Psst! In diesem Raum in Oldenburg können Sie ihr Herz schlagen hören

Ein Blick in das renovierte Akustiklabor der Universität Oldenburg
Um die Größenverhältnisse zu illustrieren, hat sich Techniker Christoph Scheicht zur Verfügung gestellt.
Bild: Universität Oldenburg | Mohssen Assanimoghaddam

Völlige Stille gibt es eigentlich nie – doch für die Forschung ist sie wichtig. Daher gibt es an der Universität Oldenburg einen der leisesten Räume Deutschlands.

Irgendwas hören wir immer, ob einen Podcast, die Autos vor dem Fenster oder das Radio. Aber von Schall sind wir auch dann noch umgeben, wenn das Radio aus ist, wenn keiner was sagt, wenn die Leute mit ihren Laubbläsern Feierabend machen, wenn wir uns in die Natur zurückziehen, wenn das Meer nicht rauscht und der Wind nicht heult. Ja, sogar wenn wir uns die Earbuds mit Geräuschunterdrückung in die Ohren stöpselt. Völlige Stille – gibt es die überhaupt?

Die Antwort ist: Ja! Allerdings muss man schon einigen Aufwand treiben, um wirklich jedes Geräusch zu eliminieren. Die Universität Oldenburg hat das getan. Seit fast 40 Jahren beherbergt sie ein Akustiklabor, in dem das umgesetzt ist. Dieser Ort ist einer der leisesten in ganz Deutschland.

2.500 absorbierende Keile

Die Wände und die Decke sind dicht an dicht mit langen, schmalen Keilen bestückt, die im rechten Winkel von den Flächen abstehen, also in den Raum hineinragen. Jeder dieser sogenannten Absorber-Keile ist eineinhalb Meter lang mit einem leicht schimmernden Stoff bezogen.

"Man braucht diesen speziellen Stoff, der die Keile mechanisch zusammenhält, um trotz der absorbierenden Eigenschaften einen großen Frequenzbereich zu ermöglichen", erklärt Mitarbeiter Stefan Töpken. Über 2.500 Keile könnten in diesem Raum sein, schätzt er. Die genaue Zahl könne er so nicht genau sagen, weil es auch halbe Keile an den Ecken und an der Tür gibt. Sie sind überall. An den Wänden, an der Decke und auch am Boden.

Ja, auch am Boden. Wenn man den Raum betritt, fühlt es sich deshalb ein bisschen nach Trampolin an: Man steht gar nicht auf dem Boden, sondern auf den senkrecht stehenden Absorber-Keilen des Bodens, erklärt der Leiter der Akustik-Abteilung, Steven van de Par.

Den eigenen Herzschlag hören

Eins fällt direkt auf: Man hört zwar den Schall, zum Beispiel der Stimme, die mit uns spricht, aber keinerlei Reflektion. Das Gefühl ist sehr ungewöhnlich und ein wenig bedrückend – als wäre man plötzlich schwerhörig. Weil es im Raum so still ist, hört man seinen eigenen Körper. Also die eigene Verdauung, den Herzschlag, relativ laut irgendwann, sodass man fast sein Blut in den Adern rauschen hört.

Unwillkürlich bleibt man für ein Gespräch nahe beieinanderstehen, denn jeder weitere Schritt voneinander weg macht das Zuhören schwieriger. Der Raum trägt die Stimmen nicht, weil überhaupt keine reflektierenden Flächen da sind. Und wenn Steven van de Par das vorführt, dann wird seine Stimme so leise, dass das Reportermikrofon automatisch den Pegel hochdreht und das eigene Rauschen mit aufnimmt.

Kein Sound rein, kein Sound raus

Man hat beim Bau des Physik-Traktes der Uni vor 40 Jahren ein eigenes Nebengebäude geschaffen, in dem der Raum praktisch frei aufgestellt ist – alle seine Betonwände mit Abstand zur Außenhülle. Man hat diesen ganzen Betonwürfel auf unzähligen Spiralfedern gelagert, so dass auch über den Erdboden kein Außenschall ins Innere dringt. Die Absorber-Keile wurden kürzlich für teures Geld erneuert.

Und wozu der ganze Aufwand? Es gibt sonst kaum eine Möglichkeit, Schall verlässlich zu messen, erklärt Van de Par. Vom elektroakustischen Gerät bis zum Sound-Design einer Küchenmaschine: Ein ganz normaler Raum würde mit seinem unvermeidlichen Nachhall jede Messung stören.

Das Akustiklabor ist in der Wissenschaft seit Jahrzehnten eine stark nachgefragte Einrichtung. Viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schätzen diesen seltenen Raum. Die Uni Oldenburg hängt das nicht an die große Glocke. Sie würde hier drinnen ohenhin ganz leise klingen ...

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Autor/Autorin

  • Autor/in
    Gerhard Snitjer

Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, 21. November 2022, 10:38 Uhr