"Überwunden“: Tattoos für den Neustart selbstverletzender Menschen

Wie diese Bremer Ausstellung selbstverletztendes Verhalten beleuchtet

Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Ob in Form von Surfbrettern oder von Blumen: Tattoos können nicht nur schön sein. Sie können auch Narben überdecken. Wozu? Das erfahren Bremer in der Ausstellung "Überwunden".

Meist beginnt es in der Pubertät. So auch bei Franzi. Im Alter von zwölf bis 15 Jahren verletzt sie sich immer wieder selbst. Auslöser dafür war die Belästigung durch ein Familienmitglied, sagt sie dem Besucher per Video und über eine Schautafel in der Ausstellung "Überwunden. Tatttoos auf Narben der Vergangenheit". Die Schau ist noch bis zum 14. Juli im Krankenhaus-Museum am Klinikum Bremen-Ost zu sehen.

Franzi ist eine von acht Betroffenen, die sich über Jahre selbst verletzt haben und die schließlich einem Aufruf des Tätowierers Daniel Bluebird gefolgt sind: Bluebird hat ihnen im Jahr 2018 angeboten, ein schmuckes Bild auf ihre Narben zu tätowieren und ihre Geschichte in Form eines kurzen Interviews in einem Buch festzuhalten, in "Überwunden". "Wir wollen das Thema Selbstverletzung greifbar machen und es enttabuisieren", so Bluebird zur Motivation hinter dem Buch. Es ist die Grundlage der gleichnamigen Ausstellung zu selbstverletzendem Verhalten, die nun im Krankenhaus-Museum zu sehen ist.

Geschichten in Wort, Ton und Bild

Mann guckt vor Plakat mit Aufschrift "Don
Hat das Buch "Überwunden" geschrieben, das als Grundlage der Ausstellung im Krankenhaus-Museum dient: Michael. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Das Herzstück der Ausstellung bilden Wandtafeln mit prägnanten Fotos (Kei-Hendrik Schroeder) und Videos (Christian Verch) rund um Bluebirds Tattoos. Durch sie erfährt der Betrachter auf einfache Weise die komplexe Geschichte der Protagonistinnen und Protagonisten dieser Schau. Über Hintergründe zu selbstverletzendem Verhalten informiert das Museum mit zusätzlichen Stellwänden in ebenfalls bündiger Art und Weise.

Da erfährt der Betrachter unter der Überschrift "Don’t Call It "Ritzen"!", dass sich die meisten Menschen, etwa mit Schnittwunden, selbst verletzen, ohne sich töten zu wollen. Oder, dass Mobbing, psychische Erkrankungen und traumatische Erlebnisse besondere Risikofaktoren für Selbstverletzungen darstellen. Auf einer anderen Tafel lässt sich nachvollziehen, inwiefern selbstverletzendes Verhalten vorrangig ein "Frauenthema" ist – oder eben doch nicht.

"Man wird oft komisch angesprochen"

Plakat, das Tattoos eines Mannes samt Entstehung zeigt
Michael hat Kitesurf-Motive aus seinen Narben machen lassen. Denn das Kitesurfen ist sein großes Hobby. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Denn es gibt auch Männer, die sich selbst verletzen, wenn auch deutlich weniger. Einer von ihnen war Michael, zugleich einer der Hauptinitiatoren des Buchs "Überwunden" wie der gleichnamigen Ausstellung im Krankenhaus-Museum. Michael hat sich nach eigenen Angaben lange selbst viel zu sehr unter Druck gesetzt – schließlich bis aufs Blut. Noch heute zeugen davon tiefe Narben auf seinem linken Oberarm.

Doch so tief sie auch sind – man muss zweimal hinsehen, um sie zu entdecken. Denn Tätowierer Daniel Bluebird hat die Narben mit so genannten Cover-up-Tätowierungen überdeckt, beziehungsweise zu Kite-Surf-Motiven umgewandelt. "Kitesurfen ist mein ganz großes Hobby", sagt Michael dazu. Mit den Bildern rund ums Surfen habe er zugleich etwas Schönes für sich gewonnen und seine Narben bedeckt: "Man wird schon sehr oft komisch darauf angesprochen", sagt er dazu. So verbreitet Selbstverletzungen aus seien, handele es sich doch immer noch um ein Tabuthema.

Tattoos für den Neuanfang

Plakat mit Bildern von Tattoos einer Frau
Wie bei Michael und hier bei Jessica sind alle Ausstellungstafeln in "Überwunden" aufgebaut: Unter einem Interview zur Leidensgeschichte folgt die Bildergeschichte der Tattoos. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Genau an dieser Stelle setzt "Überwunden" an: "Die Ausstellung zeigt einen Ausweg auf. Sie kann anderen Betroffenen helfen", ist sich Michael sicher. Er betont, dass sich heute keiner der acht Protagonistinnen und Protagonisten, die hier ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit teilen, noch selbst verletze. Der konstruktive Umgang mit dem eigenen Leidensweg habe ihnen anscheinend geholfen, so Michael. Die Tattoos stünden für einen Neuanfang.

Und Hilfe benötigen Menschen, die sich selbst verletzen, unbedingt. So betont auch das Krankenhausmuseum auf einer weiteren Schautafel, dass alle in "Überwunden" portraitierten Personen professionelle Unterstützung hatten, um ihr selbstverletzendes Verhalten zu überwinden. Die einen mussten in Kliniken behandelt werden, andere machten Verhaltenstherapien oder solche zur Traumabewältigung. "Es gibt keinen Königsweg", teilt das Krankenhausmuseum dazu mit, "totschweigen sollte man das Thema jedoch nicht."

Das Krankenhaus-Museum begleitet die Sonderausstellung "Überwunden. Tattoos auf Narben der Vergangenheit" mit einem umfassenden Begleitprogramm aus Lesungen, Führungen und Diskussionsrunden. Weitere Infos dazu stehen auf dieser Website.

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Bild: Radio Bremen

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Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 6. April 2024, 19.30 Uhr