Fragen & Antworten

Zieht die Bremer Drogenszene vom Hauptbahnhof jetzt in die Stadtteile?

Bremens Drogenszene verteilt sich zunehmend unkontrolliert

Bild: Radio Bremen

Bremen will den Drogen-Hotspot Hauptbahnhof zerschlagen. Kontrollen sollen es Dealern schwer machen. Doch die Abhängigen ziehen weiter. Was das bedeutet – und wie geholfen werden soll.

Mehrere Hundert Menschen, wenn nicht mehrere Tausend, sind täglich in der Stadt Bremen auf den Straßen und öffentlichen Plätzen unterwegs, um Drogen zu kaufen und zu konsumieren. Valide Zahlen, wie viele Suchtkranke in Bremen leben, gibt es nicht. Es gibt aber Beobachtungen und Versuche, Problemherde schnell wieder zu beruhigen.

An der Friedrich-Rauers-Straße steht ein Container für Suchtkranke
An der Friedrich-Rauers-Straße steht ein Container als Ort für Drogensüchtige. Bild: Radio Bremen

Was passiert gerade mit den Drogenabhängigen – und wo gehen sie hin?

Am Bremer Hauptbahnhof sind sie unerwünscht. Insbesondere Dealer sollen sich dort nicht mehr aufhalten. Suchtkranke hingegen brauchen den lebendigen Ort ebenso wie Fußgängerzonen, um zu betteln und zu schnorren. Allerdings wohnen viele in den Stadtteilen und machen sich inzwischen möglicherweise seltener auf zum Hauptbahnhof.

Die starke Polizeipräsenz am Hauptbahnhof hat offenbar dazu geführt, dass in den Stadtteilen mehr los ist. Bisherige Szenetreffs werden von neuen Gruppen aufgesucht. Darunter auch Crack-Konsumenten, die unter einem hohen Konsumdruck stehen. Immer wieder eskalieren Auseinandersetzungen untereinander, die Polizei muss Streit schlichten, in Gewahrsam nehmen, wieder frei lassen.

Abgesehen von der neu eingerichteten "Aktzeptanzfläche" in der Friedrich-Rauers-Straße beim Findorff-Tunnel in der Nähe des Hauptbahnhofs treffen sich auch viele Suchtkranke in der Bremer Neustadt auf dem Lucie-Flechtmann-Platz. Auch in Gröpelingen am "Szene-Unterstand" neben dem Straßenbahndepot und in Bremen-Vegesack am Unterstand im Aumunder Heerweg sowie im Nelson-Mandela-Park bei der ÖVB Arena.

Schlafsäcke und Decken liegen unter einer Brücke
Die genaue Anzahl suchterkrankter Menschen in Bremen ist unklar. Bild: Radio Bremen

Wie viele Menschen sind das?

Eine Studie aus 2018 spricht von etwa 4.000 Suchterkrankten in Bremens Hilfesystemen. Aktuell gibt es keine wissenschaftlich fundierten Zahlen. Streetworker und Polizei gehen aber von einem Anstieg der Drogenszene in Bremen aus. Es gibt auch immer mehr Menschen, die den Drogenkonsumraum in der Friedrich-Rauers-Straße nutzen. Zudem sind in Bremen immer wieder Personen aus dem bremischen Umland festzustellen.
 
Im Bahnhofsquartier sind witterungsabhängig schätzungsweise 100 bis 300 Menschen der Drogenszene täglich über unterschiedliche Zeiträume vor Ort, sagt der Sicherheitskoordinator Christian Modder von der Bremer Innenbehörde. "An den unterschiedlichen Hilfseinrichtungen im Stadtgebiet halten sich nach unserer Einschätzung zwischen zehn und 40 Personen zeitgleich auf."
 
Aus dem Bereich der Organisationen, die sich um aufsuchende Streetwork ebenso wie um Beratung und medizinische Versorgung der Suchtkranken kümmern, ist von 800 oder mehr auffälligen Menschen die Rede, die mit massiver Suchtproblematik durch die Stadt Bremen laufen.

Eine Rutsche auf einem Sandspielplatz in Bremen
Spielplätze sind immer wieder mit Drogenkonsumutensilien verunreinigt. (Symbolbild) Bild: Radio Bremen

Was macht es zum Problem, wenn Drogenabhängige in die Stadtteile gehen?

Schwierig ist es immer dann, wenn Suchtkranke andere Menschen beeinträchtigen. Weil sie beispielsweise in deren Vorgärten ihren Rausch ausschlafen, wie ein Anwohner des Lucie-Flechtmann-Platzes in der Bremer Neustadt beschreibt, wenn sie sich aggressiv gegenüber Passanten aufführen, laut miteinander streiten oder Straftaten verüben, darunter auch sogenannte Beschaffungsdelikte – also Raub oder Diebstahl, um schnell an Geld für Drogen zu kommen.

Schwierig ist es auch, wenn das persönliche Sicherheitsempfinden der oder des Einzelnen durch verwahrloste oder anderweitig auffällige Menschen, durch Drogenkonsumutensilien, entsprechenden Geruch, Müll, Unrat oder Lärm gestört wird. Viele Suchtkranke oder Obdachlose sind auch psychisch so krank, dass sie von Unbeteiligten als bedrohlich wahrgenommen werden.

Wenn sich die Drogenszene vor der eigenen Haustür im täglichen Lebensumfeld ansiedelt, fühlt sich das ganz anders an, als wenn das an einem belebten und anonymen Ort wie dem Bahnhof passiert.

Mario Neumann, Reporter bei buten un binnen

An Bahnhöfen ist die Toleranzschwelle für suchtkranke Menschen deutlich größer. Immobilienbesitzer finden es auch schwierig, wenn ihr Haus wegen einer starken Szenen-Präsenz an Wert verliert.

Was soll deshalb passieren?

Mehr und bessere Hilfsangebote soll es geben: In der Friedrich-Rauers-Straße soll Anfang nächsten Jahres ein neues Drogenhilfezentrum starten, mit Substitutionsausgabe, medizinischer Versorgung, Konsum- und Ruheräumen sowie einem Café und Beratung. Schon jetzt im Juni geht es mit den ersten zehn Betten los, acht für Männer, zwei für Frauen. Geplant sind auch eine Diamorphinambulanz, neue Kontakt- und Beratungsstellen, Drogenkonsumräume, "Safer-use"-Schulungen, Beschäftigungsangebote und ähnliches. Darüber hinaus müssen die suchtkranken Menschen wohnen können. Erste Ansätze und Versuche gibt es mit "Housing First" in der Stadt Bremen.

Den Drogenabhängigen soll geholfen werden – was passiert mit den Dealern?

Die Polizei ist täglich unter anderem im Bahnhofsquartier im Einsatz, sodass die Drogenverfügbarkeit in Bremen und insbesondere im Bahnhofsumfeld weniger wird. Durch die Enchro-Chat-Verfahren sind bereits erhebliche Mengen an Drogen beschlagnahmt und Personen festgenommen worden. Durch die Maßnahmen am Bahnhof konnten schon erhebliche Erfolge gegen die Dealer erzielt werden. So wurden auch hier Drogen und Bargeld beschlagnahmt, diverse Wohnungen und Lokale durchsucht und Personen festgenommen. Zuletzt ist zudem ein Dealer in sein Heimatland abgeschoben worden.
 
Die Polizei sucht regelmäßig etablierte Handelsplätze auf, sodass der Handel dort erheblich erschwert wird, weil Dealer immer mit der Polizei rechnen müssen. Teilweise werden an diesen bekannten Handelsorten dauerhaft Streifen der Polizei positioniert.

Ein vermummter Mensch gibt einem anderen Menschen eine Droge.
Den Dealern soll der Handel schwer gemacht werden, sie sollen andere Angebote bekommen, um sich besser zu integrieren. (Symbolbild) Bild: Imago | STPP

Für die Aufgaben rund um die offene Drogenszene wurde eine Task Force von Polizei und Ordnungsdienst gebildet. Durch ihre Szenekenntnisse können Probleme frühzeitiger erkannt und zielgerichteter bearbeitet werden. Erkannte Straftäter geraten so dauerhaft und konsequent in den Fokus. Am Bahnhof, aber auch an den übrigen bekannten Szenetreffpunkten ist unter anderem durch die Task Force ein lageangepasstes polizeiliches Vorgehen umgesetzt worden.

Und es soll mehr Treffpunkte geben: Weil es aus Sicht der Drogenhilfeträger besser ist, Menschen in kleineren Einheiten zu begegnen, sind die Helfer für weitere ausgewiesene Orte und Treffpunkte für Suchtkranke, die dort auch von Streetworkern aufgesucht werden können.
 

Es heißt, es kommen immer wieder neue Dealer nach. Meist seien es Menschen aus Guinea, die ansonsten keine Arbeit bekämen. Welche Lösung gibt es hier?

Das Bremer Innenressort setzt derzeit ein Projekt mit einem guineischen Verein für Integration und Bildung um. Ziel ist es, durch ein Empowerment des Vereins einem Teil der Dealer vom Bahnhof eine Alternative zum Drogenhandel aufzuzeigen und Personen, die aus Guinea nach Bremen kommen, Möglichkeiten und Angebote aufzuzeigen, wie sie sich in Deutschland integrieren und durch Bildung in den Arbeitsmarkt einfinden können. Bei präventiven Angeboten ist es dem Innenressort besonders wichtig, die betroffen Communities einzubinden.

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  • Zu sehen ist ein Porträtfoto von Mario Neumann. Blaue Augen, relativ kurze, dunkelblonde Haare. Er hat die Arme verschränkt und lächelt.
    Mario Neumann Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 31.Mai 2023, 19:30 Uhr