten uns dem Burn-out nah"

Ihre Eltern konnten nicht helfen, da sie im Ausland leben. "Beklemmend" sei es gewesen, jeden Tag hoffen zu müssen, dass keine Mail kommt. Eine grundlegende Unsicherheit.

Mein Chef war irgendwann auch genervt, wenn ich mal wieder nicht an einem Meeting teilnehmen konnte.

Matthias*, berufstätiger Vater

Also haben sie ihr Leben umgekrempelt. Matthias stand um 6 Uhr auf, um die Zeit für die Arbeit zu nutzen, bevor Neele aufwachte. Dann passte er auf sie auf, wenn Sara Frühschicht hatte, und arbeitete weiter, als sie nach Hause kam. Wenn Sara Nachtschicht hatte und es keine Kita gab, schlief sie ein paar Stunden am Tag, dann stand sie auf und kümmerte sich um das Kind.

Mutter: Faktisch unmöglich, in Vollzeit zu arbeiten

Gleichberechtigung bei der Erziehung des Kindes sei ihnen wichtig, erzählt Sara, während Matthias Neele hinterherläuft, die gerade um den Tisch rennt. Daher haben beide ihre Arbeitszeiten auf sechs Stunden pro Tag reduziert. Wollen aber beide in Vollzeit arbeiten, wäre dies ohne die Hilfe der Großeltern oder Verwandten praktisch unmöglich, sagen sie.

Wenn der Kindergarten im besten Fall von 8 bis 16 Uhr geöffnet hat, sind das 8 Stunden. Eine Vollzeitarbeit dauert aber inklusive Mittagspause achteinhalb. Es sei denn, man ist im Homeoffice und arbeitet nachts.

Sara*, Mutter

Betreuungsausfälle kommen noch erschwerend hinzu. Und oft sind es Frauen, die zurückstecken, wie die Bremer Arbeitnehmerkammer bestätigt. Etwa 85 Prozent der männlichen Beschäftigten arbeiten demnach in Vollzeit, aber nur 49 Prozent der Frauen.

Während die beiden Eltern erzählen, wirft die zweijährige Neele ihr Plüschtier auf den Tisch, ein von Zeit und Umarmungen abgenutztes Kaninchen. Sie lacht. Eigentlich sei das Kind immer gern in die Kita gegangen, sagt Sara. Doch wechselnde Bezugspersonen unter Erzieherinnen und Erziehern hätten sie verwirrt, manchmal habe sie geweint.

Studien belegen Fachkräftemangel und Ausfälle

Laut einer Umfrage der Bremer Zentralelternvertretung ist ihre Lage kein Einzelfall. Ein Drittel der Befragten gibt an, Betreuungsausfälle erlebt zu haben. Jedes fünfte Kind konnte an mehr als fünf Tagen seit Ende der Sommerferien in den Einrichtungen nicht betreut werden, bei sieben Prozent waren es demnach sogar mehr als 15 Tage.

Studie offenbart viele Betreuungsausfälle in Bremens Kitas

Bild: Radio Bremen

Die Ursachen liegen laut dem Bremer Bildungsressort beim akuten Fachkräftemangel gepaart mit hohen Krankheitsfällen. Auch im Fall von Neeles Familie hat offenbar eine dünner gewordene Personaldecke auf Pandemie- und krankheitsbedingte Ausfälle getroffen.

Laut einer jüngsten Studie der Bertelsmann-Stiftung werden 2023 in Bremen rund 5.400 Kitaplätze und 1.500 Fachkräfte fehlen. Die Bremer Behörde konnte diese Zahlen nicht bestätigen, dennoch seien die Ergebnisse der Studie nicht neu.

Erzieher-Ausbildung im Land Bremen

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Das Problem ist lange bekannt. Wer bei Kita-Trägern nachfragt, wird Ähnliches hören. Die Politik habe es verpasst, in die Zukunft zu blicken, sagt die pädagogische Geschäftsführerin der Hanseatenkids, Birgit Weber-Witt.

Der Fachkräftemangel hat sich schon vor rund zehn Jahren angedeutet.

Birgit Weber-Witt, pädagogische Geschäftsführerin der Hanseatenkids

Kita-Plätze seien ausgebaut, das Personal aber nicht im ausreichenden Ausmaß ausgebildet worden. "Und die Lage wird sich verschärfen, da die Baby-Boomer in Rente gehen. Das zieht noch mal ein enormes Loch mit sich", so Weber-Witt. Dass das Problem kurzfristig lösbar sei, daran glauben die wenigsten.

Dass wir die Lage kurzfristig in den Griff bekommen, ist unwahrscheinlich.

Iris von Engeln, LAG-Geschäftsführerin

LAG: Ausbildung und Beruf muss attraktiver werden

Mit Quereinsteigern oder Fachkräften aus dem Ausland ist unter anderem versucht worden, dies aufzufangen. Für die Geschäftsführerin der Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege Bremen (LAG) müssten aber ebenso die Ausbildung und der Beruf attraktiver werden – auch finanziell. "Die Wurzeln unserer gesellschaftlichen Zukunft liegen in den Kitas. Es sollte uns wert sein, dass wir die Attraktivität steigern."

Qualifikationen des Kita-Personals im Land Bremen 2020

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Das Bremer Bildungsressort verweist dabei auf den Ausbau von finanziellen Anreizen sowie das sogenannte Aufstiegs-Bafög – eine öffentliche Geldleistung für Menschen in der Fortbildung, die teils als Zuschuss, teils als Darlehen gewährt wird – sowie auf die praxisintegrierten Ausbildungen an den Fachhochschulen.

Wir wollen zusätzliche Fachkräfte ausbilden und weitere Beschäftigte wie zum Beispiel Tagespflegepersonen in die Kita holen und berufsbegleitend qualifizieren.

Bremer Bildungsressort

Abschlussprüfungen für die staatliche Anerkennung von Erziehern im Land Bremen

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In Neeles Kita hat sich die Lage offenbar wieder entspannt, deswegen haben wir uns entschieden, den Namen nicht zu nennen. Der Träger hat aber die Ausfälle bestätigt. Inzwischen habe das Kind jedenfalls die Einrichtung gewechselt, da sie bald 3 Jahre alt wird, erzählt Sara. Neele überlegt kurz, welche Finger sie am Besten auswählen soll, um die Zahl zu zeigen. Auch bei der Familie hat sich die Lage etwas entspannt. Doch eine gewisse Unsicherheit bleibt.

*Namen von der Redaktion geändert.

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Autorin

  • Serena Bilanceri
    Serena Bilanceri Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 18. Oktober 2022, 19:30 Uhr