Bremerin mit Magersucht: "Fühle mich gut, wenn mein Magen leer ist"

Essstörungen bei Mädchen stark angestiegen

Bild: Imago | HalfPoint Images

Essstörungen haben vor allem bei Mädchen bundesweit deutlich zugenommen. Auch in Bremen ist ein Anstieg zu verzeichnen. Zwei junge Frauen berichten über ihr Leben mit der Krankheit.

Den eigenen Körper im Spiegel zu sehen, fällt Lina* schwer. Seit ihrer Kindheit leidet die 23-jährige Bremerin an Magersucht. Essen ist für sie seitdem mit extremer Kontrolle verbunden. Auswärts essen oder gar Essen gehen ist für Lina kaum vorstellbar. "Ich setze mir ein Limit, was ich essen darf, und wenn ich es nicht einhalte, geht es mir sehr schlecht."

Dabei ist die Krankheit extrem gefährlich: Magersucht, auch Anorexie genannt, ist die tödlichste psychische Erkrankung. Zudem leiden die Betroffenen oft jahrzehntelang an der Krankheit. Manche leiden ein Leben lang.

Bei Lina liegt die Ursache für die Magersucht wahrscheinlich in der Pubertät. Sie wollte unbedingt ihren kindlichen Körper behalten: "Die Veränderungen meines Körpers in der Pubertät waren für mich sehr schwierig", erklärt sie.

Gefährliche Problembewältigungsstrategie

In den letzten zehn Jahren hat Lina alles Mögliche versucht, um die Erkrankung zu überwinden. Mehrere ambulante Therapien und auch Klinikaufenthalte folgten. Doch die Krankheit ging nie ganz weg. Heute versucht sie zumindest, vom strengen Kalorienzählen wegzukommen. Sie sagt: "Wenn ich die Zahlen wüsste, wüsste ich, dass ich es nicht aushalte."

Ich fühle mich schon sehr gut, wenn mein Magen leer ist.

Lina, leidet an Magersucht
Eine junge Frau steht auf einer Waage, die 48,2 kg anzeigt.
In Deutschland leiden seit 2014 deutlich mehr Mädchen an Essstörungen (Symbolbild). Bild: dpa | Monique Wuestenhagen

Für Lina sei die Krankheit oft auch eine Art, mit Problemen umzugehen: "Wenn ich jetzt eine positive Fähigkeit in meinen Alltag integriere, dann braucht das Zeit. Aber wenn ich mich übergebe, dann habe ich das Ergebnis sofort. Dann habe ich sofort das Körpergefühl", sagt sie.

Über ihre Essstörung kann Lina mit ihrer Freundin Rieke* sprechen. Auch sie leidet seit ihrer Kindheit an Magersucht und Bulimie. Bei der 24-Jährigen kommen häufig Essanfälle hinzu. "Ich fühle mich schon sehr gut, wenn mein Magen leer ist. Aber das muss ich erst einmal zulassen, weil ich oft das Gefühl habe, ich darf mich gar nicht gut fühlen. Dann kommt es oft zu Essanfällen", sagt Rieke.

Essstörungen bei Mädchen stark angestiegen

Lina und Rieke sind keine Einzelfälle. In den letzten zehn Jahren haben die Fälle von Essstörungen bei 12- bis 17-jährigen Mädchen um rund 54 Prozent zugenommen. Das sind bundesweit über hunderttausend Betroffene mehr. Zu Essstörungen gehören Magersucht, Bulimie und Binge Eating, also übermäßiges Essen.

Für Bremen und Bremerhaven liegen nur Zahlen für die vergangenen fünf Jahre vor. 2018 waren 4.796 Patientinnen und Patienten wegen einer Essstörung in therapeutischer Behandlung, 2023 waren es 5.009. Das sind aber nur die Betroffenen, die auch einen Therapieplatz bekommen haben. Aber weil Therapieplätze bekanntlich rar sind, ist die Dunkelziffer wahrscheinlich deutlich höher.

Auch Chefarzt Marc Dupont vom Klinikum Bremen-Ost beobachtet eine Zunahme von Essstörungen. Die Ursachen für die Erkrankung seien vielfältig: "Es gibt den schönen Begriff des multifaktoriellen Entstehens. Dass es eine genetische Komponente gibt, dass es soziokulturelle Komponenten, aber auch familiäre Komponenten gibt." Als Ursache für den Anstieg sieht er zum einen die Isolation während der Corona-Pandemie. Aber auch die sozialen Medien würden eine große Rolle spielen, sagt er.

Gefährliche Abnehmtrends in den sozialen Medien

Schließlich gibt es im Internet eine Vielzahl von gefährlichen Abnehmtrends und Challenges. Zum Beispiel der "Leggings Leg"-Trend, bei dem Frauen ihre möglichst schlanken Beine zur Schau stellen. Soziale Medien vermitteln das Bild von perfekten Körpern in einer scheinbar perfekten Welt.

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Marc Dupont sieht darin ein Problem: "In der Phase der Verunsicherung, und das ist in der Pubertät nichts anderes, sucht man sich Vorbilder, die man dann kopiert. Ich glaube, das haben wir alle getan. Und wenn das in den sozialen Medien oder wo auch immer verstärkt angeboten wird, dann verführt das natürlich."

Auch Lina und Rieke merken, dass der Magerwahn im Netz sie beeinflusst. So berichtet Lina: "Früher gab es Zeiten, wo ich nur in dieser Essstörungsblase war. Auch wenn man das in dem Moment vielleicht gar nicht so wahrnimmt, dass es einen beeinflusst, aber es beeinflusst einen schon sehr. Auch gerade wenn man die Körper von anderen Frauen sieht".

Austausch mit anderen Betroffenen hilft

Was Lina und Rieke bei ihrer Essstörung hilft, ist der Austausch in einer Selbsthilfegruppe. Einmal in der Woche sprechen die jungen Frauen dort über ihre Alltagsprobleme und auch über ihre Essstörung.

Das hilft mir sehr, dass ich nicht bewertet werde und sagen kann, was mich belastet, ohne dafür verurteilt zu werden.

Rieke, Betroffene

Für die Zukunft wünschen sich die beiden Frauen vor allem, dass mehr Menschen über Essstörungen sprechen. Wenn das Tabu weiter gebrochen wird, könne vielen Menschen geholfen werden, sagt Rieke.

*Lina und Rieke möchten anonym bleiben und ihren vollständigen Namen öffentlich nicht nennen, buten un binnen sind sie bekannt.

Autor/Autorin

  • Autor/in
    Sarah Werner

Quelle: buten un binnen.

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 11. Juni 2024, 19:30 Uhr