Fragen & Antworten

Wie Extremwetter uns bei der Wahl des Urlaubsziels beeinflussen

Hitze und Überschwemmungen: Müssen wir zukünftig anders verreisen?

Bild: dpa | Associated Press/ Lefteris Damianidis

Brände, Überschwemmungen, Erdbeben – viele Urlaubsregionen wurden in diesem Jahr verwüstet. Wie das unser Reiseverhalten verändert, erklären zwei Bremer Tourismusforscher.

Evakuierungen auf der beliebten Urlaubsinsel Rhodos, Brände in vielen Mittelmeer-Anrainerländern, heftige Überschwemmungen in Norditalien: Die Folgen des Klimawandels sind gerade in diesem Jahr in den bei Deutschen beliebten Urlaubsorten nicht zu übersehen. Schwören wir nun dem warmen Süden ab und reisen bald nur noch in den Norden? Was uns überhaupt zum Reisen treibt und welche Faktoren eine Rolle für das nachhaltige Reisen spielen, erklären wir hier.

Warum reisen wir überhaupt?

Was heute für Menschen aus den wohlhabenden Industrieländern wie Deutschland Spaß und Abwechslung vom Alltag bedeutet, war in früheren Zeiten eine Notwendigkeit, um das eigene Überleben zu sichern, um Nahrung zu beschaffen. "Der Mensch reist, seit es ihn gibt. In frühen Zeiten mussten wir reisen, um klimatischen Widrigkeiten zu entkommen", erklärt Rupert Holzapfel, Tourismusforscher an der Hochschule Bremen.

"Was uns heute zum Reisen bewegt ist Neugierde, aber auch das Bedürfnis nach Erholung, und der Wunsch, uns selbst zu verwirklichen." Ein Kontrastprogramm zum Alltag ist dabei der ausschlaggebende Punkt, sagt Rainer Hartmann, Leiter des Studiengangs nachhaltige Freizeit- und Tourismusentwicklung an der Hochschule Bremen. "Die meisten Menschen reisen, um Abstand vom Alltag zu bekommen. Eher aktive Motive wie Neugier auf andere Länder und Kulturen sind eher nachrangig."

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Was beeinflusst noch, wohin wir reisen wollen?

Der Wunsch, zu reisen und das Interesse an bestimmten Reisezielen erwächst dabei aber nicht nur aus uns selbst, sondern wird auch von außen stark beeinflusst, haben die Forscher herausgefunden. "Die Neugier auf andere Kulturen, Landschaften, Sitten und Gebräuche, Landesküchen wird natürlich auch durch Marketing angefacht. Und auch die peer pressure (Gruppenzwang, Anm. d. Red.) spielt eine wichtige Rolle: Da geht es dann zum Englischlernen statt nach England nach Neuseeland, weil das angesagt ist", sagt Holzapfel.

Eine noch größere Rolle als die Neugierde scheint die Macht der Gewohnheit bei des Auswahl des Reiseziels zu spielen. So ist die Mittelmeerregion bei deutschen Urlaubern ungebrochen beliebt: "Das beliebteste Auslandsreiseziel der Deutschen ist mit Abstand Spanien. Dahinter kommt Italien, gefolgt von der Türkei", sagt Tourismusforscher Rainer Hartmann.

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Dieses Jahr war die beliebte Mittelmeerregion von großer Hitze und Bränden geplagt. Machen wir bald alle nur noch Urlaub im Norden?

Während Reiseziele in Skandinavien in den vergangenen Jahren beliebter geworden sind, scheint sich dieser Trend aber nicht für die breite Masse der Urlauber auszuwirken. Auch die Tatsache, dass es in den gewohnten Urlaubsregionen am Mittelmeer nun beispielsweise durch Feuer gefährlich ist, hat wenig Einfluss auf die Auswahl des Reiseziels, haben die Tourismusforscher herausgefunden. "Die jüngsten Umfragen aus diesem Jahr haben ergeben, dass fast zwei Drittel der Deutschen Angst vor Wetterextremen haben, aber nur etwa ein Drittel ist bereit, in Zukunft seltener oder gar nicht mehr ans Mittelmeer zu reisen. 37 Prozent hatten noch gar nicht darüber nachgedacht, ihr Reiseverhalten überhaupt zu ändern", sagt Holzapfel.

Wie lässt sich erklären, dass Menschen in Katastrophengebiete reisen?

Diesen Widerspruch nennt Tourismusforscher Hartmann "Egoismusbarriere": Die Leute wissen, dass etwas nicht richtig ist, machen es aber trotzdem. Für viele Menschen ist es wichtig, ihren gewohnten Jahresurlaub und das zu machen, was sie sich vorgenommen haben. Wenn man bedenkt, dass ein Drittel der Deutschen, die eine Urlaubsreise über fünf Tage unternehmen, ans Mittelmeer reist, erklärt das vielleicht, warum viele trotz der Waldbrände dorthin fliegen."

Ein anderer Erklärungsansatz ist der Reiz, den der sogenannte Katastrophentourismus oder "dark tourism" auf manche Urlauber ausübt. Unter "dark tourism" versteht man Reisen an Orte, an denen sich in der Vergangenheit große Gewalt und Tod, Naturkatastrophen oder verheerende Unfälle ereignet haben. Reisen in das Gebiet rund um Tschernobyl rechnen Tourismusforscher beispielsweise dazu, aber auch den Besuch ehemaliger Konzentrationslager.

Wie wichtig ist den Deutschen Nachhaltigkeit beim Reisen?

Auch hier fallen Idealvorstellung und tatsächliches Handeln auseinander: "Bei der Reiseanalyse, einer jährlichen Umfrage der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, haben in den letzten Jahren 50 bis 65 Prozent der Befragten angegeben, dass Nachhaltigkeit ihnen beim Reisen wichtig ist. Das hatte aber kaum Einfluss auf das tatsächliche Urlaubsverhalten", sagt Hartmann. Das heißt: Nachhaltigkeit kann einem als Wert wichtig sein, muss aber nicht zwangsläufig das eigene Handeln ändern. Rupert Holzapfel zeigt einen weiteren Widerspruch auf: "Wir wissen schon lange, dass wir mit unserer Lebensweise das Klima belasten. Aber das hat keiner glauben wollen."

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Für alle, die durch Extremwetter zum Umdenken gekommen sind: Wie kann nachhaltiges Reisen aussehen?

Zunächst einmal sollte man eine Bestandsaufnahme des eigenen Reiseverhaltens machen, rät Tourismusforscher Rainer Hartmann: "Jeder sollte für sich überprüfen: 'Wie reise ich? Was ist angemessen?' Mehrmals im Jahr für ein paar Tage eine Mittelstrecke zu fliegen ist da ein Problem. Denn die Verkehrsmittel spielen bei der ökologischen Nachhaltigkeit die wichtigste Rolle. Man sollte nicht allzu oft und für nur kurze Aufenthalte fliegen, und sich fragen, welche Ziele man auch mit dem Zug oder mit dem ÖPNV erreichen kann. Am nachhaltigsten sind natürlich Radtouren oder Wanderurlaube." Als zweiten Schritt kann man sich überlegen, welche nachhaltigeren Arten der Unterkunft es gibt. "Übernachtungen sind der zweitwichtigste Faktor bei der Frage der ökologischen Nachhaltigkeit. Heizen und Kühlen, große Poolanlagen, das bedeutet viele Emissionen und einen hohen Wasserverbrauch", sagt Hartmann.

Wer auf Pools, Buffets und all-inclusive verzichtet, kann für die Umwelt einen deutlichen Unterschied machen. "Konsumorientierte Menschen verbrauchen im Urlaub im Vergleich zu Zuhause ein Vielfaches an Wasser – sie halten sich in Pools auf, duschen mehrmals am Tag und lassen Handtücher oder Bettwäsche täglich waschen. Würde man so sparsam leben wie zu Hause, wäre das schon ein großer Unterschied."

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Wie reisen wir in Zukunft?

"Eine Prognose ist hier ganz schwierig. Wir wissen aber, dass es Destinationen gibt, die in Zukunft nicht mehr bereisbar sein werden", sagt Rupert Holzapfel. "Man sieht es bereits jetzt zum Beispiel an einigen Skiressorts in den Alpen, dort gibt es keinen Schnee mehr." Im Inland zu reisen, könne schon einen Unterschied machen, an die mecklenburgische Seenplatte etwa oder in den bayrischen Wald. Die Landschaften sind durchaus mit viel weitere entfernt liegenden Trendreisezielen vergleichbar – aber auf viel kürzerem und umweltschonenderem Wege zu erreichen.

Und möglicherweise zeigt sich bereits eine kleine Wende. "Nach einer Studie lagen die Übernachtungszahlen in Deutschland im Mai schon sechs Prozent über dem Vergleichszeitraum vor der Corona-Pandemie. Man kann vermuten, dass mehr Menschen innerhalb Deutschlands verreisen", berichtet Holzapfel.

Autorin

  • Patel Verena
    Verena Patel Redakteurin und Autorin

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 8. Oktober 2023, 19:30 Uhr