Interview

So kürzt Bremens Sozialsenatorin die Wartezeit bei Behindertenanträgen

So lange warten Menschen in Bremen auf einen Schwerbehindertenausweis

Bild: dpa | picture alliance/dpa | Mohssen Assanimoghaddam

Viele Bremer, die einen Schwerbehindertenausweis beantragen, müssen sich aktuell rund ein Jahr gedulden. Doch Sozialsenatorin Anja Stahmann lässt hoffen, dass ein Ende in Sicht ist.

4.300 Anträge auf einen Schwerbehindertenausweis haben sich mittlerweile bei den zuständigen Behörden angestapelt. Rund 700 kommen pro Monat hinzu. Jeder Fall, jede Diagnose muss von einem Arzt noch einmal begutachtet werden. Und von diesen Ärzten gab es vergangenes Jahr zu wenig. Im Büro des Landesbehindertenbeauftragten kommen seit Sommer die Beschwerden rein, berichtet Kai Steuck. Er ist der Stellvertreter des Bremer Landesbehindertenbeauftragten.

Das Problem ist auch in der Politik angekommen. Sozialsenatorin Anja Stahmann (Die Grünen) verrät, was dagegen getan wird.

Sind Wartezeiten von einem Jahr für Sie noch ein akzeptabler Zeitraum?

Nein, das ist nicht akzeptabel. Das ist deutlich zu lang. Und wir steuern dagegen.

Wie steuern Sie dagegen?

Wir haben uns bemüht, mehr Personal an Bord zu bekommen. Zunächst in Bremen – aber dann haben wir festgestellt, dass wir nicht das Personal bekommen, dass wir brauchen und bundesweit die Fühler ausgestreckt. Da sind wir fündig geworden.

Von Anfang an: Wie kam es denn überhaupt zu dem Rückstau?

Wir haben Anträge bekommen und hatten zu wenig Ärzte im Begutachtungsverfahren. Einige sind in den Ruhestand gegangen und wir haben ein Verfahren, das erfordert, dass es nicht nur eine Diagnose durch eine Fachärztin oder Facharzt oder den medizinischen Dienst gibt, sondern dass genau eingeschätzt wird, wie die zukünftigen Teilhabechancen an der Gesellschaft sind. Und von daher hatten wir irgendwann mehr Akten als Personal und es ist zu ganz langen Wartezeiten gekommen.

Warum ist es so schwer, medizinisches Personal zu finden?

Der öffentliche Dienst bezahlt im Ranking für Ärzte nicht am besten, sondern da gibt es eben attraktivere Einsatzorte in Krankenhäusern und Kurkliniken. Und im öffentlichen Dienst können wir eben nicht die Gehälter aufrufen. Unsere Arbeitsbedingungen sind eigentlich gut. Wir haben gute Möglichkeiten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das ist vielleicht nicht so bekannt, aber im Gehaltsranking liegen wir weiter hinten.

Was ist denn die Aufgabe von diesen Menschen?

Die müssen die ärztlichen Unterlagen begutachten. Müssen einschätzen, wenn jemand beispielsweise Diabetes hat, wie stark die Teilhabe an der Gesellschaft aufgrund dieser Erkrankung eingeschränkt ist. Und da gibt es eine ganz große Bandbreite. Die Ärzte fordern bei anderen Fachärzten Unterlagen an und müssen dafür sorgen, dass die ganze Akte komplett ist. Das führt oft zu Verzögerungen, dass manche einen Antrag einreichen, aber es fehlt das eine oder andere wichtige Dokument. Was wir dann erst aufwendig besorgen müssen.

Was haben Sie getan, um das Problem jetzt zu lösen?

Der Leiter des Amtes für Versorgung und Integration hat bundesweit inseriert und hat nach Ärzten Ausschau gehalten, die nicht in Bremen wohnen. Aber eben die Akten durchlesen, durcharbeiten und teilweise Teil des Teams Bremen geworden sind. Daher sind wir jetzt wieder etwas schneller geworden im Abbau der Rückstände.

Warum sind diese Gutachten so zeitintensiv?

Das hängt davon ab, wie vollständig der Antrag war, ob Ärzte noch Rückfragen haben, denn aus der Diagnose begründen sich später auch die Leistungsansprüche. Ob jemand einfach nur eine Parkerlaubnis bekommt oder ob Renten gezahlt werden. Ob eben auch Umbauten zu Hause nötig sind. Von daher wird auch sehr sorgfältig an dieser Stelle gearbeitet.

Wie lange wird es noch dauern, bis der Rückstau abgearbeitet ist?

Wir haben im Dezember 700 Neuanträge bekommen. Wir haben im Dezember aber auch 1.100 Anträge bearbeiten können. Wir liegen noch bei 4.300 Rückständen, aber wir hoffen, dass wir jetzt step-by-step in diesem Jahr diesen Berg abtragen können und zu einer vernünftigen Arbeitsdauer von drei bis vier Monaten zurückkommen.

Bis es so weit ist, haben Sie da eine Priorisierung?

Ja, wenn die Anträge eingehen, wird schon geschaut, wo eine besondere Eile geboten ist aufgrund von Erkrankung. Und natürlich fühlen sich die Menschen, die sich bei uns melden und einen Antrag stellen, alle wichtig und sind uns auch wichtig. Aber wenn jemand eine sehr akute Krankheit hat, die schnell voranschreitet, dann wollen wir auch möglichst schnell handeln. So müssen wir dann auch eine Rangfolge bilden.

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Bild: Radio Bremen

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  • Dag Befeld
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Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 28. Januar 2023, 19:30 Uhr