Interview
Kunst verdrängt Werbung: Wie Bremens Hochkantfilmfest Sehnsüchte weckt
Das Hochkantfilmfest überrascht das Bremer Publikum mit kunstvollen Spots statt Werbung. Ostermontag geht’s los. Die Erfinderin des Festivals erklärt, was dahinter steckt.
Sie dauern nur zehn Sekunden, exakt so lange wie Werbespots. Die einen erstrahlen in knalligen Farben, andere wurden schwarzweiß produziert. Ab Ostermontag flimmern für sieben Tage die kunstvollen Stummfilme des 2. Hochkantfilmfests im ständigen Wechsel mit der üblichen Werbung über Monitore im öffentlichen Raum: in der Waterfront ebenso wie im Hauptbahnhof, im Walle Center und in Bremens Bussen und Bahnen.
Ein Film zeigt einen Esel auf einem menschlichen Bett, ein anderer verbindet Bilder aus einem Groschenroman. Einige sind sehr politisch, andere erscheinen vor allem verspielt. Alle widmen sich dem Thema "Sehnsucht". Doch was hat es damit auf sich? Wir haben mit Karin Demuth, der Erfinderin des Hochkantfilmfests, über die Idee dazu und das Konzept dahinter gesprochen.
Frau Demuth, warum zeigen Sie bei Ihrem Hochkantfilmfest ausgerechnet Filme zum Thema "Sehnsucht"? Fürchten Sie nicht, dass das Filmfest auf diese Weise ziemlich schwermütig wird?
Ich habe mir das Format für das Hochkantfilmfest während der Corona-Lockdowns ausgedacht, als das gesellschaftliche Leben heruntergefahren und die Schulen geschlossen waren. Ich saß zuhause und musste mein Kind beschulen. Dabei entwickelte ich eine wahnsinnige Sehnsucht, in die Welt zu reisen, in andere Ateliers zu gehen und zu gucken, was andere Leute hinter ihren verschlossenen Türen so machen. Vor diesem Hintergrund habe ich 2021 dazu aufgerufen, mir zehnsekündige, hochformatige Video-Animationen zuzuschicken.
Dieses Jahr möchte ich die Idee wieder aufgreifen. Werbung, wie sie sonst an den Haltestellen gezeigt wird, ist die Ikonographie der Sehnsucht. Jede Werbung spielt mit den Sehnsüchten der Menschen. Und dadurch, dass ich Werbeflächen miete, verdränge ich gewissermaßen ein bisschen Werbung und ersetze sie durch künstlerische Positionen zu Sehnsucht. Ich finde nicht, dass das schwermütig ist.
Wieso müssen es unbedingt Filme im Hochformat sein? Welche Vorzüge hat dieses Format gegenüber dem altbewährten Querformat?
Ich fange mal mit den Nachteilen an: Das menschliche Sichtfeld ist, weil die Augen nebeneinander und nicht übereinander liegen, weiter als hoch. Das spiegelt sich in jedem Kino mit der querformatigen Leinwand wieder. Wenn man aber in die Stadt geht, so kann man schon seit mehreren Jahren den Trend beobachten, dass die Videos hochformatig sind. Was früher Poster waren, wird durch bewegte Werbung abgelöst. Der Trend zu Hochformaten wird auch von den sozialen Medien aufgegriffen, weil die Menschen ihr Handy in der Regel hochformatig halten, während sie sich etwas anschauen.
Was für Künstlerinnen und Künstler sind das, die Filme bei Ihnen eingereicht haben?
Ich habe auf mehreren internationalen Einreich-Plattformen für das Festival geworben und über Netzwerke versucht, alle Kontinente zu erreichen. Die Menschen, die dann Beiträge eingereicht haben, sind 18 bis 73 Jahre alt und kommen aus 19 verschiedenen Ländern. Also: Es ist ein sehr bunt gemischter Haufen.
Insgesamt hatten die Künstlerinnen und Künstler 65 Arbeiten eingereicht.
Ich habe Geldkapazitäten, um 19 davon auszuspielen. Die Auswahl dieser 19 Beiträge hat eine vierköpfige internationale Jury getroffen, zu der auch Ilona Rieke, die Programmleiterin des Bremer Filmfests, zählt.
Die Beschreibungen der einzelnen Filme auf Ihrer Website wirken teilweise sehr intellektuell. Wen möchten Sie mit dem Hochkantfilmfest ansprechen?
Ich hatte die Künstlerinnen und Künstler darum gebeten, zu jedem Beitrag eine Beschreibung mit einzuschicken. Ich habe diese Beschreibungen nicht überarbeitet, sondern einfach eins zu eins im Internet veröffentlicht. Dass das nun intellektuell wirkt, hat wahrscheinlich damit zu tun, dass viele der Künstlerinnen und Künstler an renommierten Kunsthochschulen studiert und akademische Abschlüsse haben.
Trotzdem zielt das Hochkantfilmfest nicht auf ein akademisches Publikum ab. Es richtet sich an alle! Vom Kleinkind bis zur Seniorin oder zum Senior. Das Hochkantfilmfest soll unbedingt auch Leute erreichen, die normalerweise nicht ins Museum oder ins Kino gehen.
Was wird diesmal anders als im Jahr 2021?
Wir haben andere Ausspielflächen als 2021. 2021 haben wir vor allem in der Innenstadt Beiträge gezeigt. Dieses Mal sind unsere Ausspielflächen im Bremer Hauptbahnhof, in den Fahrzeugen der Bremer Straßenbahn AG, in der Waterfront und im Walle Center. Dort wird auch das Sahnestückchen der diesjährigen Ausstellung sein. Denn das Walle Center verzichtet ganz darauf, Werbung auszuspielen. Es zeigt ausschließlich Kunst.
Außerdem gibt es diesmal drei Termine, zu denen wir öffentlich einladen: Wir werden eine Vernissage feiern, wie man das eben gern tut, wenn nicht gerade ein Lockdown ist. Außerdem gibt es eine geführte Tour durch den Feierabendverkehr. Da schauen wir uns gemeinsam die Ausstellung an und gehen zur Eröffnung des Filmfests. Schließlich laden wir auch zu einer Finissage zum Abschluss des Festivals. Es wird insgesamt, weil es keinen Lockdown gibt, geselliger als beim ersten Mal.
Dieses Thema im Programm: Bremen Zwei, Der Vormittag, 13. April 2023, 10.40 Uhr