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Die ewige Reform: Bremer Forscher zu 20 Jahren Bachelor und Master

Bachelor und Master: So hat die Reform Bremens Uni-Leben verändert

Bild: dpa | Sina Schuldt

Dank Bachelor und Master machen Bremer Studis heute viele international anerkannte Abschlüsse. Doch es hagelt Kritik am System. Wie sollte das Studium der Zukunft aussehen?

Zwanzig Jahre ist es her, da trat in Deutschland ein folgenschweres Gesetz in Kraft: ein neues Hochschulrahmengesetz. Es besiegelte, was Europas Bildungsminister drei Jahre zuvor in Bologna beschlossen hatten: eine Hochschulreform, die Studiengänge europaweit vereinheitlichen sollte. An die Stelle von Magister- und Diplomstudiengänge rückten auch in Deutschland nach und nach die international anerkannten Bachelor- und Masterabschlüsse. Die Zahl der Studierenden nahm dadurch deutlich zu, auch weil von nun an Abschlüsse nach nur drei Jahren möglich waren.

An der Frage aber, ob das neue System besser ist als das alte, scheiden sich trotzdem die Geister. Buten un binnen hat mit Bremer Akteurinnen und Akteuren gesprochen, die sowohl das alte als auch das neue Hochschulsystem kennen. Sie erklären, was sie warum heute besser oder schlechter finden als früher und vor allem: wie das Studium künftig aussehen sollte.

Mann am Schreibtisch gestikuliert, Aktenordner im Hintergrund
Thomas Hoffmeister. Bild: Radio Bremen

Was hat sich durch die in Bologna beschlossene Hochschulreform aus Sicht der Studierenden im Kern verändert?

Bevor die Bologna-Reform griff, mussten Studis ein mehrjähriges Grundstudium und ein mehrjähriges Hauptstudium samt Magister- oder Diplomarbeit bewältigen, um ein Abschlusszeugnis und damit einen akademischen Grad zu erlangen. Heute kann man mit dem Bachelor bereits nach drei Jahren einen ersten Hochschulabschluss machen – ohne eine der Diplom- oder Magisterarbeit vergleichbare große Abschlussarbeit zu verfassen.

Dafür müssen die Studis jetzt wesentlich mehr Prüfungen absolvieren. "Man studiert heute Module", sagt dazu der Biologe Thomas Hoffmeister, Konrektor für Lehre und Studium der Universität Bremen. Die Module seien mit ihren klar definierten Lernzielen wie kleine Pakete, welche man überall hin mitnehmen könne, und die man überall anerkannt bekomme. Die Prüfungen seien der Preis dafür: "Jede einzelne Prüfung zählt", stellt Hoffmeister fest. Dadurch habe die Prüfungslast, die auf den Studierenden liege, gegenüber der Vor-Bologna-Zeit deutlich zugenommen.

Mann mit Brille in Anzug an großem Tisch redet in die Kamera
Cornelius Neumann-Redlin. Bild: Radio Bremen

Wie wirken sich die Bachelor-Studiengänge auf das Alter der Studien-Absolventen aus?

Das Durchschnittsalter derer, die ihren ersten universitären Abschluss in der Tasche haben, ist der Online-Plattform "Statista" zufolge seit 2003 von 27,9 auf 23,6 Jahre im Jahr 2021 gesunken. Gleichzeitig hat sich die Zahl der Studierenden in Deutschland auf derzeit rund 2,9 Millionen verdoppelt, sagt Thomas Hoffmeister.

Christoph Hilgert, Sprecher der Hochschulrektorenkonferenz (HRK), sagt allerdings, dass der Vergleich zwischen den Studienzeiten in der Vor-Bologna-Zeit und der heutigen "nicht unbedingt sinnvoll" sei. Denn Bachelorstudiengänge ließen sich nicht mit den alten Master- oder Diplomstudiengängen vergleichen. Nicht umsonst studierten viele nach dem Bachelor weiter, um mit einem Master abzuschließen. Die tatsächlichen durchschnittlichen Studienzeiten hätten sich daher wahrscheinlich kaum verändert.

Tatsächlich bestätigt Cornelius Neumann-Redlin von den Unternehmensverbänden Bremen, dass sich die Hoffnung der Wirtschaft auf mehr junge Arbeitskräfte durch die Studienreform nicht erfüllt habe: "Wir sehen bei vielen Absolventinnen und Absolventen der Bachelor-Studiengänge, dass sie den Master unmittelbar danach draufsatteln." Im Sinne der Unternehmen wäre es besser, wenn mehr Bachelor-Absolventen unmittelbar nach ihrem Abschluss den Weg in die Wirtschaft fänden, um eventuell später, berufsbegleitend, auf Master zu studieren, so Neumann-Redlin.

Studenten laufen über den Campus der Universität Bremen.
Kaum Zeit für den Austausch: Studierende der Uni Bremen. Bild: dpa | Sina Schuldt

Wie haben sich die Akademikerquoten und die Ausbildungsquoten in Deutschland durch die Studienreform entwickelt?

Im nationalen Bildungsbericht 2022 heißt es dazu: "Die Akademikerquote in Deutschland ist deutlich gestiegen: Fast ein Drittel der heute 30- bis 35-jährigen Menschen hat ein Hochschulstudium abgeschlossen im Vergleich zu einem Fünftel der heute 45- bis 50-Jährigen (…)." Die HRK führt diesen Anstieg der Akademikerquote allerdings weniger auf die Bologna-Reform zurück als auf eine stetige historische Entwicklung. Dabei stützt sich die Konferenz auf eine Untersuchung des Wissenschaftsrats, wonach die Akademikerquote in Deutschland bereits seit den sechziger Jahren kontinuierlich steigt.

Stark gestiegen ist in den letzten Jahren auch die Zahl der Studienanfänger: von 356.000 im Jahr 2005 auf 472.000 im Jahr 2021, teilt die HRK mit. Zugleich sei die Zahl der Auszubildenden von 739.000 in 2005 auf 677.000 (2021) zurückgegangen.

Vor dem Hintergrund dieser Zahlen kritisieren unter anderem der Zentralverband des Deutschen Handwerks und mit ihm die Handwerkskammer Bremen immer wieder, dass die fortschreitende Akdademisierung der Gesellschaft den schon heute eklatanten Mangel an Auszubildenden im Handwerk noch verschärfe. Für die HRK ist der Anstieg der Studienanfängerzahlen dagegen ein "Ausdruck einer stärkeren Bildungspartizipation" etwa aufgrund der Tatsache, dass immer mehr Schülerinnen und Schüler das Abitur absolvieren.

Worin sehen Fachleute aus Forschung und Lehre entscheidende Fortschritte der Bologna-Reform mit den Bachelor- und Master-Abschlüssen im Vergleich zum alten System?

Zwar hätten Studierende in früheren Zeiten mehr Freiheiten genossen als heute. Sie hätten allerdings auch mit mehr Unsicherheiten fertig werden müssen, sagt Thomas Hoffmeister, Konrektor der Uni Bremen. Er beschreibt die aktuelle Lage mit den Worten: "Es gibt mehr Verlässlichkeit, mehr Sicherheit auf Seiten der Studierenden." Auch sei es eine der guten Ideen von Bologna gewesen, einen europäischen Hochschulraum zu schaffen, der es den Studierenden ermögliche, ein- und dasselbe Studium an mehreren Orten Europas zu absolvieren: "Ich kann das, was ich gemacht habe, auch woanders anerkannt kriegen, egal ob im Inland oder im Ausland", so Hoffmeister.

Auch Peter-André Alt, Präsident der HRK, sagt: "Die Bologna-Reform war für das deutsche und das europäische Hochschulsystem eine im Kern richtige Weichenstellung." In einer Zeit, in der immer mehr junge Menschen studierten und die Mobilität an den Hochschulen zunehme, sei der Übergang in ein System mit idealerweise europaweit vergleichbaren Hochschulabschlüssen überfällig gewesen.

Frau mittleren Alters am Schreibtisch gesitkuliert
Kann Bachelorstudiengängen kaum etwas abgewinnen: Ulrike Schumann-Stöckert. Bild: Radio Bremen

Was ist am aktuellen Studiensystem schlechter als vor zwanzig Jahren?

Ulrike Schumann-Stöckert, BAFÖG- und Sozialberaterin beim ASTA der Uni Bremen, sagt: "Alles, was nach meiner Ansicht wissenschaftliches Arbeiten ausgemacht hat, ist total zusammengekürzt worden." Was früher ein "ganzes Studium" gewesen sei, sei nach Bologna als "Schmalspurstudium" in den Bachelor gequetscht worden. Zwischen dem Studium, wie sie es in den neunziger Jahren als Studentin erlebt habe und einem heutigen Studium lägen Lichtjahre. Denn der Stress sei heute viel größer. Immer wieder kämen Studierende zu ihr in die Beratung, weil ihnen insbesondere die hohe Klausurendichte und der Prüfungsdruck massiv zu schaffen mache.

Hinzu komme, dass immer mehr Studierende arbeiten müssten, um das Studium zu finanzieren. Dies betreffe derzeit etwa 60 Prozent aller Studierenden. In diesem Zusammenhang kritisiert Schumann-Stöckert auch, dass die Hürden, um das BAFÖG zu verlängern, inzwischen sehr hoch seien, wodurch sich der Druck auf die Studis zusätzlich verschärfe.

Studium bedeutet Stress: 60 Stunden studieren und zusätzlich noch arbeiten, um das Leben zu finanzieren.

Ulrike Schumann-Stöckert, Sozialberaterin der Uni Bremen

Auch Thomas Hoffmeister übt Kritik: "Bologna hat angefangen mit einer etwas merkwürdigen ökonomisierten Sicht auf die Dinge", sagt der Konrektor der Uni Bremen. Alles habe beschleunigt werden sollen, um möglichst schnell Absolventen für die Betreibe zu gewinnen, am besten schon nach drei Jahren. "Das finde ich eine katastrophale Einstellung", stellt Hoffmeister klar und fügt hinzu: "Wir müssen so ein bisschen von dieser Ökonomieschiene weg." Es gelte für die Gesellschaft, Studierende auszubilden, die reflektiert seien und mit neuen Herausforderungen umgehen könnten. Denn die Arbeitswelt sei im Wandel begriffen.

Die Berufe, die wir heute haben, gibt es vielleicht in zehn oder zwanzig Jahren gar nicht mehr.

Thomas Hoffmeister, Konrektor an der Uni Bremen

Wie könnte man das heutige Studiensystem verbessern?

Der Bremer Heinrich Päs, Professor für Physik an der Technischen Universität Dortmund, glaubt, dass es unter anderem darauf ankommt, den Studierenden wieder mehr Zeit zu geben, um Grundlegendes zu verstehen. "Durch das Modul-System in seiner heutigen Form werden die Studierenden dazu motiviert, für Klausuren zu lernen, nicht aber dazu, das große Ganze im Blick zu behalten", sagt Päs. Er legt Wert auf den Hinweis, dass er nicht als Bildungsforscher spreche, sondern subjektiven Eindrücke wiedergebe. Auch finde er das Modul-System nicht in jeder Hinsicht schlecht. Allerdings würde er es begrüßen, wenn es mehr Module gäbe, die über mehrere Semester gingen – und die Studierenden daher in der Folge weniger Prüfungen ablegen müssten. Auch die Lehrenden könnten auf diese Weise Zeit gewinnen, um sich kreativ auf die Lehre vorzubereiten, so Päs.

HRK-Präsident Peter-André Alt gibt zudem zu bedenken, dass das ständige Evaluieren der Studiengänge, das mit der Bologna-Reform weiterhin einhergehe, erhebliche Kapazitäten binde. Alt glaubt, dass es auch einfacher ginge und kommt zu dem Ergebnis: "Insgesamt ist der Bologna-Prozess nicht abgeschlossen, sondern genau das: ein weitergehender Prozess."

Aus Sicht von Thomas Hoffmeister wäre viel gewonnen, wenn Hochschullehrerinnen und Hochschullehrer künftig mehr Zeit hätten, um sich einzelnen Studierenden zu widmen. Derzeit komme auf 60 Studierende eine Professur – zu wenig, findet der Konrektor der Uni Bremen. Wie Ulrike Schumann-Stöckert aus dem ASTA findet zudem auch er, dass zu wenige Studierende BAFÖG bekämen. "Da muss etwas geschehen", sagt Hoffmeister, auch um den Studierenden mehr Zeit, insbesondere um mehr miteinander statt nebeneinander studieren zu können.

Mit Blick auf die etwas fernere Zukunft wünscht sich Hoffmeister, dass es selbstverständlich für viele Studierende werden wird, während eines Studiums in mehreren Ländern zu studieren. Helfen könnten dabei auch hybride Formate aus Präsenzunterricht und digitaler Lehre sowie unter Umständen auch vollständig digitale Module. "Wir stehen vor der digitalen Transformation von Lernen und Lehren", sagt Hoffmeister.

Autorinnen und Autoren

Dieses Thema im Programm: buten un binnen, 22. August 2022, 19.30 Uhr