Darum sind BSAG-Fahrer so unzufrieden mit Bremens neuen Straßenbahnen

Das "Nordlicht" der BSAG in Bremen fährt durch die Bremer Innenstadt
Eine Straßenbahn vom Typ Nordlicht fährt am Bremer Rathaus vorbei. Bild: Bremer Straßenbahn AG

Die Bahnen mit dem Namen "Nordlicht" sorgen bei der BSAG für Ärger. Nicht erst, seit 15 davon kurzzeitig aus dem Verkehr gezogen wurden. Fahrer klagen über Macken der Bahn.

Merlin S.* kann die Straßenbahnen der Bremer "Nordlicht"-Flotte nicht leiden. "Kaum einer von uns will mit den Dingern fahren", sagt der Fahrer der Bremer Straßenbahn AG sogar. Von Anfang an sei das so gewesen, nicht erst seit voriger Woche, als die BSAG aufgrund einer Warnung des Herstellers 15 ihrer Nordlichter für mehrere Tage wegen defekter Kabelverbindungen durch Busse ersetzen musste.

Ein Vorfall, über den sich Merlin S. nicht sonderlich gewundert hat. "Mit dem Nordlicht ist ständig etwas nicht in Ordnung. Und dabei sind diese Bahnen noch richtig neu", sagt er dazu. Doch die Fahrzeuge seien überfrachtet mit Hebeln, Schaltern, Anzeigen und Instrumenten. Dadurch seien sie unübersichtlich, umständlich in der Bedienung und deutlich störungsanfälliger als ältere Straßenbahn-Modelle der BSAG.

Neueste Straßenbahn-Flotte der BSAG

Tatsächlich reißt die Kritik an der neuesten Straßenbahn-Flotte der BSAG seit Monaten nicht ab. Dabei sind die Kritikpunkte am Nordlicht unterschiedlicher Natur, ein Zusammenhang besteht häufig nicht. Mal klagen Fahrgäste über unbequeme Sitze. Dann wieder monieren Anwohner, dass die Nordlichter zu laut seien. Insgesamt 84 der Fahrzeuge, so BSAG-Sprecher Andreas Holling, habe die BSAG bestellt, gut 70 seien schon da. Seit Winter 2020/2021 kommt das Nordlicht im Bremer Linienbetrieb zum Einsatz. Es hat die weltweit erste Generation von Niederflur-Straßenbahnen abgelöst, die ab 1990 in Bremen zum Einsatz gekommen war.**

Beim Nordlicht handelt sich um ein speziell auf das Bremer Straßenbahnnetz zugeschnittenes Fahrzeug der Avenio-Baureihe von Siemens. Wegen der zeitweisen Ausfälle von 15 Fahrzeugen entschuldige sich Siemens Mobility bei der BSAG und den Fahrgästen, teilt Eva Haupenthal, Sprecherin der Siemens Mobility GmbH, mit. Grundsätzlich aber sei die Avenio-Baureihe "ausgereift und weltweit seit Jahren zuverlässig im Einsatz".

"Wenig schmeichelhafte Spitznamen"

Doch genau von dieser Zuverlässigkeit des Fahrzeugs sind Merlin S. und andere Beschäftigte der BSAG nicht überzeugt. Das belegt auch ein Artikel in der BSAG-internen Zeitschrift "auftour" aus dem September 2022, der buten un binnen vorliegt. Darin nimmt sich die Autorin der Macken und Mängel des Nordlichts an – so, wie Fahrerinnen und Fahrer diese Schwachstellen beschreiben. Gleich im ersten Absatz des Artikels schreibt sie: "Die Hebebühne, die Monitore, der Sonnenschutz und ständig dieses Piepen… Einige Mängel frustrieren die Mitarbeitenden im Fahrdienst so sehr, dass das "Nordlicht" nicht mehr so genannt wird, sondern wenig schmeichelhafte Spitznamen bekommen hat."

Wir nennen das Nordlicht auch Standlicht und Schrottlicht.

Straßenbahnfahrer Merlin S.

Im weiteren Verlauf des Artikels kommen diverse zusätzliche Schwachstellen der Straßenbahn zur Sprache: von einer zu kleinen und dadurch auf Dauer schmerzhafen Kugel am Sollwertgeber, über Taster für die Warnglocke, die man als Fahrer leicht aus Versehen betätige, bis hin zu Problemen mit der Sprechstelle für Rollstuhlfahrer, die so angebracht und aufgebaut sei, dass sie immer wieder von verschiedenen Fahrgästen versehentlich betätigt werde.

Schwere Straßenbahnen auf neuen Sohlen

BSAG-Sprecher Andreas Holling bestreitet nicht, dass viele Fahrerinnen und Fahrer der BSAG nur ungern mit dem Nordlicht fahren. Doch gelte das auch für andere Straßenbahnen. Die Fahrerinnen und Fahrer hätten unterschiedliche Vorlieben.** Holling legt Wert auf die Feststellung: "Wir nehmen die Rückmeldungen der Fahrenden sehr ernst." Siemens und die BSAG hätten den Großteil der vorigen September in "auftour" beschriebenen Macken des Fahrzeugs mittlerweile behoben. Auch andere Schwächen der Nordlichter habe die BSAG ausgemerzt. So hätten die Räder der Nordlichter inzwischen ein anderes Profil als bei der Auslieferung.

Der Hintergrund: Fahrgäste wie Fahrpersonal hatten bemängelt, dass die mit 47,9 Tonnen Gewicht ungewöhnlich schweren Bahnen laut und unruhig fahren würden und schwere Erschütterungen verursachten. Manch’ Hausbesitzer machte sie gar für Risse in den Hauswänden verantwortlich, allerdings ohne beweisen zu können, dass die Schäden wirklich von den Straßenbahnen verursacht worden waren. "Jetzt, mit dem neuen Profil fahren die Bahnen ruhiger und bremsen auch schneller", sagt Holling. Dennoch werde die BSAG im kommenden Herbst voraussichtlich noch ein weiteres Profil für die Nordlichter testen.

Schwachpunkt Nummer eins: Die Hebebühne

Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein
Fordert die BSAG auf, Alternative Zugangssysteme zu Hebebühnen einzurichten: Arne Frankenstein. Bild: Tristan Vankann/fotoetage

Ebenfalls angenommen hat sich die BSAG der empfindlichen Hebebühnen der Nordlichter. Sie standen aufgrund ihrer Störungsanfälligkeit auf Platz eins der Mängelliste der Straßenbahnfahrer. "Die vergangenen Probleme mit den Hubliften waren auf mechanische Qualitätsprobleme des Hublift-Lieferanten und der Software zurückzuführen. Die Lifte wurden und werden vom Lieferanten überarbeitet", teilt Holling dazu mit. Grundsätzlich lasse die BSAG Bahnen mit bekannten Mängeln an den Hubliften zunächst in Stand setzen, ehe sie diese wieder für den Regelbetrieb einplane. Allerdings gebe es Ausnahmen, räumt Holling ein: "Droht zum Beispiel nach einem Unfall im Netz der Ausfall einer Bahn, setzen wir kurzfristig als Ersatz auch Fahrzeuge trotz defektem Lift ein."

Bremens Landesbehindertenbeauftragter Arne Frankenstein kann diesen Ansatz der BSAG zwar nachvollziehen. Dennoch erwartet er von dem Unternehmen mehr Unterstützung für Menschen, die auf barrierefreie Zugänge zur Straßenbahn angewiesen sind. Auch findet er bedenklich, dass noch immer regelmäßig einige Beschwerden über defekte Hebebühnen bei ihm einträfen, obwohl die BSAG die Hublifte hat überarbeiten lassen.

Die BSAG weiß um die Anfälligkeit der Hebebühnen auch ihrer neuen Bahnen. Sie müsste alternative Zugangssystem prüfen.

Arne Frankenstein, Bremens Landesbehintertenbeauftragter

Als Beispiel nennt Frankenstein Klapprampen, die zusätzlich zu den Hubliften in den Straßenbahnen verfügbar sein müssten, damit man sie im Bedarfsfall einsetzen kann. Darüber hinaus kritisiert er einen Mangel an Transparenz bei der Bremer Straßenbahn: "Wenn Bahnen ohne funktionsfähige Hebebühne unterwegs sind, dann müsste das die App anzeigen." Noch besser wäre, so der Landesbehindertenbeauftragte, wenn es entsprechende Hinweise auch an den Haltestellen gäbe.

Gröpelingen – die Haltestelle der Zukunft?

BSAG-Sprecher Jens-Christian Meyer räumt ein, dass sein Unternehmen Fahrzeuge mit defekter Hebebühne zuverlässig ankündigen sollte. Grundsätzliche würden sie in der App ausgewiesen, doch das klappe noch nicht in jedem Fall, so Meyer. "Aber das ist uns auch bewusst, daran arbeiten wir", sagt er dazu. Ebenfalls arbeite die BSAG daran, Störungen der Hublifte, so weit es geht, zu minimieren. "Klar ist aber leider auch: Die Konstruktion eines Hublifts ist kompliziert und wird immer ein bisschen anfällig bleiben", räumt er ein. Das gelte für die Lifte der neuen Straßenbahn-Generation leider genauso wie für die älteren Modelle. Klapprampen stellten aber nur bedingt eine Alternative zu den Hubliften dar, weil sie nicht barrierefrei sind: "Es bleibt ein Gefälle zu überwinden", so Meyer. Daher lehnten auch Schwerbehindertenvertreter Klapprampen ab, so lange sich die Haltestellen nicht auf der gleichen Höhe befänden wie die Straßenbahnen. Die BSAG stimme sich bei der Ausstattung ihrer Busse und Bahnen mit den Schwerbehindertenverbänden ab.**

Auf lange Sicht, so Meyer, hoffe die BSAG auf mehr Haltestellen wie in Gröpelingen, wo die Bahn auf gleicher Höhe mit den Bordsteinen und nur wenige Zentimeter von denselben entfernt zum Stehen kommt, sodass dort Rollstuhlfahrer auch ohne Rampe in die Bahn ein- und aussteigen können: "Das wird das Muster für die künftigen Haltestellen-Baustellen sein", sagt Meyer. Allerdings sei der Umbau der Haltestellen sehr teuer. Ehe alle Haltestellen nach dem Vorbild Gröpelingens umgestaltet sind, würden sicher noch Jahrzehnte ins Land gehen.

Nordlichter haben noch 30 Jahre vor sich

Ob dann noch Nordlichter durch Bremen fahren werden, ist zumindest fraglich. Dabei plant die BSAG, diese Fahrzeuge ebenso lange im Linienbetrieb einzusetzen wie jene Straßenbahnen, die die Nordlichter in den vergangenen Jahren nach und nach abgelöst haben: etwa 30 Jahre. Bis zu 1,8 Millionen Kilometer haben die alten Bahnen in dieser Zeit zurückgelegt. Die Nordlichter könnten diesen Wert am Ende womöglich übertreffen, glaubt BSAG-Sprecher Andreas Holling. Denn das Streckennetz der BSAG sei gewachsen und wachse weiter, ebenso die Entfernungen, die Bremens Straßenbahnen Tag für Tag zurücklegen. Auch solche, die in der Kritik stehen.

*Name von der Redaktion geändert

**Dieser Absatz wurde am 11. Juli von der Redaktion präzisiert.

"Scheitert die Verkehrswende, Herr Harder?"

Bild: Radio Bremen | Christof Kette
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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Rundschau am Mittag, 28. Juni 2023, 12 Uhr