Fragen & Antworten

Bremer Eckkneipen am Ende? Wieso viele Gastwirte ums Überleben kämpfen

Ein Gastronom hängt ein Geschlossen-Schild in die Tür (Symbolfoto)
Vielen kleinen Kneipen in den Stadtteilen droht das Aus, auch im Land Bremen. Etliche mussten bereits schließen. Bild: dpa | Ramon van Flymen

Streicht ein Wirt die Segel, findet sich oft kein Nachfolger. Doch zwei Bremer Traditionskneipen zeigen, wie es gehen kann.

Fränkie's Vogelnest in Walle und die Stadtparkstuben in Bremerhaven: Die beiden Kneipen haben kürzlich dichtgemacht – wie so viele im Land Bremen. Rund 15 bis 20 Prozent der Eckkneipen unter den Mitgliedern der Bremer Gastro Gemeinschaft haben in den vergangenen drei Jahren geschlossen, sagt deren Vorsitzender Oliver Trey – und kündigt an, dass weitere Kneipen folgen werden. Buten un binnen erklärt, was hinter dem Kneipensterben steckt und beschreibt zwei Beispiele für Kneipen, die neue Wege eingeschlagen und die Krise so überwunden haben.

Oliver Trey von der Bremer-Gastro-Gemeinschaft im Interview
Sorgt sich um die Zukunft insbesondere der kleinen Eckkneipen in dezentralen Bremer Stadtteilen: Oliver Trey, Vorsitzender der Bremer Gastro Gemeinschaft. Bild: Radio Bremen

Wie kommt es, dass vermehrt Kneipen im Land Bremen schließen, und was für Gaststätten sind insbesondere betroffen?

Klassischerweise drohe vielen Kneipen das Aus, wenn sich die Betreiberin oder der Betreiber zur Ruhe setzt oder die Kneipe aus anderen Gründen abgeben möchte. "Die finden dann keine Nachfolger", so Trey. Denn man könne mit typischen Eckkneipen nur noch wenig Geld verdienen – und auch das nur, wenn man selbst den ganzen Tag und bis in die Nacht in der Kneipe stehe und arbeite.

Der Aufwand, eine Kneipe zu betreiben, hat in den letzten Jahren stark zugenommen.

Oliver Trey, Vorsitzender der Bremer Gastro Gemeinschaft

Trey verweist auf die Bürokratie, die jeder Gastwirt zu bewältigen habe. "Auch für die kleinsten Kneipen braucht man heute einen Hygiene-, einen Datenschutz- und einen Brandschutzbeauftragten“, fügt er beispielhaft hinzu. Man müsse als Gastwirt immer mehr Zeit für Büroarbeit einplanen.

Gleichzeitig seien die Kosten erheblich gestiegen. Das gelte für das ohnehin sehr knappe Personal ebenso wie für die Waren und für die Energie.

Können die Kneipen die gestiegenen Kosten nicht an ihre Gäste weitergeben?

Tatsächlich wäre das angesichts der knappen Gewinnspanne dringend geboten, sagt Trey: "Aber in einer kleinen Eckkneipe ist das nicht so einfach wie in einem Tourismus-Hotspot oder in einem Nobelrestaurant." Die Gäste müssten ihrerseits verstärkt aufs Geld achten, würden allzu drastische Preiserhöhungen nicht mitmachen. Schon jetzt sei es so, dass viele Gäste deutlich weniger konsumieren als in früheren Zeiten. Andere würden die Kneipe zusehends seltener besuchen.

Wie könnte die Politik den Gaststätten helfen?

"Weniger Bürokratie wäre bereits eine große Hilfe", glaubt Trey. Wenn nämlich Gastwirte nicht so viel Zeit mit Büroarbeit verbringen müssten, hätten sie mehr Zeit, um sich beispielsweise persönlich um ihre Gäste zu kümmern oder um sich weiterzubilden.

Vielleicht bräuchten sie auch weniger Personal, das ohnehin schwer zu bekommen und zu bezahlen sei: "Wer eine kleine Kneipe betreibt, konkurriert beim Personal teilweise auch mit großen Restaurants und großen Ketten", fügt Trey erklärend hinzu.

Mann mit Brille, etwa Anfang 30, zapft in Kneipe Bier
Zapft ein Bier im Schwarzen Hermann: Christian Melcher. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Gibt es in Bremen auch Eckkneipen, die gegen den Trend heute eine Erfolgsgeschichte schreiben?

Es gibt solche Kneipen – allerdings wohl vorwiegend in guten Lagen oder mit einer besonderen Publikumsstruktur. Auffällige Beispiele sind das Horner Eck im Steintor-Viertel, das seit seinem zeitweiligen Aus im Jahr 2018 von einer Genossenschaft betrieben wird, sowie der Schwarze Hermann am Friedenstunnel, der sich seit einem Betreiberwechsel im Jahr 2015 nach und nach von einer Eckkneipe zum Ausflugslokal entwickelt hat.

Wie hat das Horner Eck, das schon geschlossen war, doch noch die Kurve bekommen?

Das Horner Eck war noch nicht lange dicht, da nutzte eine Wohngemeinschaft, die über der Kneipe lebte, die Gaststätte für eine Party, berichtet Elard Lukaczik, Vorstand der Horner Eck eG (eingetragene Genossenschaft): "Die Gäste kamen zu dem Ergebnis, dass die Kneipe viel zu schade ist, um sie nur für eine Party zu nutzen." Schnell habe sich ein harter Kern von zwölf Personen gefunden, darunter alte Stammgäste, die sich entschlossen, das Horner Eck fortzuführen: zunächst als Kollektiv, seit 2020 als Genossenschaft.

Mittlerweile zählt die Genossenschaft 56 Mitglieder, so Lukaczik. Nicht frei von Stolz sagt er: "Wir werden sicher noch mehr." Jedes Mitglied zahlt einen kleinen Beitrag und stärkt damit die Substanz der Kneipe. "Auch deshalb haben wir die Corona-Krise überstanden", sagt Lukaczik.

Zwar sei das Publikum heute insgesamt deutlich jünger als in den Jahren vor 2018. "Aber unsere alten Stammgäste sind noch da." Der Großteil der Gäste komme weiterhin aus der Nachbarschaft. Auch verstehe sich das Horner Eck wie eh und je nicht nur als Kneipe, sondern auch als Kulturbetrieb. Man zeige Ausstellungen, lade zu Vorträgen, Lesungen und Filmvorführungen. Schließlich richte das Horner Eck zehn Konzerte pro Jahr aus.

Wie möchte die Genossenschaft das Horner Eck für die Zukunft aufstellen?

Um das Horner Eck dauerhaft als Kneipe und Veranstaltungsort erhalten zu können, gründet der Arbeitskreis Horner Eck eG gerade eine neue Genossenschaft: die Horner Eckhaus eG. (eingetragene Genossenschaft in Gründung). Sie möchte die Immobilie des Horner Ecks kaufen – und sucht Unterstützer: neue Mitglieder, die Genossenschaftsanteile übernehmen sowie Kreditgeber. Die Kosten beziffert die Horner Eckhaus eG inklusive energetischer Sanierung des Gebäudes auf rund 1,3 Millionen Euro. 

Fröhliche Stimmung am Tresen der Kneipe Horner Eck in Bremen
Ins Horner Eck ist neues Leben eingekehrt, seit eine Genossenschaft die Kneipe übernommen hat. Bild: Ricardo Nunes

"Wenn wir das Haus nicht selbst kaufen, wird es jemand anderes machen", erklärt Lilja Girgensohn von der Horner Eckhaus eG die Motivation hinter dem Projekt. Die Erfahrung aus anderen Städten wie Berlin zeige jedoch, dass ein derartiger Eigentümerwechsel in der Regel das Aus einer Kneipe bedeute. Denn zum einen könne man mit Boutiquen oder ähnlichen Geschäften höhere Mieteinnahmen erzielen als mit Kneipen. Zum anderen mindere eine Kneipe unten im Haus häufig auch den Wert der Wohnungen darüber – und dadurch die Mieteinnahmen. Der hohe Kaufpreis für die Immobilie sowie der hohe Sanierungsbedarf seien mit dem Weiterbetrieb der Kneipe unter rein wirtschaftlichen Gesichtspunkten daher kaum in Einklang zu bringen. "Das machen wir – oder niemand", glaubt Girgensohn.

Mit dem Kauf der Immobilie könnte die Genossenschaft ihre Idee von der Kollektivkneipe weiterentwickeln. Gleichzeitig erhielte man günstigen Wohnraum in bester Lage und könnte die Wohnungen zumindest teilweise nutzen, um Künstlerinnen und Künstler unterzubringen. Auf diese Weise ließe sich das Horner Eck auch als Kulturbetrieb weiterentwickeln und dauerhaft etablieren.

Wir brauchen die Immobilie, um unseren Traum zu verwirklichen.

Lilja Girgensohn

Und wie hat sich der Schwarze Hermann von einer Eckkneipe zum Ausflugslokal entwickelt?

Acht Jahre ist es her, da haben neue Betreiber den abgewirtschafteten Schwarzen Hermann am Friedenstunnel übernommen – und umgehend modernisiert. Besonderes Potenzial erkannten sie dabei in der Anbindung der Kneipe an eine Fahrradroute: Der Schwarze Herrmann liegt direkt an der innerstädtischen Seite der Parkallee, einer Fahrradstraße, die Bremens Innenstadt mit dem Bürgerpark, der Universität und dem Blockland verbindet.

Auch, um die vorbeifahrenden Radfahrer für die Kneipe zu gewinnen, legten die Betreiber von Beginn an großen Wert auf die Pflege ihres Biergartens. In der Corona-Krise bewiesen sie Mut und Weitblick. Als die Gaststätten zeitweise gar nicht öffnen beziehungsweise nur im Freien Gäste bewirten durften, investierten sie viel Geld und Zeit, um den Biergarten mit der Hilfe von Stammgästen über mehrere Wochen erheblich auszubauen: von 74 auf bis zu 200 Plätze samt Bühne für Veranstaltungen. "Man konnte schließlich nur mit Außengastronomie Geld verdienen", sagt dazu Christian Melcher, einer der Geschäftsführer des Schwarzen Hermanns.

Mann mit Brille, etwa Anfang 30, deckt Tische in einem Biergarten ein
Christian Melcher dekoriert die Tische im Biergarten des Schwarzen Hermanns. Der Garten zieht nicht zuletzt viele Fahrradfahrer an. Bild: Radio Bremen | Alexander Schnackenburg

Das Kalkül der Betreiber sollte aufgehen: Der Sommer 2021, für viele andere gastronomische Betriebe eine schwere Zeit, bescherte dem Schwarzen Hermann einen derartig großen Zulauf, dass das Serviceteam häufig Gäste, die keinen Tisch reserviert hatten, wegschicken musste, mitunter sogar ganze Gruppen.

Doch nicht nur im Sommer setzt der Schwarze Hermann seit Corona auf die Außengastronomie: Im Winter bewirtet das Team die Gäste in einem Zelt, schenkt an einer Bude Glühwein aus – und verkauft im Biergarten nebenbei Weihnachtsbäume.

Doch wie die Betreiber des Horner Ecks, so legen auch jene des Schwarzen Hermanns großen Wert auf die Feststellung, dass es ihnen trotz aller Veränderungen in den letzten Jahren geglückt sei, die alten Stammgäste zu halten. "Wir machen keinen Ruhetag, weil wir uns sagen: Das sind unsere Stammgäste nicht gewohnt", sagt Melcher dazu. Der Schwarze Hermann verstehe sich heute, in seinem 51. Jahr, als Ausflugslokal und Eckkneipe zugleich.

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Bild: Radio Bremen

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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 1. Juli 2023, 19.30 Uhr