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Ladensterben: Was Bremer Stadtteile von Gröpelingen lernen können

Schriftzug "Laden zu vermieten" in einem Schaufenster

Ladensterben: Was Bremer Stadtteile von Gröpelingen lernen können

Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Ob Florist, Fleischerei oder Schuhgeschäft: Viele Läden in den Stadtteilen verschwinden. Ein Bremer Forscher erklärt, woran es liegt – und was als nächstes geschehen könnte.

Kürzlich hat ein traditionsreiches Fischgeschäft in Bremen-Lesum dichtgemacht, berichtet Burglesums Ortsamtsleiter Florian Boehlke. In Hemelingen beobachtet der Beirat unterdessen in gleich drei Einkaufsstraßen, wie die Leerstände zunehmen. Im Stadtteil Obervieland scheint die Entwicklung noch schneller vonstattenzugehen: Dort haben zuletzt binnen weniger Jahre ein Getränkemarkt und Kiosk, drei Gaststätten, ein Postamt, eine Postverteilzentrale, zwei Sparkassenfilialen sowie zwei Schlachtereien ersatzlos dichtgemacht, wie das Ortsamt Obervieland mitteilt.

Die Liste ließe sich lang fortführen. Nicht alle, aber viele Stadtteile in Bremen beklagen den schleichenden Verlust von Gaststätten, kleinen Läden und Lebensmittelgeschäften. Doch was steckt dahinter? buten un binnen hat mit dem Wirtschaftsgeographen Ivo Mossig von der Uni Bremen über die Gründe der Entwicklung gesprochen und blickt auch auf Stadtteile, in denen es besser zu laufen scheint.

Professor Ivo Mossig von der Universität Bremen
Der Wirtschaftsgeograph Ivo Mossig plädiert dafür, mehr Menschen mit Migrationshintergrund und junge Leute in die Stadtentwicklung einzubeziehen. Bild: Uni Bremen | Matej Meza

Weshalb schrumpft das Angebot an Läden und Geschäften in den meisten Stadtteilen?

Der Einzelhandel verändere sich schon seit langer Zeit nicht unbedingt zugunsten eines breiten Angebots vor Ort, sagt Ivo Mossig und fügt hinzu: "Die Triebfeder ist der Wettbewerb". Der Wissenschaftler verweist auf die jüngere Geschichte des Handels. Habe man früher einem Verkäufer im Laden gesagt, was man haben will, so hat dieser die gewünschten Produkte herausgesucht und dann kassiert.

Ab den 50er-Jahren aber hätten Selbstbedienungsläden dieses Konzept zunehmend abgelöst. Später nahmen Discounter mit eingeschränktem, dafür preisgünstigem Sortiment den traditionellen Einzelhandelsgeschäften immer mehr Marktanteile ab. Im Non-Food-Bereich waren einst Kaufhäuser die dominante Vertriebsform – und wurden zuletzt mehr und mehr durch Fachmärkte und Einkaufszentren abgelöst wurden.

Jetzt, so Mossig, sei es der Online-Handel, der zunehmend Marktanteile gewinnt und sowohl den Innenstädten als auch den verbliebenen Geschäften in den Stadtteilen das Leben schwerer mache. Kleine Einzelhändler hätten gegenüber dem Online-Handel Nachteile. Zum einen, weil sie schon aus Platzgründen kein vergleichbar vielfältiges Angebot vorhalten könnten. Zum anderen wegen höherer Kosten.

Das teure Ladengeschäft mit seinem beratenden Fachverkäufer ersetzt man durch die billige Lagerhalle am Stadtrand und den Paketzusteller. Die Beratung übernehmen die Vergleichsportale mit ihren Bewertungssystemen.

Wirtschaftsgeograph Ivo Mossig
Öde Einkaufsstraße mit marodem Eckhaus und einsamer Passantin im Vordergrund
Die Hemelinger Bahnhofstraße, einst eine belebte Einkaufsstraße, ist heute von Leerständen geprägt. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Aber die Nachfrage nach einem breiten Angebot in den Stadtteilen gibt es doch weiterhin. Müsste sich diese Nachfrage nicht zum Wohle kleiner Geschäfte auswirken?

Tatsächlich hat sich die Nachfrage aus Mossigs Sicht in den letzten Jahrzehnten eher in einer Weise verändert, die kleine Läden vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Hätten früher häufig allein Männer Geld verdient, während sich Frauen vornehmlich um den Haushalt kümmerten, seien nun oftmals beide voll erwerbstätig – und hätten daher auch beide zu den traditionellen Öffnungszeiten von 8 bis 18 Uhr gar keine Zeit, um einzukaufen. "Es ist einfacher für sie, abends nach der Arbeit vom Sofa aus Bekleidung, Bücher oder Schuhe zu kaufen", erklärt Mossig beispielhaft.

Doch auch im Angebot des stationären Handels drücke sich aus, dass es der erwerbstätigen Bevölkerung an Zeit fehlt, um im alten Stil mit fachkundiger Beratung einzukaufen. So prägten etwa in den Lebensmittelgeschäften die sogenannten Convenience-Angebote das Sortiment, also Fertiggerichte und vorgefertigt zubereitete Bestandteile wie Pizzateig, Aufbackbrötchen oder Backmischungen.

Belebte Einkaufsstraße mit Straßenbahnhaltestelle, davor Passanten
Der Ostertorsteinweg trumpft mit vielen individuellen Geschäften auf, die auch eine große Laufkundschaft anziehen. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Es gibt aber auch Stadtteile, in denen weiterhin viele kleine, individuelle Geschäfte das Bild bestimmen – so zum Beispiel im Bremer Steintor- und Ostertor-Viertel. Wieso funktioniert dort, was anderswo in Bremen nicht klappt?

Anders als in anderen Stadtteilen konzentriere sich im "Viertel" ein ausgedehntes, individualisiertes Angebot, so Mossig: "Werde ich in einer Boutique nicht fündig, gehe ich in die nächste nebenan." Die Vielzahl an Geschäften vergrößere die Anzahl potenzieller Kunden für alle. Gemeinsam zögen die Läden eine große Laufkundschaft an. Das funktioniere aber auch deswegen, weil es im "Viertel" mit seinen vielfältigen gastronomischen und kulturellen Angeboten ohnehin recht große Publikumsströme gebe – auch mit Gästen von außerhalb.

Das Viertel ist ein gutes Beispiel dafür, wie wichtig es ist, dass viele individuelle Läden nebeneinander zusammengenommen ein vielfältiges Angebot bereithalten.

Ivo Mossig

Wie könnte sich der Einzelhandel in den kommenden Jahren entwickeln?

Die spannende Frage für die Zukunft ist aus Mossigs Sicht, inwiefern die globalen Herausforderungen durch den Klimawandel den Handel beeinflussen werden. Der Wunsch nach einem möglichst nachhaltigen Konsum könnte angesichts der Klimakrise an Fahrt aufnehmen. So sei einerseits denkbar, dass die Nachfrage nach regionalen Produkten und der Zuspruch für Bioläden oder Unverpacktläden deutlich steigen werden.

Andererseits bedrohten Krisen wie der Ukraine-Krieg und die daraus resultierende Energiekrise den Wohlstand, trieben Teile der Gesellschaft in die Armut. Dadurch könnten sich viele Menschen dazu gezwungen sehen, vor allem billige Produkte zu kaufen – zulasten des umweltbewussten Einkaufs. "Hier kommen die zunehmenden sozialen Ungleichheiten unmittelbar zum Tragen", so Mossig. 

Ein türkischer Mann verkauft Kirschen am Stand des Selam-Markts in der Lindenhofstraße in Gröpelingen
Der Selam Market in Gröpelingen: Sinnbild eines florierenden, individualisierten Lebensmittel-Einzelhandels. Bild: Gröpelingen Marketing e. V. | Daniela Buchholz

Gibt es auch Ortsteile in Bremen, die gegen den Trend mit einem zunehmend bunten Einzelhandel auftrumpfen können?

Die gibt es. Mossig verweist beispielhaft auf Gröpelingen. Dort gibt es derzeit kaum Leerstände, bestätigt denn auch Cornelia Wiedemeyer, Leiterin des Ortsamts West. "In Gröpelingen herrscht viel Bewegung auch dank vieler Unternehmer mit Migrationshintergrund", sagt sie. Nicht wenige Gaststätten und Geschäfte in Gröpelingen zögen auch Menschen aus anderen Stadtteilen an. Wiedemeyer denkt dabei etwa an ein Geschäft, das sich auf Fleischprodukte spezialisiert hat, die nach dem Koran zulässig sind, sowie auf Brautmodengeschäfte und Schneidereien.

Emre Altinöz, Stadtteilmanager Gröpelingens, sagt: "Gröpelingen mag ein benachteiligter Stadtteil sein. Aber die Vielfalt unseres Einzelhandels ist eine wahre Freude." Insbesondere die Dichte an internationalen Lebensmittelfachgeschäften und an Supermärkten, aber auch an unterschiedlichen Dönerbuden sei sehr hoch. Die Betreiber der Geschäfte stammten ursprünglich aus dem Libanon, aus Syrien, aus Bulgarien sowie häufig aus unterschiedlichen Regionen der Türkei: "In der Türkei und im arabischen Raum machen sich viele Menschen selbstständig. Es ist dort keine Schande, zu scheitern", erklärt Altinöz Hintergründe der Entwicklung.

Jene Kaufleute, die sich in Gröpelingen mit ihren Geschäften selbstständig gemacht hätten, hätten die Läden großteils mit wenig Eigenkapital, aber mit umso größerem Zeitaufwand ins Leben gerufen: "Sie zahlen sich wenig Geld aus und arbeiten teilweise 16 Stunden pro Tag", so Altinöz. Davon profitiere nun der gesamte Stadtteil.

Welche Schlüsse könnte man für die Stadtentwicklung aus dem verbreiteten Ladensterben an vielen Orten und den Lichtblicken an Orten wir Gröpelingen ziehen?

Für Gröpelingenes Stadtteilmanager Emre Altinöz steht fest: "Durchmischung birgt viel Potenzial. Das könnten andere Stadtteile von Gröpelingen lernen."

Tatsächlich findet auch Ivo Mossig, dass die Politik bei der Entwicklung von Stadtteilen viel stärker als bislang die Meinungen von Menschen mit Migrationshintergrund sowie jene von Jugendlichen berücksichtigen müsse. "Was wir älteren Menschen unter einem attraktiven Stadtteil verstehen, muss nichts mit dem zu tun haben, was sich junge Leute dort wünschen." Die jungen Menschen aber seien diejenigen, die sich auf lange Sicht in den Stadtteilen zu Hause fühlen müssten. 

Immer mehr Ladenschließungen in Bremer Stadtteilen

Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Der Morgen, 11. August 2023, 7:40 Uhr