Interview

Warum Bremer in einigen Stadtteilen früher sterben als in anderen

Hände einer alten Frau werden gehalten.

Wie alt werden Männer und Frauen in Bremen und Bremerhaven?

Bild: dpa | imageBROKER | Schoening

Menschen in Bremen werden nicht mehr so alt wie vor ein paar Jahren. Große Unterschiede gibt es in den Stadtteilen. Ein Bremer Experte verrät, was dahinter steckt.

Das Gesundheitsressort hat jüngst den alle vier Jahre erscheinenden Landesgesundheitsbericht vorgelegt. Ein Ergebnis: Die Lebenserwartung in Bremen ist zuletzt gesunken.

Prof. Dr. Heinz Rothgang
Heinz Rothgang vom Forschungszentrum Ungleichheit und Sozialpolitik (Socium) der Uni Bremen beschäftigt sich seit Jahren mit den Themen Gesundheit, Pflege und Alterssicherung. Bild: Uni Bremen | David Ausserhofer

Eine Kluft herrscht dabei vor allem in unterschiedlichen Bremer Stadtteilen. Wer in Gröpelingen wohnt, wird im Schnitt 74 Jahre alt, wer in Schwachhausen wohnt, lebt im Schnitt acht Jahre länger.

Aber auch zwischen den Städten Bremen und Bremerhaven gibt es einen Unterschied. Männer in Bremer leben dem Gesundheitsbericht zufolge im Schnitt 77,4 Jahre, Bremerhavener nur 74,9 Jahre. Bremerinnen hingegen haben eine Lebenserwartung von 82,6 Jahren, Frauen in Bremerhaven nur von 80,8 Jahren.

Herr Rothgang, wie lassen sich solche regionalen Unterschiede aus wissenschaftlicher Sicht erklären?

Die unterschiedliche Lebenserwartung in verschiedenen Stadtteilen bildet letztlich die gesundheitliche Situation nach sozialer Lage ab. In manchen Stadtteilen haben die Menschen schlechtere Jobs, eine schlechtere Wohnsituation, mehr Lärmbelastung, mehr Luftbelastung und so weiter. Das kumuliert sich. Und so sehen wir in Bremen und auch in anderen Städten zum Teil einen Unterschied von bis zu zehn Jahren bei der Lebenserwartung in verschiedenen Stadtteilen.

Es ist ein Spiegelbild soziodemografischer Faktoren. In Stadtteilen wie Gröpelingen oder Tenever sind das nunmal andere als in Stadtteilen wie Schwachhausen und Oberneuland. Es ist ja nicht die Erdstrahlenbelastung, die Gröpelingen besonders macht. Es sind Unterschiede in Bildung, Einkommen oder auch Sprachkompetenz.

Im Landesgesundheitsbericht heißt es, es müssten zum Teil noch Maßnahmen gefunden werden, um Abhilfe zu schaffen. Gibt es diese Lösungen noch nicht?

Zur Erhöhung der Lebenserwartung haben wir schon seit langer Zeit Lösungen. Nehmen wir beispielsweise die Einführung der gesetzlichen Krankenversicherung im Jahre 1883 oder die seither erfolgten Verbesserungen in der Hygiene. Schon wenn man schaut, was vor dreißig Jahren möglich war und was jetzt möglich ist, ist das ein großer Unterschied. Nehmen wir nur mal den Rückgang des Rauchens oder die körperlichen Aktivitäten, die heute in Altersheimen angeboten werden.

Andere Maßnahmen, wie die Gesundheitskioske, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach vorgeschlagen hatte, sind schon wieder aus der Debatte verschwunden.

Ja, das stimmt. Das Konzept kommt ursprünglich aus Hamburg. Und es verfolgt einen richtigen Ansatz. Wir brauchen einen niedrigschwelligen Zugang zum Gesundheitssystem. Das Personal sollte beispielsweise verschiedene Sprachen sprechen, auch einfache Sprache verwenden. Es sollte sich auf die Bevölkerung der jeweiligen Stadtteile ausrichten, Arztbesuche mit vorbereiten und selbst auch aus verschiedenen medizinischen und sozialen Berufen stammen.

Das Gesundheitssystem ist allerdings auch ein sehr vermachtetes System. Da haben es neue Strukturen wie diese schwer. Wenn bei begrenzten Ressourcen irgendwo etwas Neues geschaffen wird, fehlen die Mittel an anderer Stelle.

Eine Frau mit Brille und roter Strickjacke steht vor einer Wand auf der steht: GesundheitsTreffpunkt West.
Eine Sozialarbeiterin steht vor dem Gesundheitstreffpunkt West in Gröpelingen. Bild: Wilmar Wabel

Das heißt, es gibt absehbar keine Gesundheitskioske für Bremen?

Nicht ganz. Im Bremer Stadtteil Gröpelingen gibt es inzwischen eine solche niedrigschwellige Versorgung beim Gesundheitstreffpunkt West im Lindenhofquartier. Wichtig ist dabei, dass solche Initiativen nicht zu arztzentriert aufgestellt sind. Es braucht dort auch andere Gesundheitsberufe wie Pflegekräfte, Sozialarbeiter, Ergotherapeutinnen, Ernährungsberater, Hebammen und Menschen, die sich nicht nur um einzelne Personen, sondern um die Gesundheit der Gemeinschaft vor Ort kümmern.

Mehr Ärzte auszubilden reicht also nicht?

Nein. Für viele Menschen ist es schon wichtig, überhaupt zu wissen, wo es Gesundheitsdienstleistungen gibt und welche Rechte sie haben, diese wahrzunehmen.
Ein wichtiger Aspekt sind in diesem Zusammenhang auch Voruntersuchungen und Prävention. Hier wurde vor einigen Jahren ein wichtiger Schritt mit dem Präventionsgesetz gegangen, dessen Verabschiedung zuvor drei vergebliche Anläufe in zehn Jahren gebraucht hatte. Es verpflichtet alle Krankenkassen dazu, präventive und gesundheitsfördernde Leistungen anzubieten, um so Volkskrankheiten wie Diabetes, Bluthochdruck, Herz-Kreislauf-Schwächen oder Adipositas zu vermeiden.

Dennoch ist die Lebenserwartung zuletzt erstmals seit Jahrzehnten gefallen. In Bremen von 2020 bis 2022 um rund drei Monate im Vergleich zum Zeitraum von 2018 bis 2020. Ist die Pandemie schuld?

Das Thema Pandemie fällt da sicher ins Gewicht. Es gab in diesen Jahren ja eine Übersterblichkeit. Das waren zusätzliche Todesfälle deutlich über den Promillebereich hinaus. Gerade die ältere Bevölkerung war betroffen. Mehr als die Hälfte der Covid-Toten kam aus Pflegeheimen.

Heißt das umgekehrt, dass wir jetzt wieder einen schnellen Anstieg der Lebenserwartung erwarten dürfen?

Das ist strittig. Schon vor der Pandemie hatte die Steigerung der Lebenserwartung auch in Bremen und Bremerhaven einen Sättigungspunkt erreicht. Die Frage ist nun, ob es sich beim jüngsten Rückgang nur um eine Delle handelt. Denn man muss bedenken, dass viele Menschen während der verschiedenen Lockdowns ihre sportlichen Aktivitäten eingestellt haben. Nicht alle von ihnen haben ihre körperliche Aktivität danach wieder umgestellt. Wir wissen auch, dass die gesundheitliche Vorsorge teilweise aufgeschoben wurde, zum Beispiel im Hinblick auf Krebserkrankungen. All das wird sich noch niederschlagen.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 9. Mai 2024, 6 Uhr