Das waren die 4 spektakulärsten Fälle des Bremer Anwalts Docke

Bremer Anwalt Docke hört auf: Seine Fälle schrieben Justiz-Geschichte

Bild: dpa | Ingo Wagner

Als Anwalt machte Bernhard Docke vor allem der Kampf um die Freilassung von Murat Kurnaz bekannt. Er gewann zahlreiche Preise. Nun geht Docke in den Ruhestand.

Seit 1983 arbeitet er als Rechtsanwalt in Bremen, 1989 stieg er mit Kollegen in die Kanzlei des Bremer Anwalts Heinrich Hannover ein und betrieb diese nach Hannovers Ausscheiden 1995 weiter.

Schnell machte sich Bernhard Docke einen eigenen Namen und ist heute einer der renommiertesten Strafverteidiger in Deutschland. Vor allem sein jahrelanger Kampf für die Freilassung des in Guantanamo inhaftierten Bremers Murat Kurnaz hat ihm viel Anerkennung eingebracht. Er wurde unter anderem mit der Carl-von-Ossietzky-Medaille und dem Bremer Friedenspreis ausgezeichnet.

Jetzt ist Bernhard Docke Ende September nach fast 40 Jahren in den Ruhestand gegangen. Wir blicken auf einige seiner wichtigsten Fälle zurück.

1 1994: Bremer Polizisten bestehlen Ukrainer

Wie die beiden Männer aus der Ukraine auf ihn gekommen sind, weiß Bernhard Docke nicht mehr. Die Geschichte, die sie ihm erzählen, hat es jedenfalls in sich. "Ich habe ihnen sofort geglaubt", erinnert sich der Anwalt heute.

Was ist passiert? Igor Parlamatschuk und ein Kollege sind 1994 mit 39.000 Mark im Gepäck nach Bremen gekommen. Sie wollen für die Produktionsgenossenschaft in der Heimat zwei gebrauchte Lastwagen kaufen. Nachdem sie mit einem Gebrauchtwagenhändler verhandelt haben, gehen beide noch in die Innenstadt zu Karstadt. Im Kaufhaus wird ein Ladendetektiv auf die Männer aufmerksam. Er hält sie für Diebe, ruft die Polizei. Die finden bei den beiden Ukrainern einen Schließfachschlüssel und entdecken in dem Fach am Bahnhof das Bargeld.

"Die Polizeibeamten haben es genommen und gedacht, es ist leichte Beute", erinnert sich Bernhard Docke. "Sie dachten, diesen beiden Leuten wird man nicht glauben. Sie werden wahrscheinlich nicht einmal Anzeige erstatten." Doch die Polizisten haben sich getäuscht. Mit Zollquittungen können die Ukrainer belegen, dass sie das Geld legal nach Deutschland eingeführt haben.

Sie waren völlig am Boden zerstört, dass deutsche Polizisten so etwas machen. Dass in ihrer Heimat die Polizei korrupt ist, das war ihnen bekannt, aber dass das im goldenen Westen passiert, konnten sie sich nicht vorstellen.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

Mit Hilfe von Bernhard Docke erstatten sie Anzeige – und lösen damit in Bremen einen Skandal aus. Doch die Justiz zeigt erstmal wenig Eifer. Bis die beiden Männer aus der Ukraine ihr Geld zurückerhalten, dauert es rund zehn Jahre.

Aufgeben ist für Bernhard Docke dennoch keine Option.

Diese beiden Leute sollten und mussten ihr Geld zurückbekommen. Und ohne das Geld wollten sie auch nicht in ihre Heimat zurückkehren.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

2 2002: Der Kampf um die Freilassung von Murat Kurnaz

Der Kampf um Gerechtigkeit und sei er noch so aussichtslos, spielt auch im Fall Murat Kurnaz eine große Rolle. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 befinden sich die USA unter Präsident George W. Bush im "Krieg gegen den Terror".

Eine US-geführte Koalition marschiert in Afghanistan ein. Hunderte vermeintliche "ungesetzliche Kombattanten" werden im US-Stützpunkt Guantanamo auf Kuba interniert. Darunter auch der Bremer Murat Kurnaz. Er war im Herbst 2001 nach Pakistan gereist, wollte dort den Islam studieren. Kurnaz wird festgenommen und gegen ein Kopfgeld von 3.000 Dollar an die Amerikaner verkauft.

In Bremen wendet sich Murats Mutter Rabiye Kurnaz an Bernhard Docke. Für ihn ist es von Anfang an ein ungewöhnlicher Fall: "Wir hatten keine Akte, keinen Haftbefehl, keine Vorwürfe, wir wussten nicht, wann und wo und unter welchem Umständen er festgenommen wurde, was ihm vorgeworfen wird. Wir hatten keinen Kontakt zu ihm. Es gab keine Institution, die Ansprechpartner für mich hätte sein können."

Der ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz (l) wird im Beisein seines Rechtsanwaltes Bernhard Docke am Donnerstag (18.01.2007) in Berlin vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt.
Der ehemalige Guantanamo-Häftling Murat Kurnaz (links) wird im Beisein seines Rechtsanwaltes Bernhard Docke 2007 vor dem BND-Untersuchungsausschuss des Bundestages befragt. Bild: dpa | Rainer Jensen

Zusammen mit amerikanischen Bürgerrechtlern ziehen Docke und Rabiye Kurnaz vor den Supreme Court in Washington. Der entscheidet 2004: Guantanamo ist kein rechtsfreier Raum. Auch die Gefangenen dort haben Rechte.

Trotzdem dauert es noch zwei Jahre, bis Murat Kurnaz endlich freikommt. Danach erheben Docke und Kurnaz vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags schwere Vorwürfe gegen die Bundesregierung. Kurnaz hätte schon deutlich früher freikommen können, die Regierung habe das verhindert. Das erbost Docke bis heute. Die Bundesregierung habe sich "schäbig" verhalten.

Die Amerikaner haben schon vier Jahre vor der Freilassung gesagt: 'Den könnt ihr haben, der ist unschuldig.'

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

Die deutschen Experten hätten Kurnaz in Guantanamo besucht und seien zu demselben Schluss gekommen. "Und als dann die Amerikaner sagen: Hier ihr könnt ihn haben, sagen die Spitzen im Kanzleramt, den nehmen wir nicht."

Zu Murat Kurnaz hat er bis heute Kontakt. Zu dessen Mutter Rabiye ist ebenfalls eine Freundschaft entstanden, auch wegen der gemeinsamen Arbeit am Kinofilm des Regisseurs Andreas Dresen. Der Schauspieler Alexander Scheer sieht Bernhard Docke im Film erstaunlich ähnlich: "Das ist ein komisches Gefühl, wenn man da jemanden rumlaufen sieht, mit meinem Namen, mit meiner Robe, mit meiner Brille. Aber ich konnte es gut aushalten."

3 2007: Sieben Tote in Sittensen

Es ist einer der grausamsten Mordfälle der vergangenen Jahre in der Region. In der Gemeinde Sittensen, auf halber Strecke zwischen Bremen und Hamburg, werden in einem China-Restaurant im Februar 2007 sieben Menschen erschossen. Zunächst rätseln die Ermittler: Steckt die Mafia dahinter? Ist es eine Familienfehde? Später wird klar: Ein geplanter Raubüberfall war aus dem Ruder gelaufen.

Im August 2008 beginnt vor dem Landgericht Stade ein aufsehenerregender Prozess gegen fünf Angeklagte. Gemeinsam mit seinem Kollegen Armin von Döllen vertritt Docke einen der Angeklagten. Ein schwieriger Spagat für die Verteidiger.

Sieben Tote standen virtuell im Raum. Das war eine Situation bei der man gucken muss, dass man bei der Form wie man verteidigt, eine gewisse Pietät einhält. Letztendlich ist es aber so gewesen, dass wir als Verteidiger nicht eine Tat verteidigen, sondern eine Person, der ein Vorwurf gemacht wird.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt
Der Rechtsanwalt Bernhard Docke in seinem Büro 2011
40 Jahre war Docke als Rechtsanwalt für seine Mandanten da. Bild: Imago | Eckhard Stengel

Der Vorwurf, der seinem Mandanten gemacht werden, ist der schwerste, den das Strafrecht kennt: Mord. Der Angeklagte aber beteuert: Er habe weder geschossen, noch habe er damit gerechnet, dass bei dem Überfall Menschen sterben könnten. Dem folgt nach mehr als 100 Verhandlungstagen auch das Gericht. Zwei Täter bekommen lebenslange Strafen, Dockes Mandant wird wegen Raubes mit Todesfolge zu 14 Jahren Haft verurteilt – und ist inzwischen wieder frei.

Es sind Fälle wie dieser, bei denen Bernhard Docke die Frage gestellt wird: Wie kannst du in so einer Sache verteidigen? Es ist eine Frage, die ihn jedes Mal wieder ärgert.

Einmal ist es selbstverständlich, dass jeder Angeklagte einen Verteidiger haben sollte. Und dann ist es ja so, dass diese Frage schon die Schuld eines Angeklagten vorausnimmt, obwohl das ja erstmal bei Gericht geklärt werden muss.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

4 2014 – Der Mord an Diren Dede

Bernhard Docke wird bei Gerichten geschätzt für seine ruhige und besonne Art. Er gilt als extrem gut vorbereitet. Und er zeigt Empathie. Das hat womöglich damit zu tun, dass er immer wieder die Perspektive der Opfer einnimmt.

So auch in einem Fall, der ihn 2014 wieder in die USA führt, dem Land, dem er seit einem Praktikum bei den Vereinten Nationen in New York mit einer Mischung aus "Schauder und Faszination" verbunden ist, wie er sagt.

Im April 2014 zieht der Hamburger Diren Dede mit einem Freund durch die Straßen der Stadt Missoula im US-Bundesstaat Montana. Der 17-Jährige macht ein Austauschjahr. Unter den Schülern gilt es als Mutprobe, aus offenen Garagen Bier zu klauen – "garage hopping" nennen sie das.

In der Garage des 29-jährigen Markus Kaarma ist kurz zuvor eingebrochen worden. Darüber hat er sich so sehr geärgert, dass er sich mit seinem Gewehr auf die Lauer legt, dem nächsten Einbrecher geradezu eine Falle stellt. Als Diren Dede die Garage betritt, eröffnet Kaarma sofort das Feuer, tötet den Jungen mit vier Schüssen.

Wir hatten die Befürchtung, dass dieser Mann nicht zur Rechenschaft gezogen wird, weil ein Rechtsverstoß des Jungen am Anfang war.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

Denn in Montana gibt es die so genannte "Castle Doktrin". Das heißt: Jeder darf sein Haus und seinen Grund notfalls mit Waffengewalt verteidigen.

Docke reist gemeinsam mit den Eltern zum Prozess nach Montana. Gemeinsam mit der Staatsanwaltschaft gelingt es dem Bremer Anwalt, im Prozess zu beweisen, dass der Täter nicht in Notwehr handelte, sondern Diren Dede kaltblütig ermordete.

Der entscheidende Beweis sind Zeugenaussagen von Nachbarn, die die Schussfolge beschrieben: Drei schnelle Schüsse, dann eine längere Pause, bevor der vierte Schuss zu hören war. Der Täter hatte Diren Dede also regelrecht hingerichtet, als dieser schon schwer verletzt am Boden lag.

Das überzeugt auch die Jury. Markus Kaarma wird schuldig gesprochen – und wegen Mordes zu 70 Jahren Haft verurteilt. Dass diese grausame Tat nicht ungesühnt bleibt, ist für die Eltern von Diren Dede eine Erleichterung.

Man ist ein bisschen Seelsorger, ein bisschen Therapeut, ein bisschen Sozialarbeiter. Man ist in all diesen Kategorien gefragt. Dennoch muss man versuchen, um die Arbeit gut zu machen, sich nicht zu tief in die Emotionen hineinziehen lässt. Man muss ja für die Verhandlung einen kühlen Kopf bewahren.

Bernhard Docke, Bremer Rechtsanwalt

Seelsorger, Therapeut, Sozialarbeiter und ein außerordentlich guter Rechtsanwalt mit kühlem Kopf – für all das stand Bernhard Docke fast 40 Jahre lang. Nun muss seine Kanzlei ohne ihn auskommen. Mit 67 Jahren geht der Anwalt in den Ruhestand.

Autor

  • Steffen Hudemann
    Steffen Hudemann Autor

Dieses Thema im Programm: buten un binnen regionalmagazin, 25. August 2022, 19:30 Uhr