Interview

Mikroplastik unschädlich für Fische? Eine AWI-Forscherin widerspricht

Schadet Mikroplastik Fischen doch nicht? Das ist das Ergebnis einer Studie des Bremerhavener Thünen-Instituts. Eine Forscherin vom AWI kritisiert die Interpretation.

Forscher des Bremerhavener Thünen-Institut haben in einer Studie herausgefunden, dass Mikroplastik keinen nachweisbaren Einfluss auf Fische in der Nord- und Ostsee hat. Die Macher der Studie schließen daraus, dass Mikroplastik die Gesundheit der Fische nicht beeinträchtigt und kein Risiko für Verbraucher darstellt. Auch buten un binnen berichtete über die Studie.

Meeresbiologin Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) kritisierte den Bericht über die Studie.

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Eine Übersichtsstudie des AWI habe 227 Einzelstudien ausgewertet und komme zu anderen Ergebnissen. Diese sei nicht vergleichbar mit einer einzelnen Studie. Zudem kritisierte Bergmann die Aussage, dass Mikroplastik für Fische oder gar Wirbeltiere generell nicht schädlich sei. Im Interview spricht sie nun darüber, wie der aktuelle Forschungsstand zu Mikroplastik ist und welche Schäden Mikroplastik bei Menschen und Tieren anrichten kann.

Warum lässt sich die Meta-Studie des AWI so nicht mit der Studie des Thünen-Instituts vergleichen?

Es handelt sich bei unserer Arbeit vom AWI um eine großangelegte Übersichtsstudie basierend auf unserem Online-Portal Litterbase.org. Darin haben wir die Daten aus über 2.500 Fachartikeln ausgewertet. Das waren also 2.500 solcher Einzelstudien, wie die des Thünen-Instituts. In 270 Studien davon wurden Wechselwirkungen zwischen Fischen und Plastik untersucht und 577 Fischarten hatten tatsächlich Plastik verzehrt. Bei 112 Fischarten wurden darüber hinaus negative Auswirkungen durch Mikroplastik nachgewiesen.

Jörn Scharsack vom Thünen-Institut sagt, das Ergebnis, dass Mikroplastik für Fische nicht schädlich sei, könne im Prinzip auf alle Wirbeltiere übertragen werden, weil der Stoffwechsel ähnlich funktioniere – deckt sich die Behauptung mit den Ergebnissen ihrer Meta-Studie?

In der Studie wurde mit dem Stichling nur eine einzige Fischart untersucht und auch nur einer von sehr vielen Kunststoffen und Formen, nämlich Mikrofasern. Dies nun auf alle Fische in der Nord- und Ostsee oder gar alle Wirbeltiere zu übertragen, halte ich für eine etwas gewagte Interpretation. Wie gesagt, die Publikationen anderer Expertinnen und Experten aus der Meta-Studie haben bei 112 Fischarten negative Auswirkungen durch Mikroplastik nachgewiesen. Zudem haben wir in einer AWI-Studie über Wolfbarsche auch festgestellt, dass Mikroplastik in das Muskelfleisch der Tiere gelangt ist. Da wir dies in Form von Filets zu uns nehmen, kann Mikroplastik darüber durchaus vom Menschen aufgenommen werden, genauso wie über kleinere Fische, wie Sprotten, die wir samt Innereien verzehren. Aber da Mikroplastik ohnehin in der Luft ist und sich bei der Zubereitung auf unsere Nahrung absetzt, fällt das vielleicht gar nicht so sehr ins Gewicht.

Welche Meeresarten sind nach den bisherigen Untersuchungen durch Mikroplastik beeinträchtigt?

Ein Beispiel wären Felsenbarsche, die weniger gefressen haben, sie sind weniger geschwommen, waren in ihrer Bewegung eingeschränkt. Die Fische sind weniger gewachsen und hatten geringere Energiereserven. In einer Studie aus Argentinien hatten alle untersuchten Fischarten Mikroplastik verzehrt und hatten weniger Energiereserven in ihrer Leber. Und in einer anderen Studie wurden zum Beispiel bei Glasbarschen geringere Wachstumsraten durch Mikroplastik nachgewiesen. Mikroplastikbestandteile aus Autoreifen erwiesen sich in einer Studie auch als hochgiftig für nordamerikanische Lachse und erklärten das häufig beobachtete Lachssterben.

Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut (AWI)
Melanie Bergmann vom Alfred-Wegener-Institut im Interview mit buten un binnen (Archiv). Bild: Alfred-Wegener-Institut

Kritisieren Sie dann die Studie des Thünen-Instituts an sich?

Nein, die Studie ist ja begutachtet worden und entspricht den gängigen Qualitätsansprüchen. Wichtig bei solchen Versuchen ist, wie lange sie durchgeführt wurden. Neun Wochen sind da schon – auch im Vergleich mit anderen Studien zu dem Thema – ein sehr guter Untersuchungszeitraum. Aber man muss den Zeitraum dennoch im Hinterkopf behalten, denn Stichlinge werden zwei bis drei Jahre alt. Wenn die ständig Mikroplastik fressen, hat das über die Lebensdauer vielleicht doch noch mal andere Auswirkungen. Die Interpretation wäre bei mir allerdings nach dem bisherigen Forschungsstand zurückhaltender ausgefallen, zumal viele Fischarten ja ohnehin schon anderen Problemen ausgesetzt sind, wie zum Beispiel Schadstoffen, Veränderungen der Lebensräume und vor allem der Überfischung und dem Klimawandel.

Lassen sich Schwellenwerte erkennen? Kann man für bestimmte Arten schon sagen, ab welcher Konzentration das Mikroplastik für bestimmte Tiere gefährlich wird?

So weit sind wir leider noch nicht. Wir können uns gewissen Schwellenwerten durch Risiko-Analysen annähern. Da setzt man die Konzentration des Mikroplastiks im Meerwasser ins Verhältnis dazu, wie Tiere in Experimenten auf solche Konzentrationen reagieren. Also: Bei welcher Konzentration sind die Tiere langsamer geschwommen? Konnten sie weniger wachsen? Sind sie vielleicht sogar gestorben? Dann kommt man zu Konzentrationen, wo es gefährlich sein könnte. Allerdings besteht der Haken häufig darin, dass die Messungen zur Konzentration von Plastik im Meer nur auf großes Mikroplastik ausgerichtet sind. Das Plastik wird mithilfe von Netzen aus dem Meer herausgefiltert, deren Maschenweiten sind allerdings bei vielen Studien zu groß, um 80 bis 90 Prozent des Mikroplastiks herauszufiltern, das kleiner ist. Es wird also eine viel zu geringe Konzentration im Meer eingefangen und dann kommt man zu falschen Risiko-Abschätzungen.

Welche Meeres-Regionen sind besonders stark belastet? Bieten sich Untersuchungen der Nord- und Ostsee an, oder sollte man dann besser andere Regionen untersuchen?

Jede Region bietet sich für Untersuchungen an. Wir essen schließlich auch Nord- und Ostsee-Fische. Man muss aber dazu sagen, dass zum Beispiel das Mittelmeer deutlich stärker durch Mikroplastik verschmutzt ist, ebenso wie das Gelbe und Ostchinesische Meer.

Gehen Sie davon aus, dass Mikroplastik Auswirkungen auf Menschen hat? Wie sieht die Studienlage in der Hinsicht aus?

Leider haben wir viel zu spät angefangen, in diese Richtung zu forschen. Auch in Hinblick darauf, wie viele Studien es zu Auswirkungen durch Mikroplastik bei Tieren gibt. In diesem und im vergangenen Jahr wurden endlich einige Studien dazu veröffentlicht. Zum Beispiel wurde bei einer Studie eine Korrelation zu entzündlichen Darmerkrankungen im Zusammenhang mit Mikroplastik und in einer anderen Entzündungsreaktionen bei bestimmten Zellen des Bluts festgestellt. Das ist bisher eine der wenigen Folgen, die nachgewiesen wurden. Die Indizien verdichten sich aber, dass das Mikroplastik bereits in verschiedene Bereiche des Menschen vorgedrungen ist, zum Beispiel in unser Blut, Lungen, die Muttermilch oder auch die Plazenta. Was das mit den Menschen macht, ist bisher noch unklar. Ich hoffe, dass die Forschung da jetzt noch mehr Fahrt aufnimmt.

Was wir aber wissen: Mikro- und Nano-Plastik transportieren auch andere Giftstoffe wie Chemikalien, die in den Partikeln enthalten sind. Mikroplastik kann zum Beispiel Farbstoffe oder Weichmacher enthalten. Und diese Stoffe können nachgewiesenermaßen eine schädliche Wirkung im Menschen entfalten. Der Stoff BPA ist zum Beispiel in vielen Plastikprodukten enthalten und kann Übergewicht, Herz-Kreislauf-Krankheiten oder gar Brustkrebs verursachen. Bedenklich ist dabei auch: Die Industrie agiert da nicht transparent. Man weiß nicht, welche Stoffe in welcher Verpackung enthalten sind, weil die Industrie das teilweise nicht verraten will oder es teilweise auch selbst nicht weiß.

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Dieses Thema im Programm: Bremen Eins, Nachrichten, 21. August 2022, 13 Uhr